Der Dokumentarfilm „Petra Kelly – Act Now!“ von Doris Metz erweckt die facettenreiche Persönlichkeit der Grünen-Mitbegründerin zum Leben. In einer bewegenden Mischung aus Zeitdokument, Charakterstudie und Hommage stellt der Film die Bedeutung von Kellys Erbe für heutige Generationen heraus.
Gut möglich, dass sich Petra Kelly heute der Letzten Generation angeschlossen hätte, dass sie sich auf Straßen, Plätzen und Landebahnen festklebte – auch wenn ausgeschlossen sei, dass sie Kunstwerke mit Suppe bewerfen würde, wie sich ihre ehemalige Vertraute Ina Fuchs sicher ist. Vielen Aktivist:innen der aktuellen Klimabewegung ist die Mitbegründerin der Grünen allerdings kein Begriff mehr, wie Luisa Neubauer freimütig zugibt. Eine Frau, die schon lange tot ist, welche Rolle soll die noch im Kampf gegen die globale Erderwärmung spielen, habe sich Neubauer lange gefragt. Hoffentlich also trägt „Petra Kelly – Act Now!“, der Dokumentarfilm von Doris Metz, so viel wie möglich dazu bei, dass die neue Generation, auch wenn sie sich die letzte nennt, ihre Vorkämpferin wiederentdeckt.
Doris Metz‘ Film ist vieles in einem: Porträt, Zeitbild, die Wiederbegegnung mit Weggefährt:innen von Petra Kelly wie Lukas Beckmann, Eva Quistorp, Otto Schily und Bärbel Bohley und der fruchtbare Versuch, Kellys Erbe im Blick auf die heutige Zeit sichtbar zu machen. Nicht zuletzt aber stellt er die Hommage an eine Frau dar, die zu Lebzeiten abgründigen Anfeindungen, Verleumdungen und regelmäßigen Morddrohungen ausgesetzt war. 1992 setzte ihr Freund, der vom Generalmajor zum Friedensaktivist gewandelte Gert Bastian, diesem Leben ein Ende, indem er zunächst Petra Kelly und anschließend sich selbst erschoss. Die Umstände der Tat sind nicht erschöpfend geklärt, doch dass der vermeintliche Doppelselbstmord in Wahrheit ein Mord Bastians an Kelly war, in dieser Frage sind sich Schily und Beckmann einig. Sie habe nicht sterben wollen, sagt der einstige Grünen-Politiker und spätere SPD-Innenminister Schily. Er bedauere zutiefst, damals eine gemeinsame Gedenkfeier für Kelly und Bastian organisiert zu haben, bekennt Lukas Beckmann, ebenfalls Gründungsmitglied der Grünen. Auch mit solchen klaren Bekenntnissen zur Zeitgeschichte kann Metz‘ Dokumentarfilm glänzen.
Vor allem aber vertieft sich die Autorin mit großer Emphase in die Gedankenwelt und das zeitliche Umfeld Petra Kellys, die ihr politisches Erwachen in den USA erlebte – der Vater war Offizier der US-Streitkräfte, die Familiengeschichte und ihre eigene bewegte sich zwischen der Neuen und der Alten Welt, zwischen Amerika und Europa, zwischen Georgia und Deutschland. Nicht allein Robert F. Kennedy zählte so zu den großen Impulsgebern Kellys – für ihn engagierte sie sich im Präsidentschaftswahlkampf 1968; auch der indigene Menschenrechts- und Umweltaktivist Milo Yellow Hair vom Stamm der Lakota gehörte dazu und war ein Verbündeter im Kampf gegen Uranabbau und das Atom, ob zivil oder militärisch genutzt. Zu den bewegendsten Szenen des Films gehört der Wunsch des alten Mannes, fast unter Tränen vorgetragen, sie möge friedlich ruhen.
So gelingt Doris Metz eine seltene und berührende Verknüpfung zwischen zutiefst persönlichen Einblicken und den großen Ausschlägen der jüngeren Historie – das ist die herausragende Qualität dieses Films. Die männerbündisch geprägte CDU der Kohl-Ära, die im Bonner Bundestag die Grünen und insbesondere Petra Kelly angesichts deren heute nicht minder aktuellen Forderungen nach Respekt vor der Umwelt, Frauenrechten und Frieden verhöhnt; die Massendemonstrationen gegen die Nachrüstung im Hofgarten; der Wutbürger, der Kelly mit sexistischen Beleidigungen überzieht; schließlich die Verschwisterung der „Anti-Parteien-Partei“ des Westens mit den Bürgerrechtler:innen der untergehenden DDR zu Bündnis 90/Die Grünen – all das verschmilzt Metz mit einer Charakterstudie Kellys, in der sie es nicht bei der öffentlichen Person, der Schnelldenkerin und Schnellsprecherin, der scheinbar unermüdlichen Kämpferin und vom Time-Magazin zu den tausend überragenden Gestalten des 20. Jahrhunderts gekürten Symbolfigur belässt. Immer wieder zeigt der Film seine Protagonistin von einer ganz anderen, einer verletzlichen, fragilen Seite, als eine Person, die unter Sisyphosqualen leidet und unendlich müde erscheint. Petra Kelly zusammen mit ihrer über alles geliebten Oma, Auto waschend in Shorts und T-Shirt beim sommerlichen Familien-Samstagnachmittag, Petra Kelly beim verliebten Tête-à-Tête mit Bastian, aber eben auch genervt und gestresst vom politischen Betrieb in Brüssel oder Bonn: all diese mitunter überraschend „normalen“ Szenen sorgen dafür, dass dieser Film sich nicht allein mit politischer und historischer Relevanz auflädt, sondern auch mit menschlicher Nähe.
„Petra Kelly – Act Now“ von Doris Metz feierte seine Weltpremiere auf dem Dokumentarfilmfest in München.
Die NRW-Premiere findet am 3. September im 20 Uhr im Kölner Filmpalast in Anwesenheit der Regisseurin statt. Weitere Gäste sind die Produzentin Birgit Schulz, Lukas Beckmann, ehemaliger Fraktionsgeschäftsführer Bündnis 90/Die Grünen, Ina Fuchs, frühere Büroleiterin von Gert Bastian, Darya Sotodee, Pressesprecherin von Fridays For Future. Moderation: Iris Witt von der Heinrich-Böll-Stiftung NRW.
Frank Olbert
Kinostart: 12 September 2024
Petra Kelly – Act Now!
mit John Kelly jr., Cora Weiss, Milo Yellow Hair, Luisa Neubauer, Lukas Beckmann, Eva Quistorp, Otto Schily, Ina Fuchs und Bärbel Bohley
Crew
Buch und Regie Doris Metz
Produzentin Birgit Schulz
Bildgestaltung Sophie Maintigneux
Montage Nina Ergang
Musik Cico Beck
Originalton Ivonne Gärber
Briefe und Texte von Petra Kelly gesprochen von Nina Kunzendorf
Eine Bildersturm Filmproduktion in Koproduktion mit Rundfunk Berlin-Brandenburg Bayerischer Rundfunk in Zusammenarbeit mit ARTE
Gefördert von Film- und Medienstiftung NRW FilmFernsehFonds Bayern Deutscher Filmförderfonds Medienboard Berlin-Brandenburg
Der Dokumentarfilm „Petra Kelly – Act Now!“ von Doris Metz erweckt die facettenreiche Persönlichkeit der Grünen-Mitbegründerin zum Leben. In einer bewegenden Mischung aus Zeitdokument, Charakterstudie und Hommage stellt der Film die Bedeutung von Kellys Erbe für heutige Generationen heraus.
Gut möglich, dass sich Petra Kelly heute der Letzten Generation angeschlossen hätte, dass sie sich auf Straßen, Plätzen und Landebahnen festklebte – auch wenn ausgeschlossen sei, dass sie Kunstwerke mit Suppe bewerfen würde, wie sich ihre ehemalige Vertraute Ina Fuchs sicher ist. Vielen Aktivist:innen der aktuellen Klimabewegung ist die Mitbegründerin der Grünen allerdings kein Begriff mehr, wie Luisa Neubauer freimütig zugibt. Eine Frau, die schon lange tot ist, welche Rolle soll die noch im Kampf gegen die globale Erderwärmung spielen, habe sich Neubauer lange gefragt. Hoffentlich also trägt „Petra Kelly – Act Now!“, der Dokumentarfilm von Doris Metz, so viel wie möglich dazu bei, dass die neue Generation, auch wenn sie sich die letzte nennt, ihre Vorkämpferin wiederentdeckt.
Doris Metz‘ Film ist vieles in einem: Porträt, Zeitbild, die Wiederbegegnung mit Weggefährt:innen von Petra Kelly wie Lukas Beckmann, Eva Quistorp, Otto Schily und Bärbel Bohley und der fruchtbare Versuch, Kellys Erbe im Blick auf die heutige Zeit sichtbar zu machen. Nicht zuletzt aber stellt er die Hommage an eine Frau dar, die zu Lebzeiten abgründigen Anfeindungen, Verleumdungen und regelmäßigen Morddrohungen ausgesetzt war. 1992 setzte ihr Freund, der vom Generalmajor zum Friedensaktivist gewandelte Gert Bastian, diesem Leben ein Ende, indem er zunächst Petra Kelly und anschließend sich selbst erschoss. Die Umstände der Tat sind nicht erschöpfend geklärt, doch dass der vermeintliche Doppelselbstmord in Wahrheit ein Mord Bastians an Kelly war, in dieser Frage sind sich Schily und Beckmann einig. Sie habe nicht sterben wollen, sagt der einstige Grünen-Politiker und spätere SPD-Innenminister Schily. Er bedauere zutiefst, damals eine gemeinsame Gedenkfeier für Kelly und Bastian organisiert zu haben, bekennt Lukas Beckmann, ebenfalls Gründungsmitglied der Grünen. Auch mit solchen klaren Bekenntnissen zur Zeitgeschichte kann Metz‘ Dokumentarfilm glänzen.
Vor allem aber vertieft sich die Autorin mit großer Emphase in die Gedankenwelt und das zeitliche Umfeld Petra Kellys, die ihr politisches Erwachen in den USA erlebte – der Vater war Offizier der US-Streitkräfte, die Familiengeschichte und ihre eigene bewegte sich zwischen der Neuen und der Alten Welt, zwischen Amerika und Europa, zwischen Georgia und Deutschland. Nicht allein Robert F. Kennedy zählte so zu den großen Impulsgebern Kellys – für ihn engagierte sie sich im Präsidentschaftswahlkampf 1968; auch der indigene Menschenrechts- und Umweltaktivist Milo Yellow Hair vom Stamm der Lakota gehörte dazu und war ein Verbündeter im Kampf gegen Uranabbau und das Atom, ob zivil oder militärisch genutzt. Zu den bewegendsten Szenen des Films gehört der Wunsch des alten Mannes, fast unter Tränen vorgetragen, sie möge friedlich ruhen.
So gelingt Doris Metz eine seltene und berührende Verknüpfung zwischen zutiefst persönlichen Einblicken und den großen Ausschlägen der jüngeren Historie – das ist die herausragende Qualität dieses Films. Die männerbündisch geprägte CDU der Kohl-Ära, die im Bonner Bundestag die Grünen und insbesondere Petra Kelly angesichts deren heute nicht minder aktuellen Forderungen nach Respekt vor der Umwelt, Frauenrechten und Frieden verhöhnt; die Massendemonstrationen gegen die Nachrüstung im Hofgarten; der Wutbürger, der Kelly mit sexistischen Beleidigungen überzieht; schließlich die Verschwisterung der „Anti-Parteien-Partei“ des Westens mit den Bürgerrechtler:innen der untergehenden DDR zu Bündnis 90/Die Grünen – all das verschmilzt Metz mit einer Charakterstudie Kellys, in der sie es nicht bei der öffentlichen Person, der Schnelldenkerin und Schnellsprecherin, der scheinbar unermüdlichen Kämpferin und vom Time-Magazin zu den tausend überragenden Gestalten des 20. Jahrhunderts gekürten Symbolfigur belässt. Immer wieder zeigt der Film seine Protagonistin von einer ganz anderen, einer verletzlichen, fragilen Seite, als eine Person, die unter Sisyphosqualen leidet und unendlich müde erscheint. Petra Kelly zusammen mit ihrer über alles geliebten Oma, Auto waschend in Shorts und T-Shirt beim sommerlichen Familien-Samstagnachmittag, Petra Kelly beim verliebten Tête-à-Tête mit Bastian, aber eben auch genervt und gestresst vom politischen Betrieb in Brüssel oder Bonn: all diese mitunter überraschend „normalen“ Szenen sorgen dafür, dass dieser Film sich nicht allein mit politischer und historischer Relevanz auflädt, sondern auch mit menschlicher Nähe.
„Petra Kelly – Act Now“ von Doris Metz feierte seine Weltpremiere auf dem Dokumentarfilmfest in München.
Die NRW-Premiere findet am 3. September im 20 Uhr im Kölner Filmpalast in Anwesenheit der Regisseurin statt. Weitere Gäste sind die Produzentin Birgit Schulz, Lukas Beckmann, ehemaliger Fraktionsgeschäftsführer Bündnis 90/Die Grünen, Ina Fuchs, frühere Büroleiterin von Gert Bastian, Darya Sotodee, Pressesprecherin von Fridays For Future. Moderation: Iris Witt von der Heinrich-Böll-Stiftung NRW.
Frank Olbert
Kinostart: 12 September 2024
Petra Kelly – Act Now!
mit
John Kelly jr., Cora Weiss, Milo Yellow Hair, Luisa Neubauer, Lukas Beckmann, Eva Quistorp, Otto Schily, Ina Fuchs und Bärbel Bohley
Crew
Buch und Regie
Doris Metz
Produzentin
Birgit Schulz
Bildgestaltung
Sophie Maintigneux
Montage
Nina Ergang
Musik
Cico Beck
Originalton
Ivonne Gärber
Briefe und Texte von Petra Kelly gesprochen von
Nina Kunzendorf
Eine Bildersturm Filmproduktion in Koproduktion mit
Rundfunk Berlin-Brandenburg
Bayerischer Rundfunk
in Zusammenarbeit mit ARTE
Gefördert von
Film- und Medienstiftung NRW
FilmFernsehFonds Bayern
Deutscher Filmförderfonds
Medienboard Berlin-Brandenburg
Titelbild: Real Fiction Filmverleih