Interview mit Regisseur Elí Roland Sachs über seinen Film „Bruder Jakob“
Ein junger Mann namens Jakob konvertiert zum Schrecken von Familie und Freunden zum Islam und stößt mit seiner Entscheidung auf viel Unverständnis von den Menschen, die ihn schon lange kennen.
Sein Bruder Elí Roland Sachs ist Regisseur und hat einen Film über ihn gemacht. Die Kamera hat er einerseits genutzt, um die Verwandlung eines ihm mal sehr vertrauten Menschen zu dokumentieren und andererseits als Kommunikationsmittel, um sich dem entfremdeten Bruder wieder anzunähern.
In einem Gespräch mit Claudia Sárkány über den Film, der – Achtung Spoiler-Alert – einen ziemlich unerwarteten Twist enthält, erklärt Elí Roland Sachs unter anderem wie er mit seiner Doppelrolle als Bruder und Regisseur umgegangen ist.
FK: „Bruder Jakob“ ist der Titel deines Films, so heißt auch ein altes Kinderlied. Gibt es da eine Verbindung?
ERS: Der Film beginnt mit einer Email, die mein Bruder mir geschrieben hat, in der er sagt: „Bruder Elí, schläfst du noch? Was ist mit dem Islam, warum bist du kein Moslem geworden?“ Der Film ist für mich eine Antwort auf diese Email, die er mir vor einigen Jahren geschrieben hat. Hinzu kommt, dass die Muslime sich gegenseitig auch Brüder nennen. Also, er ist auch in der Gemeinde der Bruder Jakob. Und er ist mein Bruder Jakob. Dieser Gedanke hat mich immer beschäftigt: Wenn mein Bruder jetzt ganz viele neue muslimische Brüder hat und ich bin kein Moslem, was bin ich dann? Bin ich dann noch ein Bruder für ihn? Bleibe ich der wahre Bruder und die anderen sind keine echten Brüder? Diese Frage – Was ist ein Bruder eigentlich? – hat mich beschäftigt. Der Arbeitstitel des Films war „Tausend und ein Bruder“. Das Wort Bruder war also von Anfang an drin. „Bruder Jakob“ hat dann einfach viel besser gepasst, weil mit dem Lied auch mitschwingt, dass es um ein religiöses Thema geht. Für mich steckt da verdammt viel drin.
FK: Wann hast du dich entschieden, einen Film über deinen Bruder zu machen und gab es einen konkreten Auslöser?
ERS: Der Auslöser war, dass mein Bruder Moslem geworden ist und da dann emotional bei mir und in meinem Umfeld viel passiert ist. Das war einfach ein Zeichen dafür, dass es sich lohnt, da weiter zu forschen. Wir haben aber nicht gleich gefilmt, weil mein Bruder das anfänglich nicht wollte.
FK: Hattest du Skrupel oder Zweifel, ob du so einen persönlichen Film machen kannst oder willst? Im Vergleich zu deinem letzten Film „Atemwege“ zum Beispiel ist „Bruder Jakob“ extrem intim und das ist ja dann auch aus filmemacherischer Sicht ein drastischer Sprung. Hast du zu irgendeinem Zeitpunkt noch überlegt, ob du die Geschehnisse anders bearbeiten könntest?
ERS: Das war auf jeden Fall ein riesiger Sprung für mich und über den ganzen Prozess hinweg bis heute war das ein sehr großer und schwieriger Schritt, der mit viel Emotionen und Ängsten verbunden ist. Ich hab lange Zeit immer wieder überlegt, den Film anders zu erzählen, weg von meinem Bruder, hin zu der Frage, was eigentlich mit Konvertiten passiert. Wenn man aber wirklich ehrlich bleiben will – und das ist für mich ganz wichtig im Dokumentarfilm – hilft es mir zumindest bei einer Person zu bleiben und in ihre Welt einzutauchen. Denn die Frage, warum Leute konvertieren oder was die gesellschaftlichen Auswirkungen sind, ist einfach nicht eindeutig beantwortbar. Was ich auf jeden Fall erkunden kann und dann auch als meine Aufgabe gesehen habe ist, was das mit mir macht und was mein Bruder mit mir macht. Ich habe mir viele Fragen gestellt und kam immer wieder zu der Antwort: Ich muss einen persönlichen Bruderfilm erzählen.
FK: Wie hast du ihn dann doch noch überzeugen können, der Protagonist deines Films zu sein?
ERS: Er hat sich verändert, er hat Festigkeit im Glauben gefunden und kannte sich dann im Islam gut aus. Irgendwann hatte ich das Gefühl, jetzt kann ich ihn noch mal fragen und dann hat er ja gesagt.
FK: War das ein längerer Prozess, herauszufinden, wie du in dem Film auftreten willst – Also, zum Beispiel ob du im Bild in Erscheinung trittst oder nur eine Stimme aus dem Off bist?
ERS: Da ich ja in erster Linie nicht Journalist bin, sondern der Bruder von einem Moslem, war ich überzeugt, dass ich nur dann besonders ehrlich und wahrhaftig sein kann, wenn ich aus einer persönlichen Perspektive erzähle und dass diese im Film vorkommen muss. Da ist auch viel im Schnitt entschieden worden. Die Traumerzählung zum Beispiel, in der ich nur als Stimme auftauche, das war ganz lange gar nicht geplant. Irgendwann hatten wir das Gefühl, ich bin noch zu wenig im Film und muss vor allem mit meiner verletzlichen Seite rein. Nicht als der, der mit Equipment rumläuft und meinen Bruder filmt, sondern ich mit meinen Zweifeln und Sorgen. Ich hatte einen Traum und es erschien mir sehr passend, von dem zu erzählen, weil er meine Ängste in Bildern ausgedrückt hat.
FK: Dein Bruder taucht auch als Stimme aus dem Off auf. Es entsteht ein Dialog zwischen euren beiden Erzählerstimmen, aber der ist nicht spontan. Ihr beide sprecht einen sehr „geschriebenen“ und poetischen Text. Wie bist du da vorgegangen? Hast du deinem Bruder gesagt: Ich möchte, dass du eine Antwort schreibst auf das, was ich geschrieben habe? Wie sind eure Texte entstanden?
ERS: Es macht vielleicht nicht den Eindruck, aber ich habe ein Tagebuch von Jakob bekommen, aus der Zeit in der er konvertiert ist, in dem er bestimmte Gedanken niedergeschrieben hat. Das war für mich eine wichtige Grundlage für den Film. Und im Laufe der Jahre habe ich auch Emails von ihm bekommen. Die Stellen, die mir besonders gefallen haben oder die besonders aussagekräftig waren, habe ich meinen Bruder einsprechen lassen. Später habe ich gemerkt, dass ich auch noch dazukommen muss. Mit meiner Cutterin bin ich darauf gekommen, dass eine Traumebene so was sein könnte. Deswegen sind die Texte ziemlich unabhängig von einander entstanden und erst in der Montage zum Dialog geworden.
FK: In der Art zu erzählen zeigt sich, dass ihr euch doch sehr ähnlich seid. Was eure Selbstverwirklichung angeht, seid ihr unterschiedliche Wege gegangen – du versuchst durch die Kunst, also mit Filmen, das Leben besser zu verstehen, für deinen Bruder ist die Religiosität identitätsstiftend – aber das, was er schreibt, klingt auch sehr literarisch. Ihr seid beide Geschichtenerzähler.
ERS: Viele Leute können unsere Textebenen nicht so richtig auseinanderhalten. Ich finde das gar nicht schlimm, weil ich nicht den Eindruck habe, dass wir gegensätzliche Pole sind, sondern dass wir zwei Formen einer Einheit sind. Ich finde es auch schön, wenn das im Film so rüberkommt, denn dass mein Bruder Moslem geworden ist, ist für viele vielleicht befremdlich, für mich ist es aber nachvollziehbar. Das ist ja ein Teil von jedem von uns, diese Suche nach Halt in einer Gemeinschaft oder nach klaren Antworten oder nach Geborgenheit bei Gott.
FK: Gab es eigentlich abgesehen von Jakob selbst Widerstände in eurer Familie in Bezug auf den Film? Hat da jemand gesagt „Das finde ich blöd!“?
ERS: Ja.
FK: Wie war das?
ERS: Schwierig. (lacht) Da es ja ein Film ist, der sich in einem sehr emotionalen Feld bewegt, ist es natürlich, dass bestimmte Leute das nicht so gut fanden, dass ich weiterbohre und das alles an die Öffentlichkeit bringe. Ich habe versucht, das zu respektieren, so weit ich das konnte und hoffe, dass es mir gelungen ist, alle Parteien respektvoll zu behandeln.
FK: Wie war das denn mit der anderen Familie, ich meine, die muslimische Familie, der Gemeinde? Man hatte den Eindruck, dass du dich da ziemlich frei bewegen kannst und man dir als Filmemacher sehr offen begegnet ist. Warst du da erst ohne Kamera oder war die Haltung innerhalb der Gemeinde gleich: „Oh, du machst einen Film über deinen Bruder und uns? Prima, dann komm vorbei!“?
ERS: Ja, da ist es in der Tat sehr ähnlich, wie es mit meiner Familie war. Es gab viele Ängste, aber ich habe dort in einer Zeit gefilmt, in der mein Bruder ein ganz wertvoller Teil der Gemeinschaft war und sie dachten, wenn ich einen Film über ihn mache, kann das nur positiv sein. Nach der Veränderung meines Bruders sind Zweifel aufgekommen, ob die muslimische Gemeinschaft im Film zuletzt doch in einem schlechten Licht dasteht weil er sich abgewandt hat. Ich empfinde das nicht so, weil sie erstens sehr positiv reagiert und zweitens, weil ich die Schuld nicht bei anderen suche oder deren Verhalten bewerte, sondern mich immer auf meinen Bruder konzentriere.
Anmerkung: In der zweiten Hälfte des Films entscheidet Jakob zur Bahai-Religion zu konvertieren und verlässt seine muslimische Gemeinde.
FK: Wann hat dein Bruder denn innerhalb deines Prozesses entschieden, zum Bahaitum zu konvertieren? Hat sich das schon zu Beginn der Dreharbeiten abgezeichnet, oder war das auch für dich eine totale Überraschung? Wie war deine Reaktion?
ERS: Für mich war das eine Katastrophe. Ich dachte, diesen Film kann ich jetzt nicht mehr machen, weil ich davon ausgegangen bin, einen Film zu machen, in dem ich meinem Bruder innerhalb des Islams näherkomme und als Moslem verstehe und plötzlich war er kein Moslem mehr und das hat mein ganzes Konzept hinterfragt.
FK: Ich dachte an der Stelle des Films: So ein spannender Twist, besser hätte man es nicht planen können.
ERS: Erst nach einer tiefen Krisen habe ich eingesehen, dass das einen Mehrwert hat. Der große Nachteil war – das kann ich nur allen Filmförderanstalten sagen – dass verlangt wird, dass man vorm Dreh schon die ganze Geschichte aufschreibt. Wenn man auch weiß, dass man sich lösen soll, es ist sehr schwer sich von dem, was man lange gebaut hat, zu trennen. In dem Moment dachte ich zuerst: Jetzt muss ich der Filmförderung alles zurückzahlen, ich habe ja ein ganz anderes Konzept geschrieben. Ich hatte noch gar nicht so viel gedreht und es war schon so vieles passiert, das nicht im Konzept stand.
FK: Und wie war deine Reaktion als Elí der Bruder, nicht Elí der Filmemacher, auf Jakobs Entscheidung?
ERS: Ich muss sagen, dass ich da noch viel irritierter war, weil ich meinen Bruder als Moslem gefunden hatte und da so viele schöne Seiten sehen und das gut akzeptieren konnte. In dieser Zeit, in der ich meinen Frieden damit geschlossen habe, hat er von mir verlangt, dass ich mich wieder mit was ganz Neuem auseinandersetze und auch darin als Bruder wiedererkennen kann.
FK: Es geht im Film immer wieder um Ängste und Vorurteile gegenüber etwas, das man nicht kennt und das deshalb bedrohlich wirkt. Es gibt zum Beispiel das wiederkehrende Motiv deines Albtraums von der Hölle, der unter anderem die Entfremdung von deinem Bruder symbolisiert. Auch die Musik erzeugt eine eher düstere Stimmung. Sie ist abwechselnd unheimlich und mystisch, manchmal melancholisch. Stand es jemals zur Debatte den Soundtrack weniger schwermütig und unheilvoll klingen zu lassen und wie hast du da mit dem Komponisten zusammengearbeitet?
ERS: Für uns war irgendwann klar, dass wir mit Orgelmusik arbeiten wollen. Die hat natürlich eine besondere Stimmung. Das Düstere ist für mich eher am Anfang des Films präsent und später wird es etwas leichter. Das ist auch eine Entwicklung, die ich bei meiner Suche im Film empfunden habe, die zu Beginn von Ängsten geprägt war: Mein Bruder ist Salafist! Da gehen die Alarmglocken an und der Horror beginnt. Im Laufe des Films wird dann nicht alles schlimmer sondern verständlicher und der Schrecken löst sich langsam auf in Verständnis und Liebe. Die Musik bringt das zum Ausdruck. Mein Bruder hat übrigens gesagt, dass er die Musik sehr gut findet, gerade diese Schwere, weil die auch seiner Wahrnehmung entspricht. Außerdem hat sie seinen Geschmack getroffen, er liebt Orgelmusik.
FK: Dein Bruder scheint ein musikalischer Typ zu sein. Er fängt im Laufe des Films wieder an Klavier zu spielen und am Ende sitzt er selbst an einer Orgel. Wie kam es dazu?
ERS: Mein Bruder hat immer gerne geschrieben, aber auch genau so viel Musik gemacht. Das war sein Leben – Musik, Schreiben und Freunde. All das hat er, als er Moslem geworden ist, beiseite gelegt. Das hat mich vor die Frage gestellt, was uns überhaupt noch verbindet. Sein Schritt hat außerdem so vieles, das mir wichtig wahr, hinterfragt, weil er zum Beispiel auch das Filmemachen abgelehnt hat. Der Prozess meines Films hat uns ermöglicht, uns einander auch künstlerisch wieder anzunähern. Mein Bruder hatte als Kind den Traum, Organist zu werden. Er hat Klavier gelernt und viel gespielt, aber nie Orgel. Ich habe bei einer Kirche gefragt, ob ein junger Mann mal an die Orgel darf, um ihm einen Kindheitstraum zu erfüllen. Der Mensch von der Kirche war so nett und hat uns das erlaubt. So ist der Moment, der jetzt das Ende des Films ist, entstanden, in dem mein Bruder ganz entgegen meiner Erwartung keine Melodie spielt, sondern sich sozusagen in einem Ton auflöst. Er macht Obertongesänge und wenn seine Stimme und das Instrument zu einer Einheit werden, ist das fast meditativ und untypisch dafür, wie man normalerweise eine Orgel nutzt. Damit hat er mich überrascht.
FK: Das ist besonders berührend an deinem Film, dass man eurer gegenseitigen Wiederannäherung zusehen kann. Es gibt ein Happy End, das auch melancholisch ist. Man hat das Gefühl, ihr seid beide traurig, dass ihr nicht mehr die Brüder aus den alten Videoaufnahmen seid, die zusammen auf Gummibällen durch die Gegend hüpfen
ERS: Wir haben uns natürlich beide verändert, aber da bin ich auch sehr froh drum, dass wir uns trotzdem als neue Menschen und Brüder wieder so nah kommen können.
FK: Wie geht es jetzt bei dir weiter, ist schon das nächste Projekt in Planung?
ERS: So ein Film nimmt einen schon sehr ein. Man identifiziert sich damit und verbringt seine ganze Zeit damit und mein derzeitiges Bestreben ist es, wieder zu mir zu finden und zu gucken, was mich bewegt, was mir gut tut und was ich weiter will. Also, ich suche nicht nach Geschichten, sondern ich suche danach, was mich bewegt und das muss nicht unbedingt ein neuer Film sein.
„Bruder Jakob“ läuft im Rahmen der Kölner Kino Nächte am Sonntag, dem 9. Juli 2017, um 17:30 Uhr, im Odeon.
Foto: Still aus „Bruder Jakob“ © Elí Roland Sachs, 2016
Interview mit Regisseur Elí Roland Sachs über seinen Film „Bruder Jakob“
Ein junger Mann namens Jakob konvertiert zum Schrecken von Familie und Freunden zum Islam und stößt mit seiner Entscheidung auf viel Unverständnis von den Menschen, die ihn schon lange kennen.
Sein Bruder Elí Roland Sachs ist Regisseur und hat einen Film über ihn gemacht. Die Kamera hat er einerseits genutzt, um die Verwandlung eines ihm mal sehr vertrauten Menschen zu dokumentieren und andererseits als Kommunikationsmittel, um sich dem entfremdeten Bruder wieder anzunähern.
In einem Gespräch mit Claudia Sárkány über den Film, der – Achtung Spoiler-Alert – einen ziemlich unerwarteten Twist enthält, erklärt Elí Roland Sachs unter anderem wie er mit seiner Doppelrolle als Bruder und Regisseur umgegangen ist.
FK: „Bruder Jakob“ ist der Titel deines Films, so heißt auch ein altes Kinderlied. Gibt es da eine Verbindung?
ERS: Der Film beginnt mit einer Email, die mein Bruder mir geschrieben hat, in der er sagt: „Bruder Elí, schläfst du noch? Was ist mit dem Islam, warum bist du kein Moslem geworden?“ Der Film ist für mich eine Antwort auf diese Email, die er mir vor einigen Jahren geschrieben hat. Hinzu kommt, dass die Muslime sich gegenseitig auch Brüder nennen. Also, er ist auch in der Gemeinde der Bruder Jakob. Und er ist mein Bruder Jakob. Dieser Gedanke hat mich immer beschäftigt: Wenn mein Bruder jetzt ganz viele neue muslimische Brüder hat und ich bin kein Moslem, was bin ich dann? Bin ich dann noch ein Bruder für ihn? Bleibe ich der wahre Bruder und die anderen sind keine echten Brüder? Diese Frage – Was ist ein Bruder eigentlich? – hat mich beschäftigt. Der Arbeitstitel des Films war „Tausend und ein Bruder“. Das Wort Bruder war also von Anfang an drin. „Bruder Jakob“ hat dann einfach viel besser gepasst, weil mit dem Lied auch mitschwingt, dass es um ein religiöses Thema geht. Für mich steckt da verdammt viel drin.
FK: Wann hast du dich entschieden, einen Film über deinen Bruder zu machen und gab es einen konkreten Auslöser?
ERS: Der Auslöser war, dass mein Bruder Moslem geworden ist und da dann emotional bei mir und in meinem Umfeld viel passiert ist. Das war einfach ein Zeichen dafür, dass es sich lohnt, da weiter zu forschen. Wir haben aber nicht gleich gefilmt, weil mein Bruder das anfänglich nicht wollte.
FK: Hattest du Skrupel oder Zweifel, ob du so einen persönlichen Film machen kannst oder willst? Im Vergleich zu deinem letzten Film „Atemwege“ zum Beispiel ist „Bruder Jakob“ extrem intim und das ist ja dann auch aus filmemacherischer Sicht ein drastischer Sprung. Hast du zu irgendeinem Zeitpunkt noch überlegt, ob du die Geschehnisse anders bearbeiten könntest?
ERS: Das war auf jeden Fall ein riesiger Sprung für mich und über den ganzen Prozess hinweg bis heute war das ein sehr großer und schwieriger Schritt, der mit viel Emotionen und Ängsten verbunden ist. Ich hab lange Zeit immer wieder überlegt, den Film anders zu erzählen, weg von meinem Bruder, hin zu der Frage, was eigentlich mit Konvertiten passiert. Wenn man aber wirklich ehrlich bleiben will – und das ist für mich ganz wichtig im Dokumentarfilm – hilft es mir zumindest bei einer Person zu bleiben und in ihre Welt einzutauchen. Denn die Frage, warum Leute konvertieren oder was die gesellschaftlichen Auswirkungen sind, ist einfach nicht eindeutig beantwortbar. Was ich auf jeden Fall erkunden kann und dann auch als meine Aufgabe gesehen habe ist, was das mit mir macht und was mein Bruder mit mir macht. Ich habe mir viele Fragen gestellt und kam immer wieder zu der Antwort: Ich muss einen persönlichen Bruderfilm erzählen.
FK: Wie hast du ihn dann doch noch überzeugen können, der Protagonist deines Films zu sein?
ERS: Er hat sich verändert, er hat Festigkeit im Glauben gefunden und kannte sich dann im Islam gut aus. Irgendwann hatte ich das Gefühl, jetzt kann ich ihn noch mal fragen und dann hat er ja gesagt.
FK: War das ein längerer Prozess, herauszufinden, wie du in dem Film auftreten willst – Also, zum Beispiel ob du im Bild in Erscheinung trittst oder nur eine Stimme aus dem Off bist?
ERS: Da ich ja in erster Linie nicht Journalist bin, sondern der Bruder von einem Moslem, war ich überzeugt, dass ich nur dann besonders ehrlich und wahrhaftig sein kann, wenn ich aus einer persönlichen Perspektive erzähle und dass diese im Film vorkommen muss. Da ist auch viel im Schnitt entschieden worden. Die Traumerzählung zum Beispiel, in der ich nur als Stimme auftauche, das war ganz lange gar nicht geplant. Irgendwann hatten wir das Gefühl, ich bin noch zu wenig im Film und muss vor allem mit meiner verletzlichen Seite rein. Nicht als der, der mit Equipment rumläuft und meinen Bruder filmt, sondern ich mit meinen Zweifeln und Sorgen. Ich hatte einen Traum und es erschien mir sehr passend, von dem zu erzählen, weil er meine Ängste in Bildern ausgedrückt hat.
FK: Dein Bruder taucht auch als Stimme aus dem Off auf. Es entsteht ein Dialog zwischen euren beiden Erzählerstimmen, aber der ist nicht spontan. Ihr beide sprecht einen sehr „geschriebenen“ und poetischen Text. Wie bist du da vorgegangen? Hast du deinem Bruder gesagt: Ich möchte, dass du eine Antwort schreibst auf das, was ich geschrieben habe? Wie sind eure Texte entstanden?
ERS: Es macht vielleicht nicht den Eindruck, aber ich habe ein Tagebuch von Jakob bekommen, aus der Zeit in der er konvertiert ist, in dem er bestimmte Gedanken niedergeschrieben hat. Das war für mich eine wichtige Grundlage für den Film. Und im Laufe der Jahre habe ich auch Emails von ihm bekommen. Die Stellen, die mir besonders gefallen haben oder die besonders aussagekräftig waren, habe ich meinen Bruder einsprechen lassen. Später habe ich gemerkt, dass ich auch noch dazukommen muss. Mit meiner Cutterin bin ich darauf gekommen, dass eine Traumebene so was sein könnte. Deswegen sind die Texte ziemlich unabhängig von einander entstanden und erst in der Montage zum Dialog geworden.
FK: In der Art zu erzählen zeigt sich, dass ihr euch doch sehr ähnlich seid. Was eure Selbstverwirklichung angeht, seid ihr unterschiedliche Wege gegangen – du versuchst durch die Kunst, also mit Filmen, das Leben besser zu verstehen, für deinen Bruder ist die Religiosität identitätsstiftend – aber das, was er schreibt, klingt auch sehr literarisch. Ihr seid beide Geschichtenerzähler.
ERS: Viele Leute können unsere Textebenen nicht so richtig auseinanderhalten. Ich finde das gar nicht schlimm, weil ich nicht den Eindruck habe, dass wir gegensätzliche Pole sind, sondern dass wir zwei Formen einer Einheit sind. Ich finde es auch schön, wenn das im Film so rüberkommt, denn dass mein Bruder Moslem geworden ist, ist für viele vielleicht befremdlich, für mich ist es aber nachvollziehbar. Das ist ja ein Teil von jedem von uns, diese Suche nach Halt in einer Gemeinschaft oder nach klaren Antworten oder nach Geborgenheit bei Gott.
FK: Gab es eigentlich abgesehen von Jakob selbst Widerstände in eurer Familie in Bezug auf den Film? Hat da jemand gesagt „Das finde ich blöd!“?
ERS: Ja.
FK: Wie war das?
ERS: Schwierig. (lacht) Da es ja ein Film ist, der sich in einem sehr emotionalen Feld bewegt, ist es natürlich, dass bestimmte Leute das nicht so gut fanden, dass ich weiterbohre und das alles an die Öffentlichkeit bringe. Ich habe versucht, das zu respektieren, so weit ich das konnte und hoffe, dass es mir gelungen ist, alle Parteien respektvoll zu behandeln.
FK: Wie war das denn mit der anderen Familie, ich meine, die muslimische Familie, der Gemeinde? Man hatte den Eindruck, dass du dich da ziemlich frei bewegen kannst und man dir als Filmemacher sehr offen begegnet ist. Warst du da erst ohne Kamera oder war die Haltung innerhalb der Gemeinde gleich: „Oh, du machst einen Film über deinen Bruder und uns? Prima, dann komm vorbei!“?
ERS: Ja, da ist es in der Tat sehr ähnlich, wie es mit meiner Familie war. Es gab viele Ängste, aber ich habe dort in einer Zeit gefilmt, in der mein Bruder ein ganz wertvoller Teil der Gemeinschaft war und sie dachten, wenn ich einen Film über ihn mache, kann das nur positiv sein. Nach der Veränderung meines Bruders sind Zweifel aufgekommen, ob die muslimische Gemeinschaft im Film zuletzt doch in einem schlechten Licht dasteht weil er sich abgewandt hat. Ich empfinde das nicht so, weil sie erstens sehr positiv reagiert und zweitens, weil ich die Schuld nicht bei anderen suche oder deren Verhalten bewerte, sondern mich immer auf meinen Bruder konzentriere.
Anmerkung: In der zweiten Hälfte des Films entscheidet Jakob zur Bahai-Religion zu konvertieren und verlässt seine muslimische Gemeinde.
FK: Wann hat dein Bruder denn innerhalb deines Prozesses entschieden, zum Bahaitum zu konvertieren? Hat sich das schon zu Beginn der Dreharbeiten abgezeichnet, oder war das auch für dich eine totale Überraschung? Wie war deine Reaktion?
ERS: Für mich war das eine Katastrophe. Ich dachte, diesen Film kann ich jetzt nicht mehr machen, weil ich davon ausgegangen bin, einen Film zu machen, in dem ich meinem Bruder innerhalb des Islams näherkomme und als Moslem verstehe und plötzlich war er kein Moslem mehr und das hat mein ganzes Konzept hinterfragt.
FK: Ich dachte an der Stelle des Films: So ein spannender Twist, besser hätte man es nicht planen können.
ERS: Erst nach einer tiefen Krisen habe ich eingesehen, dass das einen Mehrwert hat. Der große Nachteil war – das kann ich nur allen Filmförderanstalten sagen – dass verlangt wird, dass man vorm Dreh schon die ganze Geschichte aufschreibt. Wenn man auch weiß, dass man sich lösen soll, es ist sehr schwer sich von dem, was man lange gebaut hat, zu trennen. In dem Moment dachte ich zuerst: Jetzt muss ich der Filmförderung alles zurückzahlen, ich habe ja ein ganz anderes Konzept geschrieben. Ich hatte noch gar nicht so viel gedreht und es war schon so vieles passiert, das nicht im Konzept stand.
FK: Und wie war deine Reaktion als Elí der Bruder, nicht Elí der Filmemacher, auf Jakobs Entscheidung?
ERS: Ich muss sagen, dass ich da noch viel irritierter war, weil ich meinen Bruder als Moslem gefunden hatte und da so viele schöne Seiten sehen und das gut akzeptieren konnte. In dieser Zeit, in der ich meinen Frieden damit geschlossen habe, hat er von mir verlangt, dass ich mich wieder mit was ganz Neuem auseinandersetze und auch darin als Bruder wiedererkennen kann.
FK: Es geht im Film immer wieder um Ängste und Vorurteile gegenüber etwas, das man nicht kennt und das deshalb bedrohlich wirkt. Es gibt zum Beispiel das wiederkehrende Motiv deines Albtraums von der Hölle, der unter anderem die Entfremdung von deinem Bruder symbolisiert. Auch die Musik erzeugt eine eher düstere Stimmung. Sie ist abwechselnd unheimlich und mystisch, manchmal melancholisch. Stand es jemals zur Debatte den Soundtrack weniger schwermütig und unheilvoll klingen zu lassen und wie hast du da mit dem Komponisten zusammengearbeitet?
ERS: Für uns war irgendwann klar, dass wir mit Orgelmusik arbeiten wollen. Die hat natürlich eine besondere Stimmung. Das Düstere ist für mich eher am Anfang des Films präsent und später wird es etwas leichter. Das ist auch eine Entwicklung, die ich bei meiner Suche im Film empfunden habe, die zu Beginn von Ängsten geprägt war: Mein Bruder ist Salafist! Da gehen die Alarmglocken an und der Horror beginnt. Im Laufe des Films wird dann nicht alles schlimmer sondern verständlicher und der Schrecken löst sich langsam auf in Verständnis und Liebe. Die Musik bringt das zum Ausdruck. Mein Bruder hat übrigens gesagt, dass er die Musik sehr gut findet, gerade diese Schwere, weil die auch seiner Wahrnehmung entspricht. Außerdem hat sie seinen Geschmack getroffen, er liebt Orgelmusik.
FK: Dein Bruder scheint ein musikalischer Typ zu sein. Er fängt im Laufe des Films wieder an Klavier zu spielen und am Ende sitzt er selbst an einer Orgel. Wie kam es dazu?
ERS: Mein Bruder hat immer gerne geschrieben, aber auch genau so viel Musik gemacht. Das war sein Leben – Musik, Schreiben und Freunde. All das hat er, als er Moslem geworden ist, beiseite gelegt. Das hat mich vor die Frage gestellt, was uns überhaupt noch verbindet. Sein Schritt hat außerdem so vieles, das mir wichtig wahr, hinterfragt, weil er zum Beispiel auch das Filmemachen abgelehnt hat. Der Prozess meines Films hat uns ermöglicht, uns einander auch künstlerisch wieder anzunähern. Mein Bruder hatte als Kind den Traum, Organist zu werden. Er hat Klavier gelernt und viel gespielt, aber nie Orgel. Ich habe bei einer Kirche gefragt, ob ein junger Mann mal an die Orgel darf, um ihm einen Kindheitstraum zu erfüllen. Der Mensch von der Kirche war so nett und hat uns das erlaubt. So ist der Moment, der jetzt das Ende des Films ist, entstanden, in dem mein Bruder ganz entgegen meiner Erwartung keine Melodie spielt, sondern sich sozusagen in einem Ton auflöst. Er macht Obertongesänge und wenn seine Stimme und das Instrument zu einer Einheit werden, ist das fast meditativ und untypisch dafür, wie man normalerweise eine Orgel nutzt. Damit hat er mich überrascht.
FK: Das ist besonders berührend an deinem Film, dass man eurer gegenseitigen Wiederannäherung zusehen kann. Es gibt ein Happy End, das auch melancholisch ist. Man hat das Gefühl, ihr seid beide traurig, dass ihr nicht mehr die Brüder aus den alten Videoaufnahmen seid, die zusammen auf Gummibällen durch die Gegend hüpfen
ERS: Wir haben uns natürlich beide verändert, aber da bin ich auch sehr froh drum, dass wir uns trotzdem als neue Menschen und Brüder wieder so nah kommen können.
FK: Wie geht es jetzt bei dir weiter, ist schon das nächste Projekt in Planung?
ERS: So ein Film nimmt einen schon sehr ein. Man identifiziert sich damit und verbringt seine ganze Zeit damit und mein derzeitiges Bestreben ist es, wieder zu mir zu finden und zu gucken, was mich bewegt, was mir gut tut und was ich weiter will. Also, ich suche nicht nach Geschichten, sondern ich suche danach, was mich bewegt und das muss nicht unbedingt ein neuer Film sein.
„Bruder Jakob“ läuft im Rahmen der Kölner Kino Nächte am Sonntag, dem 9. Juli 2017, um 17:30 Uhr, im Odeon.
Foto: Still aus „Bruder Jakob“ © Elí Roland Sachs, 2016