„Das Kino ist mehr als nur ein Business“ – Interview mit Regisseur Florian Heinzen-Ziob zum Film Original Copy
Das Vater-Sohn-Filmemacherteam Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen hat einen Dokumentarfilm über ein letztes Exemplar seiner Art gedreht: „Original Copy“ handelt von einem Filmplakatmaler in Mumbai, der mit seinem Team riesige aufwändige Gemälde schafft, die an der Kinofassade den aktuellen Film bewerben. Der Film ist nicht nur ein Portrait des Künstlers Sheik Rehman, genannt Rehman, sondern auch von dem Kino für das er arbeitet. Ein Auslaufmodell, so wie er, das würdevoll ums Überleben kämpft.
Das „Alfred Talkies“ im Stadtteil Mumbai Central steht in Asiens größtem Rotlichtviertel und ist Zufluchtsort für die Arbeiter der umliegenden Manufakturen, Obdachlose, Prostituierte und ihre Freier. Die Tickets sind günstig und gezeigt wird immer das Lieblingsgenre der Stammgäste: 80er- und 90er-Jahre-Actionfilme, in denen geprügelt und getanzt wird und der Held immer gewinnt. Da die Restauration der alten Filmkopien zu kostspielig ist, verschwinden diese nach und nach und mit ihnen das Publikum. Mit dem Kino wird auch der Beruf des Filmplakatmalers für immer aussterben. „Original Copy“ setzt dem Familienbetrieb und Rehman ein Denkmal und erzählt nebenbei über den Untergang des Kinos, das Drama des verkannten Künstlers und die kathartische und Trost spendende Wirkkraft von Filmen.
Claudia Sárkány hat Florian Heinzen-Ziob, den jüngeren Part des Regie-Duos, zum Film interviewt.
Filmszene Köln: War Postermaler früher ein verbreiteter Beruf in Mumbai?
Florian Heinzen-Ziob: Ja! Rehman hat das von seinem Vater gelernt und damals war das auch noch ein lukrativeres Geschäft. Postermaler haben früher mit viel mehr Leuten zusammengearbeitet als Rehman heute. Pro Woche wurden 20 Poster rausgehauen und es gab viele dieser Werkstätten. Najma, die Betreiberin des „Alfred Talkies“, ist die einzige, die sich diesen Luxus noch leistet.
FK: Am Ende des Films wird klar – das fertige Poster, ein aufwendiges großflächiges Gemälde, wird nach tagelanger Arbeit einfach übermalt und ist dann wieder Leinwand für das nächste Filmmotiv. War das schon immer so üblich oder ist das eine Sparmaßnahme?
FHZ: Das war schon immer so und dazu fällt mir eine witzige Geschichte ein. Wir haben während der Recherchezeit Rehman gefragt „Sag mal, wo lagert ihr eigentlich die ganzen tollen Poster? Können wir die nicht mal ansehen und euer Lager filmen?“ Die Frage hat er überhaupt nicht verstanden und meinte: „Lager? Poster? Wovon redet ihr?“ Das fand ich so schön, dass er es völlig unsinnig fand, dafür Platz zu verschwenden. Irritiert hat er gefragt: „Warum soll ich die Poster aufbewahren, ich kann die doch immer neu malen.“ Das stimmt bis zu einem gewissen Grad, aber die sind doch auch immer anders. Jedes Bild ist ein Unikat. Ich finde, dass dieses Übermalen der Poster eine starke Metapher ist für das Kino und seinen sisyphoshaften sinnlosen Kampf. Es ist auch ein bisschen wie diese buddhistischen Sandgemälde – es geht eher um den Prozess und die Performance, als die Möglichkeit, sich ein Kunstwerk an die Wand zu hängen und zu erhalten. Mein Eindruck war, dass der Kunstbegriff ein anderer ist.
FK: Das ist interessant, vor allem in Hinblick darauf, dass Rehman scheinbar verletzt ist darüber, dass er nicht so respektiert und anerkannt ist, wie Künstler, die in Galerien ausstellen und ihre Werke für viel Geld verkaufen.
FHZ: Ja, das war während des Drehs eine unerwartete Entwicklung für uns. Im ersten Interview hat er gesagt: „Ich mache, was die Leute wollen, es ist Werbung und Auftragsarbeit. Mir egal, wie das aussieht. Wenn ihr glücklich seid, dann bin ich auch glücklich.“ Erst nach und nach stellte sich dann heraus, dass er eine Autorenschaft für sich reklamiert und sagt: „Ich habe einen eigenen Stil, ich benutze die Farben, die ich für richtig halte.“ Ich war auch überrascht, dass er zum Beispiel die „Jehangir Art Gallery“ kennt, die in Mumbai eine wichtige Kunstgalerie ist. Rehman hat mit der Kunstwelt eigentlich überhaupt gar nichts zu tun, er lebt in einem Slum und ich weiß nicht, ob er in seinem Leben jemals auf einer Ausstellung war, aber er kennt den Namen. Das fand ich ziemlich beeindruckend. Er lebt nicht hinterm Mond, er weiß ganz genau, wie der Kunstmarkt funktioniert und was es bedeutet, Publicity zu haben. Diesen heimlichen Traum von ihm, auch ein gefeierter Künstler zu sein, der in Galerien ausstellt, hat der Drehprozess erst nach einer Weile freigelegt.
FK: Wie kamt ihr überhaupt darauf, einen Film über einen Kinoplakatmaler in Mumbai zu drehen?
FHZ: Georg hat ein halbes Jahr in Mumbai gelebt, er war da als Autor mit einem Stipendium der Kunststiftung NRW. Während seiner Zeit dort hat er lange Spaziergänge durch die Stadt gemacht. Zufällig ist er über dieses Kino gestolpert, dessen besonderes Filmplakat ihn angelockt hat. Er war wohl der erste Ausländer seit Jahren, der im Kinosaal saß und wurde beim Rausgehen von Rehman angesprochen. Vermutlich hat ihm jemand Bescheid gegeben, dass da ein Tourist ist, dem er vielleicht ein Bild verkaufen kann. Er hat Georg dann mit in sein beeindruckendes Atelier genommen. Was man wissen muss ist, dass Mumbai eine Stadt ist, in der Platz unglaublich wertvoll ist. Die Quadratmeterpreise sind fast wie in New York. Selbst im Slum ist Raum teuer. Und da trittst du hinter die Leinwand und plötzlich stehst du in einen riesigen Raum. Da war dann dieser indische Picasso, oben ohne, Kippe im Mundwinkel und inmitten seiner Farben. Das hat Georg zum Ende seines Mumbai-Aufenthalts hin erlebt und festgestellt: „Das ist der Ort, den ich die ganze Zeit finden wollte.“ Wir haben dann ziemlich kurz entschlossen entschieden, dass wir gemeinsam einen Dokumentarfilm über Rehman und das Kino drehen wollen. Dieser Ort mit seiner besonderen Magie war der Auslöser.
FK: Hat euch das Nicht-Inder sein in einer fremden Umgebung vor besondere Herausforderungen gestellt?
FHZ: Es gab einige sehr unterschiedliche kulturspezifische Haltungen, die aufeinandergeprallt sind. Unsere indischen Produktionsleiter vor Ort haben zum Beispiel immer wieder zu uns gesagt: „Was dreht ihr da eigentlich? Diesen alten Mann will doch keiner sehen!“ Dann hatten wir auch immer die Vorstellung, dass wir die Premiere des Films natürlich im „Alfred Talkies“ zeigen. Dafür hätten wir allerdings eine 35-Millimeter-Kopie gebraucht, die wir uns nie hätten leisten können und es war auch eher eine westlich geprägte Idee. Für die Mitarbeiter des Kinos wäre es gar nicht so toll gewesen, den Film an ihrem Arbeitsplatz anzusehen. Am Ende lief der Film dann im dicken Multiplex-Kino, was sie sich, wenn überhaupt, vielleicht ein Mal im Jahr leisten können und sie waren sehr stolz.
FK: Wie war die Indien-Premiere?
FHZ: Das indische Kinopublikum hat den Ruf, speziell bei Filmen von Ausländern über Indien extrem kritisch zu sein. Was man auch gut verstehen kann, die Engländer haben den Indern lang genug ihr Land erklärt. Wir waren also sehr aufgeregt, wie der Film dort angenommen würde. Die indischen Zuschauer haben aber unglaublich emotional auf den Film reagiert und ich glaube, dass der Film Indern am meisten Spaß macht, weil die Hauptfiguren die ganze Zeit in Filmzitaten sprechen und so viel fluchen – für so viele Schimpfwörter hast du in den Untertiteln gar keinen Platz. Alle haben viel gelacht und zwischendurch immer wieder geklatscht. Der Film war zu Ende, Rehman saß ganz hinten mit seiner Familie und wir hatten das Gefühl, dass er sich schon wegstehlen wollte. Dann ist das ganze Kino aufgestanden – ohne, dass das vorher so besprochen war – und hat sich zu ihm umgedreht und applaudiert. Auf seinem Weg zur Bühne haben alle versucht, ihn zu berühren, als wäre er eine Art Guru. Als er dann vorne stand, hatten wir Sorge um ihn und dachten: „Oje, der alte Mann, wie kommt er mit dieser Situation klar?“ Dann hat er das Mikrophon in die Hand genommen und los geredet, als hätte er nur darauf gewartet, auf dieser Bühne zu stehen“. Später kam jemand auf ihn zu und hat ihn gefragt, wer denn seine tollen Dialoge geschrieben hätte. Rehman hat danach stolz erzählt: „He asked me ‚Who wrote your dialoge?’ and I said ‚It’s my dialoge!’“
FK: Filme spielen für die Menschen in eurer Doku eine extrem große Rolle und sind für sie nicht nur Ablenkung und Unterhaltung, sondern helfen ihnen auch dabei, das Leben zu bewältigen.
FHZ: Absolut, die Kinobetreiberin Najma sagt zum Beispiel: „Ich bin durch Filme stark geworden. Bollywood-Heldenfiguren waren meine Vorbilder.“ Aus westlicher Sicht erscheinen die Bollywood-Filme, die vom durchschnittlichen Kinopublikum konsumiert werden, wie purer Eskapismus. Wir sehen die armen Leute, die keine Chance haben, die sich ansehen wie der Held gewinnt. Ich glaube, dass die meisten der Leute in Mumbai aus ganz anderen Gründen ins Kino gehen als wir hier in Deutschland zum Beispiel. Das Leben dort ist so hart und bedrohlich – in unserem Film wird ja deutlich, dass die Türen und Gitter, die vor der Außenwelt schützen, wichtig sind. Ich hatte den Eindruck, dass das Kino vor allem ein sicherer Ort ist. Es ist kühl im Saal, es ist dunkel, da kannst du dich mit deiner Freundin treffen, mit der du dich unverheiratet nicht zusammen in der Öffentlichkeit blicken lassen kannst, ein Junkie kann dort seinen Trip genießen oder du kannst einfach schlafen. Für etwa drei Stunden gehört dir dieser Platz, in einer Stadt, in der es keinen öffentlichen Raum, so wie Parks mit Bänken gibt. Genau so bietet auch die Filmrealität einen geschützten Ort. Da passiert nichts, was dir draußen passieren kann. Da überfährt dich zum Beispiel niemand, so wie es einem unserer Protagonisten passiert ist. Einer von Rehmans Postermaler-Kollegen wurde abends auf dem Heimweg überfahren. Der Verantwortliche hat seiner Familie Bestechungsgeld gezahlt, damit sie nicht zur Polizei gehen und sie mussten es annehmen weil sie es so dringend brauchten. Genau so etwas soll auf der Leinwand anders sein. Man sieht sich immer wieder den gleichen Film an, in dem der Held gewinnt, und man wird nicht negativ überrascht. Das Schlimme ist: Das Viertel ist in einer extremen Umbruchsphase. Unser Film geht auch ein bisschen um Gentrifizierung und mit diesen Kinos verschwindet einer der letzten Rückzugs- und Schutzräume für ärmere Menschen.
FK: Wie seid ihr damit umgegangen, dass ihr die Sprache eurer Protagonisten nicht beherrscht?
FHZ: Der Dreh war deswegen zum Teil eine besondere Herausforderung, weil man sozusagen im Blindflug arbeiten musste. Wir hatten einen Dolmetscher dabei, der immer wieder zusammengefasst hat, was gesagt wurde, aber wir mussten generell sehr viel mehr mitnehmen, als wie wenn wir immer genau verstanden hätten, was gerade passiert und worüber gesprochen wird. Das hat natürlich auch die Postproduktion verlängert, weil wir mit sehr viel Material zurückgekommen sind. Ich habe dann eine Auswahl von 16 Stunden getroffen, von der wir wissen wollten, was darin konkret gesagt wird. Wir haben eine Firma in Mumbai gefunden, die das gesamte Material von zwei Indern auf Englisch einsprechen lassen hat – richtig performt mit unterschiedlichen Stimmen. Es klang wie eine indische Daily Soap. Das war sehr hilfreich, denn du hattest wirklich ein Gefühl von Rhythmus und Tonalität und konntest dementsprechend die Schnitte setzen. Außerdem konnte man so besser verstehen, ob ein Gespräch zum Beispiel wirklich ein ernsthafter Streit ist oder eine humorvolle Auseinandersetzung. Wir haben Monate auf die Übersetzung gewartet und dann war es wie ein Schatz. Plötzlich hat sich das ganze Material noch mal geöffnet.
FK: Wie kam es eigentlich dazu, dass ihr als Vater-Sohn-Team zusammen gearbeitet habt und wie ist das gelaufen?
FHZ: Wir hatten beide nicht geplant, dass wir das unbedingt mal machen müssen. Für dieses Projekt hat es sich dann aber angeboten. Ein abendfüllender Dokumentarfilm war für uns beide etwas Neues und unsere verschiedenen Perspektiven und Herangehensweisen haben dafür gesorgt, dass wir uns als Team gut ergänzen konnten. Es hatte auch klare Vorteile. Die Kinobesitzerin Najma hat im Interview mit mir zum Beispiel ganz anders geredet weil sie in mir eher ihr Kind sieht und dann erfährst du etwas anderes. Es geht in diesem Film ja auch viel um Generationenkonflikte. Najmas Großvater wollte ihr Kino nie an sie übergeben und hat ihr auf dem Sterbebett gesagt: „Du wirst mein Schiff untergehen lassen.“ Ein Fluch, der sich ja noch einlöst, auch wenn sie gar nichts dafür kann. Rehman spricht auch immer wieder von seinem übergroßen Vater, der noch viel besser gemalt haben soll als er und steht im Konflikt mit seinen eigenen Söhnen, die nicht in seine Fußstapfen treten wollten. Ich glaube, dass unsere Anwesenheit als Vater-Sohn-Team auch ausgelöst hat, dass irgendwann aus Rehman herausgebrochen ist, wie schmerzlich er die Anwesenheit und den Respekt seiner Söhne vermisst. Das hatte auch damit zu tun, dass er uns zwei Monate lang dabei beobachtet hat, wie wir zusammen arbeiten. Es hat viel bewirkt bei den Leuten, die wir gefilmt haben, dass es hinter der Kamera um etwas Ähnliches ging, wie davor. Was man auch noch anmerken muss ist, dass das Bollywood-Kino ein totaler Familienbusiness ist: Der Vater war in den 20er Jahren Schauspieler, dann ist die Tochter eine wichtige Produzentin geworden, der Sohn ist dann wiederum Regisseur – es sind richtige Dynastien. Najma hatte zum Beispiel direkt Vertrauen zu uns weil wir als Familie aufgetreten sind, da es ihr bekannt vorkam. Davon abgesehen sind die meisten Geschäfte in Indien Familienunternehmen, wie zum Beispiel das Kino oder das Malen, das ja eigentlich auch von Generation zu Generation tradiert werden sollte. Für dieses Projekt war es genau richtig und ich kann mir vorstellen, noch mal mit Georg Regie zu führen, aber wir haben uns nicht vorgenommen, ab jetzt nur noch zusammenzuarbeiten.
FK: Gibt es das Kino jetzt noch?
FHZ: Während der Recherche hieß es, dass das Kino bald verkauft würde. Zwei Wochen bevor wir losfliegen wollten, haben wir einen Anruf bekommen: „Ihr müsst gar nicht mehr kommen. Wir verkaufen das Kino am Wochenende und dann wird es geschlossen.“ Das ist dann aber zum Glück doch nicht passiert. Während wir gedreht haben war die Ansage auch, dass bald Schluss ist. Vier Jahre später gibt es das Kino nun noch immer. Es ist wie ein tapferes kleines Schiff, das sich durch den Sturm kämpft. Heute gibt es noch weniger Zuschauer und mittlerweile wird nur noch ein halbes Poster gemalt – es ist ein Sterben in Raten. Najma betreibt ihr Kino weniger als reines Geschäft, dann hätte sie wahrscheinlich schon vor zehn Jahren schließen müssen. Sie empfindet eine Verantwortung ihren Mitarbeitern gegenüber und sorgt dafür, dass sie weiter ihre Familien ernähren können und dass Rehman weiter malen kann. Es geht darüber hinaus, zu fragen: „Was sind die Quartalszahlen?“. Das Kino ist mehr als nur ein Business.
„Original Copy“ feiert seine Köln-Premiere am 23. Mai um 20:00 Uhr in Anwesenheit der Regisseure im Off Broadway und ist eine Veranstaltung des „Allerweltskinos“.
Weitere Kinotermine findet man auf: www.wfilm.de/original-copy/kinotermine/
Foto: Still aus „Original Copy“ © W-Film, 2015
„Das Kino ist mehr als nur ein Business“ – Interview mit Regisseur Florian Heinzen-Ziob zum Film Original Copy
Das Vater-Sohn-Filmemacherteam Florian Heinzen-Ziob und Georg Heinzen hat einen Dokumentarfilm über ein letztes Exemplar seiner Art gedreht: „Original Copy“ handelt von einem Filmplakatmaler in Mumbai, der mit seinem Team riesige aufwändige Gemälde schafft, die an der Kinofassade den aktuellen Film bewerben. Der Film ist nicht nur ein Portrait des Künstlers Sheik Rehman, genannt Rehman, sondern auch von dem Kino für das er arbeitet. Ein Auslaufmodell, so wie er, das würdevoll ums Überleben kämpft.
Das „Alfred Talkies“ im Stadtteil Mumbai Central steht in Asiens größtem Rotlichtviertel und ist Zufluchtsort für die Arbeiter der umliegenden Manufakturen, Obdachlose, Prostituierte und ihre Freier. Die Tickets sind günstig und gezeigt wird immer das Lieblingsgenre der Stammgäste: 80er- und 90er-Jahre-Actionfilme, in denen geprügelt und getanzt wird und der Held immer gewinnt. Da die Restauration der alten Filmkopien zu kostspielig ist, verschwinden diese nach und nach und mit ihnen das Publikum. Mit dem Kino wird auch der Beruf des Filmplakatmalers für immer aussterben. „Original Copy“ setzt dem Familienbetrieb und Rehman ein Denkmal und erzählt nebenbei über den Untergang des Kinos, das Drama des verkannten Künstlers und die kathartische und Trost spendende Wirkkraft von Filmen.
Claudia Sárkány hat Florian Heinzen-Ziob, den jüngeren Part des Regie-Duos, zum Film interviewt.
Filmszene Köln: War Postermaler früher ein verbreiteter Beruf in Mumbai?
Florian Heinzen-Ziob: Ja! Rehman hat das von seinem Vater gelernt und damals war das auch noch ein lukrativeres Geschäft. Postermaler haben früher mit viel mehr Leuten zusammengearbeitet als Rehman heute. Pro Woche wurden 20 Poster rausgehauen und es gab viele dieser Werkstätten. Najma, die Betreiberin des „Alfred Talkies“, ist die einzige, die sich diesen Luxus noch leistet.
FK: Am Ende des Films wird klar – das fertige Poster, ein aufwendiges großflächiges Gemälde, wird nach tagelanger Arbeit einfach übermalt und ist dann wieder Leinwand für das nächste Filmmotiv. War das schon immer so üblich oder ist das eine Sparmaßnahme?
FHZ: Das war schon immer so und dazu fällt mir eine witzige Geschichte ein. Wir haben während der Recherchezeit Rehman gefragt „Sag mal, wo lagert ihr eigentlich die ganzen tollen Poster? Können wir die nicht mal ansehen und euer Lager filmen?“ Die Frage hat er überhaupt nicht verstanden und meinte: „Lager? Poster? Wovon redet ihr?“ Das fand ich so schön, dass er es völlig unsinnig fand, dafür Platz zu verschwenden. Irritiert hat er gefragt: „Warum soll ich die Poster aufbewahren, ich kann die doch immer neu malen.“ Das stimmt bis zu einem gewissen Grad, aber die sind doch auch immer anders. Jedes Bild ist ein Unikat. Ich finde, dass dieses Übermalen der Poster eine starke Metapher ist für das Kino und seinen sisyphoshaften sinnlosen Kampf. Es ist auch ein bisschen wie diese buddhistischen Sandgemälde – es geht eher um den Prozess und die Performance, als die Möglichkeit, sich ein Kunstwerk an die Wand zu hängen und zu erhalten. Mein Eindruck war, dass der Kunstbegriff ein anderer ist.
FK: Das ist interessant, vor allem in Hinblick darauf, dass Rehman scheinbar verletzt ist darüber, dass er nicht so respektiert und anerkannt ist, wie Künstler, die in Galerien ausstellen und ihre Werke für viel Geld verkaufen.
FHZ: Ja, das war während des Drehs eine unerwartete Entwicklung für uns. Im ersten Interview hat er gesagt: „Ich mache, was die Leute wollen, es ist Werbung und Auftragsarbeit. Mir egal, wie das aussieht. Wenn ihr glücklich seid, dann bin ich auch glücklich.“ Erst nach und nach stellte sich dann heraus, dass er eine Autorenschaft für sich reklamiert und sagt: „Ich habe einen eigenen Stil, ich benutze die Farben, die ich für richtig halte.“ Ich war auch überrascht, dass er zum Beispiel die „Jehangir Art Gallery“ kennt, die in Mumbai eine wichtige Kunstgalerie ist. Rehman hat mit der Kunstwelt eigentlich überhaupt gar nichts zu tun, er lebt in einem Slum und ich weiß nicht, ob er in seinem Leben jemals auf einer Ausstellung war, aber er kennt den Namen. Das fand ich ziemlich beeindruckend. Er lebt nicht hinterm Mond, er weiß ganz genau, wie der Kunstmarkt funktioniert und was es bedeutet, Publicity zu haben. Diesen heimlichen Traum von ihm, auch ein gefeierter Künstler zu sein, der in Galerien ausstellt, hat der Drehprozess erst nach einer Weile freigelegt.
FK: Wie kamt ihr überhaupt darauf, einen Film über einen Kinoplakatmaler in Mumbai zu drehen?
FHZ: Georg hat ein halbes Jahr in Mumbai gelebt, er war da als Autor mit einem Stipendium der Kunststiftung NRW. Während seiner Zeit dort hat er lange Spaziergänge durch die Stadt gemacht. Zufällig ist er über dieses Kino gestolpert, dessen besonderes Filmplakat ihn angelockt hat. Er war wohl der erste Ausländer seit Jahren, der im Kinosaal saß und wurde beim Rausgehen von Rehman angesprochen. Vermutlich hat ihm jemand Bescheid gegeben, dass da ein Tourist ist, dem er vielleicht ein Bild verkaufen kann. Er hat Georg dann mit in sein beeindruckendes Atelier genommen. Was man wissen muss ist, dass Mumbai eine Stadt ist, in der Platz unglaublich wertvoll ist. Die Quadratmeterpreise sind fast wie in New York. Selbst im Slum ist Raum teuer. Und da trittst du hinter die Leinwand und plötzlich stehst du in einen riesigen Raum. Da war dann dieser indische Picasso, oben ohne, Kippe im Mundwinkel und inmitten seiner Farben. Das hat Georg zum Ende seines Mumbai-Aufenthalts hin erlebt und festgestellt: „Das ist der Ort, den ich die ganze Zeit finden wollte.“ Wir haben dann ziemlich kurz entschlossen entschieden, dass wir gemeinsam einen Dokumentarfilm über Rehman und das Kino drehen wollen. Dieser Ort mit seiner besonderen Magie war der Auslöser.
FK: Hat euch das Nicht-Inder sein in einer fremden Umgebung vor besondere Herausforderungen gestellt?
FHZ: Es gab einige sehr unterschiedliche kulturspezifische Haltungen, die aufeinandergeprallt sind. Unsere indischen Produktionsleiter vor Ort haben zum Beispiel immer wieder zu uns gesagt: „Was dreht ihr da eigentlich? Diesen alten Mann will doch keiner sehen!“ Dann hatten wir auch immer die Vorstellung, dass wir die Premiere des Films natürlich im „Alfred Talkies“ zeigen. Dafür hätten wir allerdings eine 35-Millimeter-Kopie gebraucht, die wir uns nie hätten leisten können und es war auch eher eine westlich geprägte Idee. Für die Mitarbeiter des Kinos wäre es gar nicht so toll gewesen, den Film an ihrem Arbeitsplatz anzusehen. Am Ende lief der Film dann im dicken Multiplex-Kino, was sie sich, wenn überhaupt, vielleicht ein Mal im Jahr leisten können und sie waren sehr stolz.
FK: Wie war die Indien-Premiere?
FHZ: Das indische Kinopublikum hat den Ruf, speziell bei Filmen von Ausländern über Indien extrem kritisch zu sein. Was man auch gut verstehen kann, die Engländer haben den Indern lang genug ihr Land erklärt. Wir waren also sehr aufgeregt, wie der Film dort angenommen würde. Die indischen Zuschauer haben aber unglaublich emotional auf den Film reagiert und ich glaube, dass der Film Indern am meisten Spaß macht, weil die Hauptfiguren die ganze Zeit in Filmzitaten sprechen und so viel fluchen – für so viele Schimpfwörter hast du in den Untertiteln gar keinen Platz. Alle haben viel gelacht und zwischendurch immer wieder geklatscht. Der Film war zu Ende, Rehman saß ganz hinten mit seiner Familie und wir hatten das Gefühl, dass er sich schon wegstehlen wollte. Dann ist das ganze Kino aufgestanden – ohne, dass das vorher so besprochen war – und hat sich zu ihm umgedreht und applaudiert. Auf seinem Weg zur Bühne haben alle versucht, ihn zu berühren, als wäre er eine Art Guru. Als er dann vorne stand, hatten wir Sorge um ihn und dachten: „Oje, der alte Mann, wie kommt er mit dieser Situation klar?“ Dann hat er das Mikrophon in die Hand genommen und los geredet, als hätte er nur darauf gewartet, auf dieser Bühne zu stehen“. Später kam jemand auf ihn zu und hat ihn gefragt, wer denn seine tollen Dialoge geschrieben hätte. Rehman hat danach stolz erzählt: „He asked me ‚Who wrote your dialoge?’ and I said ‚It’s my dialoge!’“
FK: Filme spielen für die Menschen in eurer Doku eine extrem große Rolle und sind für sie nicht nur Ablenkung und Unterhaltung, sondern helfen ihnen auch dabei, das Leben zu bewältigen.
FHZ: Absolut, die Kinobetreiberin Najma sagt zum Beispiel: „Ich bin durch Filme stark geworden. Bollywood-Heldenfiguren waren meine Vorbilder.“ Aus westlicher Sicht erscheinen die Bollywood-Filme, die vom durchschnittlichen Kinopublikum konsumiert werden, wie purer Eskapismus. Wir sehen die armen Leute, die keine Chance haben, die sich ansehen wie der Held gewinnt. Ich glaube, dass die meisten der Leute in Mumbai aus ganz anderen Gründen ins Kino gehen als wir hier in Deutschland zum Beispiel. Das Leben dort ist so hart und bedrohlich – in unserem Film wird ja deutlich, dass die Türen und Gitter, die vor der Außenwelt schützen, wichtig sind. Ich hatte den Eindruck, dass das Kino vor allem ein sicherer Ort ist. Es ist kühl im Saal, es ist dunkel, da kannst du dich mit deiner Freundin treffen, mit der du dich unverheiratet nicht zusammen in der Öffentlichkeit blicken lassen kannst, ein Junkie kann dort seinen Trip genießen oder du kannst einfach schlafen. Für etwa drei Stunden gehört dir dieser Platz, in einer Stadt, in der es keinen öffentlichen Raum, so wie Parks mit Bänken gibt. Genau so bietet auch die Filmrealität einen geschützten Ort. Da passiert nichts, was dir draußen passieren kann. Da überfährt dich zum Beispiel niemand, so wie es einem unserer Protagonisten passiert ist. Einer von Rehmans Postermaler-Kollegen wurde abends auf dem Heimweg überfahren. Der Verantwortliche hat seiner Familie Bestechungsgeld gezahlt, damit sie nicht zur Polizei gehen und sie mussten es annehmen weil sie es so dringend brauchten. Genau so etwas soll auf der Leinwand anders sein. Man sieht sich immer wieder den gleichen Film an, in dem der Held gewinnt, und man wird nicht negativ überrascht. Das Schlimme ist: Das Viertel ist in einer extremen Umbruchsphase. Unser Film geht auch ein bisschen um Gentrifizierung und mit diesen Kinos verschwindet einer der letzten Rückzugs- und Schutzräume für ärmere Menschen.
FK: Wie seid ihr damit umgegangen, dass ihr die Sprache eurer Protagonisten nicht beherrscht?
FHZ: Der Dreh war deswegen zum Teil eine besondere Herausforderung, weil man sozusagen im Blindflug arbeiten musste. Wir hatten einen Dolmetscher dabei, der immer wieder zusammengefasst hat, was gesagt wurde, aber wir mussten generell sehr viel mehr mitnehmen, als wie wenn wir immer genau verstanden hätten, was gerade passiert und worüber gesprochen wird. Das hat natürlich auch die Postproduktion verlängert, weil wir mit sehr viel Material zurückgekommen sind. Ich habe dann eine Auswahl von 16 Stunden getroffen, von der wir wissen wollten, was darin konkret gesagt wird. Wir haben eine Firma in Mumbai gefunden, die das gesamte Material von zwei Indern auf Englisch einsprechen lassen hat – richtig performt mit unterschiedlichen Stimmen. Es klang wie eine indische Daily Soap. Das war sehr hilfreich, denn du hattest wirklich ein Gefühl von Rhythmus und Tonalität und konntest dementsprechend die Schnitte setzen. Außerdem konnte man so besser verstehen, ob ein Gespräch zum Beispiel wirklich ein ernsthafter Streit ist oder eine humorvolle Auseinandersetzung. Wir haben Monate auf die Übersetzung gewartet und dann war es wie ein Schatz. Plötzlich hat sich das ganze Material noch mal geöffnet.
FK: Wie kam es eigentlich dazu, dass ihr als Vater-Sohn-Team zusammen gearbeitet habt und wie ist das gelaufen?
FHZ: Wir hatten beide nicht geplant, dass wir das unbedingt mal machen müssen. Für dieses Projekt hat es sich dann aber angeboten. Ein abendfüllender Dokumentarfilm war für uns beide etwas Neues und unsere verschiedenen Perspektiven und Herangehensweisen haben dafür gesorgt, dass wir uns als Team gut ergänzen konnten. Es hatte auch klare Vorteile. Die Kinobesitzerin Najma hat im Interview mit mir zum Beispiel ganz anders geredet weil sie in mir eher ihr Kind sieht und dann erfährst du etwas anderes. Es geht in diesem Film ja auch viel um Generationenkonflikte. Najmas Großvater wollte ihr Kino nie an sie übergeben und hat ihr auf dem Sterbebett gesagt: „Du wirst mein Schiff untergehen lassen.“ Ein Fluch, der sich ja noch einlöst, auch wenn sie gar nichts dafür kann. Rehman spricht auch immer wieder von seinem übergroßen Vater, der noch viel besser gemalt haben soll als er und steht im Konflikt mit seinen eigenen Söhnen, die nicht in seine Fußstapfen treten wollten. Ich glaube, dass unsere Anwesenheit als Vater-Sohn-Team auch ausgelöst hat, dass irgendwann aus Rehman herausgebrochen ist, wie schmerzlich er die Anwesenheit und den Respekt seiner Söhne vermisst. Das hatte auch damit zu tun, dass er uns zwei Monate lang dabei beobachtet hat, wie wir zusammen arbeiten. Es hat viel bewirkt bei den Leuten, die wir gefilmt haben, dass es hinter der Kamera um etwas Ähnliches ging, wie davor. Was man auch noch anmerken muss ist, dass das Bollywood-Kino ein totaler Familienbusiness ist: Der Vater war in den 20er Jahren Schauspieler, dann ist die Tochter eine wichtige Produzentin geworden, der Sohn ist dann wiederum Regisseur – es sind richtige Dynastien. Najma hatte zum Beispiel direkt Vertrauen zu uns weil wir als Familie aufgetreten sind, da es ihr bekannt vorkam. Davon abgesehen sind die meisten Geschäfte in Indien Familienunternehmen, wie zum Beispiel das Kino oder das Malen, das ja eigentlich auch von Generation zu Generation tradiert werden sollte. Für dieses Projekt war es genau richtig und ich kann mir vorstellen, noch mal mit Georg Regie zu führen, aber wir haben uns nicht vorgenommen, ab jetzt nur noch zusammenzuarbeiten.
FK: Gibt es das Kino jetzt noch?
FHZ: Während der Recherche hieß es, dass das Kino bald verkauft würde. Zwei Wochen bevor wir losfliegen wollten, haben wir einen Anruf bekommen: „Ihr müsst gar nicht mehr kommen. Wir verkaufen das Kino am Wochenende und dann wird es geschlossen.“ Das ist dann aber zum Glück doch nicht passiert. Während wir gedreht haben war die Ansage auch, dass bald Schluss ist. Vier Jahre später gibt es das Kino nun noch immer. Es ist wie ein tapferes kleines Schiff, das sich durch den Sturm kämpft. Heute gibt es noch weniger Zuschauer und mittlerweile wird nur noch ein halbes Poster gemalt – es ist ein Sterben in Raten. Najma betreibt ihr Kino weniger als reines Geschäft, dann hätte sie wahrscheinlich schon vor zehn Jahren schließen müssen. Sie empfindet eine Verantwortung ihren Mitarbeitern gegenüber und sorgt dafür, dass sie weiter ihre Familien ernähren können und dass Rehman weiter malen kann. Es geht darüber hinaus, zu fragen: „Was sind die Quartalszahlen?“. Das Kino ist mehr als nur ein Business.
„Original Copy“ feiert seine Köln-Premiere am 23. Mai um 20:00 Uhr in Anwesenheit der Regisseure im Off Broadway und ist eine Veranstaltung des „Allerweltskinos“.
Weitere Kinotermine findet man auf: www.wfilm.de/original-copy/kinotermine/
Foto: Still aus „Original Copy“ © W-Film, 2015