Ein Blick hinter die Kulissen von Schule – Interview mit Jakob Schmidt zu seinem Film „Zwischen den Stühlen“
Der Regisseur Jakob Schmidt hat sein Studium an der Filmuniversität Babelsberg mit einem abendfüllenden Dokumentarfilm über Referendare abgeschlossen. „Zwischen den Stühlen“ heißt der Film, für den er zwei Jahre lang drei angehende Lehrer an einer Grundschule, einer Gesamtschule und einem Gymnasium in Berlin begleitet hat. Claudia Sárkány von Filmszene Köln hat ihn zu seinem Debüt interviewt und mit ihm über Beruf und Berufung gesprochen.
Filmszene Köln: Was hat dich dazu inspiriert einen Film über Referendare zu machen?
Jakob Schmidt: Es gibt eine langweilige Antwort, die gut klingt. Ich bin Lehrerkind. Mein Vater ist Sonderschullehrer. Was ich bis vor kurzem gar nicht wusste – Meine Mutter hat mir neulich erzählt, dass sie ihr Lehramtsstudium abgebrochen hat. Also, es scheint irgendwie in der DNA dieser Familie zu liegen, aber der Impuls war vielmehr das, was ich selber in meiner Schulzeit erlebt habe. Ich war Schülerzeitungsredakteur und habe da immer sehr aufmerksam mein Umfeld beobachtet. Schon aus der Schülerperspektive fand ich Referendare immer spannend. Einige von denen sind merkwürdiger geworden mit der Zeit, auch die, von denen man dachte: Die sind doch talentiert, die können was entflammen in ihrem Gegenüber, denen macht das Freude und die kommunizieren gerne. All das hat bei einigen stark abgenommen durch diese zwei Jahre hindurch.
FK: Dann hat deine Recherche für den Film ja sehr früh begonnen.
JS: Ja, hat sie. Ein Erlebnis hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen: Wir hatten eine Lehrerin, die wir alle toll fanden, und die hat zwei Wochen vor ihrer Referendariatsprüfung angefangen mit uns wie für ein Theaterstück zu proben – wer meldet sich wann, wer sagt wann lieber nichts – und das war völlig absurd weil die ja eigentlich gut war. Die hat sich plötzlich total verkrampft und dann habe ich mich gefragt: Was für Anforderungen werden da an Lehrer in der Ausbildung gestellt? Generell geht es mir in meinem Film eigentlich nicht um das Referendariat an sich, sondern um einen Blick hinter die Kulissen von Schule.
FK: Das führt direkt zu meiner nächsten Frage, nämlich ob das Thema und der fokussierte Blick auf die Referendare direkt fest standen. Du hättest ja auch noch über den Hausmeister oder mehr über die Schüler erzählen können.
JS: Das war mir früh klar. Ich fand einfach extrem spannend, dass die in einer Doppelrolle sind – in einer „Zwittersituation“, wie die Ausbilderin im Film das nennt. Ich hatte den Eindruck, die blicken immer aus der Perspektive von Schülern und Lehrern gleichzeitig auf dieses System. So hat sich das beim Dreh auch bestätigt. Zum Beispiel gibt es eine Szene mit der Protagonistin Anna, der Grundschullehrerin, im Gespräch mit der Seminarleiterin, die zu ihr sagt: „Das wird wahrscheinlich nichts.“ Anna fleht sie dann an: „Sagen Sie mir doch, was ich tun kann. Ich will die Prüfung gerne bestehen, ich engagiere mich, ich mache alles, zeigen Sie mir einen Weg auf.“ Genau dieselbe Situation, wie in einem Spiegel, gab es mit dem Schüler Onur. Der sagt zu Ralf (einem der drei Protagonisten, Referendar an einem Gymnasium): „Was kann ich machen? Meine Mutter erhängt mich. Ich halte 20 Referate, wenn sie wollen. Ich engagiere mich, ich will ja dass das klappt.“
FK: Wie bist du bei der Suche nach deinen Protagonisten vorgegangen?
JS: Ich wollte unbedingt von Anfang an dabei sein, um nicht zu verpassen, wie zum Beispiel der Eid geschworen wird und ich wollte auch sehen wie die Referendare ihre erste Stunde halten und wie aufgeregt sie da sind. Erst mal musste ich viel Überzeugungsarbeit bei den Behörden leisten, aber dann wurde mir erlaubt, einen Brief an alle angehenden Referendare in Berlin zu formulieren, der mit dem Zulassungsschreiben verschickt wurde. Dann war ich sehr nervös, weil ich gar nicht einschätzen konnte, ob es jemanden gibt, der sich das antun will, also, sich gerade in dieser existenziellen Zeit begleiten zu lassen. Es haben sich aber überraschend viele zurückgemeldet. Ca. 25 Leute. Da habe ich dann immer direkt gesagt: „Toll, freut mich, dass du da Interesse hast, ich komme mit der Kamera vorbei und interviewe dich.“
FK: Du hast sie also gecastet.
JS: Ja, ich habe im ersten Gespräch gesagt: „Ich will wissen, was für eine Vorstellung du hast, von dem, was im Referendariat und im Lehrerberuf auf dich zukommt, worum es dir da geht und ob das für dich eine Herzensangelegenheit ist.“ Ich dachte, da können sie ein Gefühl dafür bekommen, ob sie sich wirklich darauf einlassen wollen, zusätzlich noch aus einer weiteren Perspektive beobachtet zu werden. Und ich konnte gucken, ob das Leute sind, die mich wirklich faszinieren. Meine Protagonisten sind Menschen, die auf irgendeine Art auch Helden für mich sind. So unterschiedlich die drei auch sein mögen, sie haben gemeinsam, dass sie sich bewusst für diesen Beruf entschieden haben, dass sie dafür brennen und das nicht einfach so aus Mangel an Alternativen machen oder weil ihnen nichts Besseres eingefallen ist. Es gibt ja viele Leute die Lehramt als allerletzte Option von 1000 anderen studieren oder weil ihre Eltern ihnen gesagt haben: „Mach das mal lieber!“. Die haben mich Null Komma Null interessiert. Wir haben uns zum Teil schon beim ersten Treffen sehr lang und intensiv unterhalten. Teile daraus sind im Film gelandet. Was Anna in einer Szene erzählt, dass gute Leute den Job machen sollen und dass sie furchtbar findet wenn andere Lehrer ihr sagen „Schrei störende Schüler einfach an und setz sie vor die Tür“ und dass das System nur darauf ausgerichtet ist, verwertbares Humankapital zu schaffen, damit konnte ich so viel anfangen. Das hat sie alles schon in ihrem ersten Interview gesagt.
FK: Hast du noch mehr Referendare gefilmt als die drei, die jetzt deine Hauptfiguren sind?
JS: Wir haben mit deutlich mehr Leuten angefangen. Acht oder neun haben wir begleitet am Anfang weil, es so viele Unsicherheiten gibt. Es gibt ja hunderte von Leuten, denen die Referendare begegnen, die alle mehrheitlich einverstanden sein müssen mit dem Projekt.
FK: Die Dreharbeiten waren also auch extrem umfangreich.
JS: Ja das waren sie, weil man nicht wusste: Halten die das so lange durch mit diesem Filmprojekt, kommen die in eine Umgebung im Lehrerzimmer oder in den Klassenzimmern, wo das Projekt kritisch betrachtet wird? Wenn zu viele Eltern sagen „Ich möchte nicht, dass mein Kind in diesem Film auftaucht“, kannst du es nicht mehr machen. Insgesamt kam das Projekt aber sehr gut an, was mich positiv überrascht hat. Es gab auch Fälle, wo sich ausgezahlt hat, dass wir dachten, wir müssen ein bisschen Puffer einbauen. Es gab eine Protagonistin, da mussten wir nach einem halben Jahr aufhören zu filmen, weil der Schulleiter ihr zu verstehen gegeben hat, dass er von dem Projekt nichts hält. Sie musste alle zwei Wochen bei ihm sitzen und sich anhören wie arrogant er es von ihr findet, dass sie sich zutraut das Referendariat zu machen und gleichzeitig dieses Filmprojekt. Es war klar, dass er ihr, wenn er sie bewertet und das Projekt nicht mag, schaden kann. Dann mussten wir den Dreh abbrechen. Es gab noch ein paar Leute, die zwei Wochen später angerufen haben und gesagt „Ich verbiete Ihnen, das Material zu benutzen, ich möchte nichts mehr mit diesem Filmprojekt zu tun haben“, aber das war eher die Ausnahme.
FK: Dass alle scheinbar entspannt mitgemacht haben, ist einer der Gründe, die den Film zu so etwas Besonderem machen – er hat etwas Müheloses. Die Figuren sind locker und lebendig und kommen total unterstellt rüber. Das Verhältnis zu den Protagonisten wirkt vertraut und man bekommt den Eindruck, dass die gegenseitige Wertschätzung groß ist.
JS: Das ist auch so.
FK: Ich habe mich gefragt, ob ihr ständig da wart. Auch die Schüler reagieren überhaupt nicht auf die Kamera, und verhalten sich, als gäbe es gar kein Filmteam im Klassenzimmer.
JS: Das hat mich im Vorfeld auch wahnsinnig beschäftigt und ich habe viel überlegt, ob man mit den Schülern erst noch Übungen machen sollte oder erst mal drei Wochen da sein muss, damit sie sich an einen gewöhnen, aber es war viel unkomplizierter als gedacht. Unsere Anwesenheit war ganz schnell selbstverständlich. Die drei Protagonisten wurden schon oft in Interviews gefragt „War dieses Filmteam nicht eine krasse Zusatzbelastung für euch?“ oder „Habt ihr das Gefühl, dass ihr euch da authentisch verhalten konntet?“. Sie haben dann immer geantwortet: „Ja, absolut, weil wir da ganz andere Sachen zu tun hatten und viel dringlichere Probleme hatten.“ Zum Beispiel 25-30 Leute, die Aufmerksamkeit fordern und dann hinten im Klassenzimmer noch sozusagen diese „Lehrerlehrer“, die sie kritisch beäugen. Das Kamerateam war für sie ganz schnell aus der Wahrnehmung verschwunden. Darüber hinaus haben sie uns auch immer mit was Freundschaftlichem und Positiven assoziiert. Wir waren zwar auch Beobachter, aber nicht aus einer Bewertungsperspektive. Auch in den Lehrerkollegien hatte ich das Gefühl, dass viele sich gefreut haben darüber, dass sich jemand für ihre Arbeit interessiert und sie vor der Kamera bestimmte Sachen, so wie ihren Frust oder eine bestimmte Haltung, mit der sie in dem Beruf arbeiten, mal verbalisieren können. Es gab wirklich viel mehr erfreuliche Erlebnisse als unerfreuliche. Bei ein paar Seminarleitern hatte ich den Eindruck, dass die sich vielleicht ein bisschen verstellt haben. Insgesamt habe ich aber größte Anerkennung dafür, dass die sich da alle so offen zeigen.
FK: Ist das auch ein Seminarleiter an Ralfs Schule, der immer so coole Sprüche macht?
JS: Das ist ein Schulleiter und der ist wirklich so. Der ist sowohl im Kollegium als auch von den Schülern sehr geschätzt. Der führt seinen Beruf mit viel Überzeugung aus und mit Leidenschaft.
FK: Da wir viel über Beruf und Berufung gesprochen haben – wie ist es denn mit deiner Berufswahl? Wolltest du schon immer Filmemacher werden, oder hast du mal überlegt, ob beispielsweise Lehrer sein auch was für dich sein könnte?
JS: Lehrer wollte ich nie werden, weil ich schon auf die Ausbildung keine Lust hätte. Ich habe lange im Journalismus gearbeitet und mich dafür sehr interessiert. Was ich aber am Filmemachen noch spannender finde ist, dass man sich auch mehrere Jahre lang mit einem Thema beschäftigen kann. Ich finde die Idee einfach toll, dass man intensiv Zeit in anderen Welten verbringt und auf diese Weise viele Leben lebt. Die Grenzen zum Journalismus sind natürlich schwimmend. Vielleicht ändert sich das noch mal, aber der Gedanke, dass es so etwas wie Objektivität gibt, ist für mich sowieso verdächtig. Manche reden sich ja ein, dass es eine fassbare Wahrheit gibt, aber das finde ich albern. Sowohl beim Spielfilm als auch beim Dokumentarfilm will man ja auch die Wahrheit erzählen, aber eben aus der eigenen subjektiven Perspektive heraus.
FK: Ist bei dir schon was Neues in Planung?
JS: Ich schreibe gerade an einem Drehbuch für einen Spielfilm.
FK: Hat das irgendwas mit Lehrern zu tun?
JS: Gar nichts, nicht im Entferntesten.
Ein Blick hinter die Kulissen von Schule – Interview mit Jakob Schmidt zu seinem Film „Zwischen den Stühlen“
Der Regisseur Jakob Schmidt hat sein Studium an der Filmuniversität Babelsberg mit einem abendfüllenden Dokumentarfilm über Referendare abgeschlossen. „Zwischen den Stühlen“ heißt der Film, für den er zwei Jahre lang drei angehende Lehrer an einer Grundschule, einer Gesamtschule und einem Gymnasium in Berlin begleitet hat. Claudia Sárkány von Filmszene Köln hat ihn zu seinem Debüt interviewt und mit ihm über Beruf und Berufung gesprochen.
Filmszene Köln: Was hat dich dazu inspiriert einen Film über Referendare zu machen?
Jakob Schmidt: Es gibt eine langweilige Antwort, die gut klingt. Ich bin Lehrerkind. Mein Vater ist Sonderschullehrer. Was ich bis vor kurzem gar nicht wusste – Meine Mutter hat mir neulich erzählt, dass sie ihr Lehramtsstudium abgebrochen hat. Also, es scheint irgendwie in der DNA dieser Familie zu liegen, aber der Impuls war vielmehr das, was ich selber in meiner Schulzeit erlebt habe. Ich war Schülerzeitungsredakteur und habe da immer sehr aufmerksam mein Umfeld beobachtet. Schon aus der Schülerperspektive fand ich Referendare immer spannend. Einige von denen sind merkwürdiger geworden mit der Zeit, auch die, von denen man dachte: Die sind doch talentiert, die können was entflammen in ihrem Gegenüber, denen macht das Freude und die kommunizieren gerne. All das hat bei einigen stark abgenommen durch diese zwei Jahre hindurch.
FK: Dann hat deine Recherche für den Film ja sehr früh begonnen.
JS: Ja, hat sie. Ein Erlebnis hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen: Wir hatten eine Lehrerin, die wir alle toll fanden, und die hat zwei Wochen vor ihrer Referendariatsprüfung angefangen mit uns wie für ein Theaterstück zu proben – wer meldet sich wann, wer sagt wann lieber nichts – und das war völlig absurd weil die ja eigentlich gut war. Die hat sich plötzlich total verkrampft und dann habe ich mich gefragt: Was für Anforderungen werden da an Lehrer in der Ausbildung gestellt? Generell geht es mir in meinem Film eigentlich nicht um das Referendariat an sich, sondern um einen Blick hinter die Kulissen von Schule.
FK: Das führt direkt zu meiner nächsten Frage, nämlich ob das Thema und der fokussierte Blick auf die Referendare direkt fest standen. Du hättest ja auch noch über den Hausmeister oder mehr über die Schüler erzählen können.
JS: Das war mir früh klar. Ich fand einfach extrem spannend, dass die in einer Doppelrolle sind – in einer „Zwittersituation“, wie die Ausbilderin im Film das nennt. Ich hatte den Eindruck, die blicken immer aus der Perspektive von Schülern und Lehrern gleichzeitig auf dieses System. So hat sich das beim Dreh auch bestätigt. Zum Beispiel gibt es eine Szene mit der Protagonistin Anna, der Grundschullehrerin, im Gespräch mit der Seminarleiterin, die zu ihr sagt: „Das wird wahrscheinlich nichts.“ Anna fleht sie dann an: „Sagen Sie mir doch, was ich tun kann. Ich will die Prüfung gerne bestehen, ich engagiere mich, ich mache alles, zeigen Sie mir einen Weg auf.“ Genau dieselbe Situation, wie in einem Spiegel, gab es mit dem Schüler Onur. Der sagt zu Ralf (einem der drei Protagonisten, Referendar an einem Gymnasium): „Was kann ich machen? Meine Mutter erhängt mich. Ich halte 20 Referate, wenn sie wollen. Ich engagiere mich, ich will ja dass das klappt.“
FK: Wie bist du bei der Suche nach deinen Protagonisten vorgegangen?
JS: Ich wollte unbedingt von Anfang an dabei sein, um nicht zu verpassen, wie zum Beispiel der Eid geschworen wird und ich wollte auch sehen wie die Referendare ihre erste Stunde halten und wie aufgeregt sie da sind. Erst mal musste ich viel Überzeugungsarbeit bei den Behörden leisten, aber dann wurde mir erlaubt, einen Brief an alle angehenden Referendare in Berlin zu formulieren, der mit dem Zulassungsschreiben verschickt wurde. Dann war ich sehr nervös, weil ich gar nicht einschätzen konnte, ob es jemanden gibt, der sich das antun will, also, sich gerade in dieser existenziellen Zeit begleiten zu lassen. Es haben sich aber überraschend viele zurückgemeldet. Ca. 25 Leute. Da habe ich dann immer direkt gesagt: „Toll, freut mich, dass du da Interesse hast, ich komme mit der Kamera vorbei und interviewe dich.“
FK: Du hast sie also gecastet.
JS: Ja, ich habe im ersten Gespräch gesagt: „Ich will wissen, was für eine Vorstellung du hast, von dem, was im Referendariat und im Lehrerberuf auf dich zukommt, worum es dir da geht und ob das für dich eine Herzensangelegenheit ist.“ Ich dachte, da können sie ein Gefühl dafür bekommen, ob sie sich wirklich darauf einlassen wollen, zusätzlich noch aus einer weiteren Perspektive beobachtet zu werden. Und ich konnte gucken, ob das Leute sind, die mich wirklich faszinieren. Meine Protagonisten sind Menschen, die auf irgendeine Art auch Helden für mich sind. So unterschiedlich die drei auch sein mögen, sie haben gemeinsam, dass sie sich bewusst für diesen Beruf entschieden haben, dass sie dafür brennen und das nicht einfach so aus Mangel an Alternativen machen oder weil ihnen nichts Besseres eingefallen ist. Es gibt ja viele Leute die Lehramt als allerletzte Option von 1000 anderen studieren oder weil ihre Eltern ihnen gesagt haben: „Mach das mal lieber!“. Die haben mich Null Komma Null interessiert. Wir haben uns zum Teil schon beim ersten Treffen sehr lang und intensiv unterhalten. Teile daraus sind im Film gelandet. Was Anna in einer Szene erzählt, dass gute Leute den Job machen sollen und dass sie furchtbar findet wenn andere Lehrer ihr sagen „Schrei störende Schüler einfach an und setz sie vor die Tür“ und dass das System nur darauf ausgerichtet ist, verwertbares Humankapital zu schaffen, damit konnte ich so viel anfangen. Das hat sie alles schon in ihrem ersten Interview gesagt.
FK: Hast du noch mehr Referendare gefilmt als die drei, die jetzt deine Hauptfiguren sind?
JS: Wir haben mit deutlich mehr Leuten angefangen. Acht oder neun haben wir begleitet am Anfang weil, es so viele Unsicherheiten gibt. Es gibt ja hunderte von Leuten, denen die Referendare begegnen, die alle mehrheitlich einverstanden sein müssen mit dem Projekt.
FK: Die Dreharbeiten waren also auch extrem umfangreich.
JS: Ja das waren sie, weil man nicht wusste: Halten die das so lange durch mit diesem Filmprojekt, kommen die in eine Umgebung im Lehrerzimmer oder in den Klassenzimmern, wo das Projekt kritisch betrachtet wird? Wenn zu viele Eltern sagen „Ich möchte nicht, dass mein Kind in diesem Film auftaucht“, kannst du es nicht mehr machen. Insgesamt kam das Projekt aber sehr gut an, was mich positiv überrascht hat. Es gab auch Fälle, wo sich ausgezahlt hat, dass wir dachten, wir müssen ein bisschen Puffer einbauen. Es gab eine Protagonistin, da mussten wir nach einem halben Jahr aufhören zu filmen, weil der Schulleiter ihr zu verstehen gegeben hat, dass er von dem Projekt nichts hält. Sie musste alle zwei Wochen bei ihm sitzen und sich anhören wie arrogant er es von ihr findet, dass sie sich zutraut das Referendariat zu machen und gleichzeitig dieses Filmprojekt. Es war klar, dass er ihr, wenn er sie bewertet und das Projekt nicht mag, schaden kann. Dann mussten wir den Dreh abbrechen. Es gab noch ein paar Leute, die zwei Wochen später angerufen haben und gesagt „Ich verbiete Ihnen, das Material zu benutzen, ich möchte nichts mehr mit diesem Filmprojekt zu tun haben“, aber das war eher die Ausnahme.
FK: Dass alle scheinbar entspannt mitgemacht haben, ist einer der Gründe, die den Film zu so etwas Besonderem machen – er hat etwas Müheloses. Die Figuren sind locker und lebendig und kommen total unterstellt rüber. Das Verhältnis zu den Protagonisten wirkt vertraut und man bekommt den Eindruck, dass die gegenseitige Wertschätzung groß ist.
JS: Das ist auch so.
FK: Ich habe mich gefragt, ob ihr ständig da wart. Auch die Schüler reagieren überhaupt nicht auf die Kamera, und verhalten sich, als gäbe es gar kein Filmteam im Klassenzimmer.
JS: Das hat mich im Vorfeld auch wahnsinnig beschäftigt und ich habe viel überlegt, ob man mit den Schülern erst noch Übungen machen sollte oder erst mal drei Wochen da sein muss, damit sie sich an einen gewöhnen, aber es war viel unkomplizierter als gedacht. Unsere Anwesenheit war ganz schnell selbstverständlich. Die drei Protagonisten wurden schon oft in Interviews gefragt „War dieses Filmteam nicht eine krasse Zusatzbelastung für euch?“ oder „Habt ihr das Gefühl, dass ihr euch da authentisch verhalten konntet?“. Sie haben dann immer geantwortet: „Ja, absolut, weil wir da ganz andere Sachen zu tun hatten und viel dringlichere Probleme hatten.“ Zum Beispiel 25-30 Leute, die Aufmerksamkeit fordern und dann hinten im Klassenzimmer noch sozusagen diese „Lehrerlehrer“, die sie kritisch beäugen. Das Kamerateam war für sie ganz schnell aus der Wahrnehmung verschwunden. Darüber hinaus haben sie uns auch immer mit was Freundschaftlichem und Positiven assoziiert. Wir waren zwar auch Beobachter, aber nicht aus einer Bewertungsperspektive. Auch in den Lehrerkollegien hatte ich das Gefühl, dass viele sich gefreut haben darüber, dass sich jemand für ihre Arbeit interessiert und sie vor der Kamera bestimmte Sachen, so wie ihren Frust oder eine bestimmte Haltung, mit der sie in dem Beruf arbeiten, mal verbalisieren können. Es gab wirklich viel mehr erfreuliche Erlebnisse als unerfreuliche. Bei ein paar Seminarleitern hatte ich den Eindruck, dass die sich vielleicht ein bisschen verstellt haben. Insgesamt habe ich aber größte Anerkennung dafür, dass die sich da alle so offen zeigen.
FK: Ist das auch ein Seminarleiter an Ralfs Schule, der immer so coole Sprüche macht?
JS: Das ist ein Schulleiter und der ist wirklich so. Der ist sowohl im Kollegium als auch von den Schülern sehr geschätzt. Der führt seinen Beruf mit viel Überzeugung aus und mit Leidenschaft.
FK: Da wir viel über Beruf und Berufung gesprochen haben – wie ist es denn mit deiner Berufswahl? Wolltest du schon immer Filmemacher werden, oder hast du mal überlegt, ob beispielsweise Lehrer sein auch was für dich sein könnte?
JS: Lehrer wollte ich nie werden, weil ich schon auf die Ausbildung keine Lust hätte. Ich habe lange im Journalismus gearbeitet und mich dafür sehr interessiert. Was ich aber am Filmemachen noch spannender finde ist, dass man sich auch mehrere Jahre lang mit einem Thema beschäftigen kann. Ich finde die Idee einfach toll, dass man intensiv Zeit in anderen Welten verbringt und auf diese Weise viele Leben lebt. Die Grenzen zum Journalismus sind natürlich schwimmend. Vielleicht ändert sich das noch mal, aber der Gedanke, dass es so etwas wie Objektivität gibt, ist für mich sowieso verdächtig. Manche reden sich ja ein, dass es eine fassbare Wahrheit gibt, aber das finde ich albern. Sowohl beim Spielfilm als auch beim Dokumentarfilm will man ja auch die Wahrheit erzählen, aber eben aus der eigenen subjektiven Perspektive heraus.
FK: Ist bei dir schon was Neues in Planung?
JS: Ich schreibe gerade an einem Drehbuch für einen Spielfilm.
FK: Hat das irgendwas mit Lehrern zu tun?
JS: Gar nichts, nicht im Entferntesten.