Traditionelle, von Männern erdachte und geprägte Rollenbilder sehen vor, dass Frauen gesittet, ruhig und folgsam sind. Was sie nicht vorsehen: Wut und Raserei, höchstens bei „Hysterikerinnen“. Das Internationale Frauen Film Fest Dortmund+Köln, das in diesem Jahr vom 16. bis 21. April in Köln stattfindet, denkt in der Sektion Fokus: Rage & Horror darüber nach, wie man Wut als Reaktion auf Krisen und den damit verbundenen Horror produktiv nutzen kann.
Das Motiv der wütenden, wehrhaften Frau zieht sich durch die Filmgeschichte, wie bereits der Ein-Minüter The Dairymaid’s Revenge von 1899 beweist. Darin wehrt sich eine Milchmagd gegen Belästigung durch einen Mann, indem sie den Kerl mit ihrer nassen Ware überschüttet. Dies ist Teil des Kurzfilmprogramms Wütende Stummfilm-Pionier*innen (19. April, 18 Uhr, Filmforum NRW). Dieses umfasst acht Beiträge aus den Jahren 1899 und bis 1921. Der neueste Film ist auch der längste: Gehen die anderen Beiträge zwischen einer und acht Minuten, so dauert L’uomo Meccanico (1921) 40 Minuten – was auch daran liegt, dass es sich um das erhaltene Fragment eines Langfilms handelt, genauer gesagt um eine Filmrolle, die etwas mehr als das letzte Drittel des verschollenen Gesamtfilms ausmacht. Zu sehen ist der Showdown der italienischen Science-Fiction-Werks: Eine Bandenführerin hat einen Riesenroboter in ihre Gewalt gebracht und steuert ihn auf einen Maskenball zu. Diese Frau verspürt Wut und Raserei, ist aber die Antagonistin des Stücks.
Ganz anders dagegen sieht es in9 to 5 alias Warum eigentlich… bringen wir den Chef nicht um? (1980) aus. Drei Büroangestellte (Jane Fonda, Lily Tomlin, Dolly Parton) leiden unter ihrem intriganten, sexistischen und egofixierten Vorgesetzten. Könnte Mord die Lösung sein, wie es der deutsche Titel dieses Comedy-Klassikers suggeriert? Oder zumindest eine Entfürhung? Jedenfalls bewährt sich weibliche Solidarität im Angesicht männlicher Seilschaften (21. April, 16 Uhr, Filmhaus). Direkt im Anschluss noch ein Film der 1980er-Jahre, dieses Mal aus der Tschechoslowakei:Die Wolfsbaude (1986). Eine Gruppe von jugendlichen Skifahrer*innen wird mit ihren drei Skilehrer*innen in einer entlegenen Hütte eingeschneit. Doch das ist erst der Anfang, als das Lehrpersonal eine Willkürherrschaft in dem abgetrennten Mikrokosmos errichtet, in dem die Jugendlichen wahlweise privilegiert oder abgewertet werden, auf jeden Fall gegeneinander aufgehetzt werden, wobei eine Person aus ihrem Kreis zum Sündenbock erklärt und getötet werden soll. Eine Satire über totalitäre Systeme, inszeniert mit den Mitteln des Horrorfilms (21. April, 18 Uhr, Filmhaus).
Ebenfalls mit den Mitteln des Horrorfilms ist das böse Schlitzerstück Prevenge (2016). Die schwangere, frisch verwitwete Ruth, gespielt von Regisseurin und Drehbuchautorin Alice Lowe, wird zur Serienmörderin – vermeintlich angetrieben von der Stimme ihres ungeborenen Kindes. Lowe verarbeitete damit Erfahrungen aus ihrer eigenen Schwangerschaft, die sie zuvor nicht auf der Leinwand repräsentiert sah (17. April, 18 Uhr, Filmhaus).
Weitere „Rage & Horror“-Filme neueren Produktionsdatums im Programm: Hellbender (2021), ein Punk-Rock-Coming-of-Age-Horrorfilm über Familienbande und Selbstbestimmung (20. April, 20.30 Uhr, Filmhaus); Tiger Stripes (2023) aus Malaysia, der auch schon beim Fantasy Filmfest 2023zu sehen war, in dem die erste Periode bei Teenager-Protagonistin Zaffan nicht nur gesellschaftlichen Außenseiterstatus, sondern auch übernatürliche Kräfte bewirkt (18. April, 19.30 Uhr, Filmhaus); und Dry Ground Burning (2022), ein brasilianischer Gangfilm über eine Frauenbande, die geklautes Öl gewinnbringend verkauft und sich dabei als wehrhaft-selbstbestimmter Gegenpol zu den rechtsgerichteten Bolsonaro-Anhängern positioniert (18. April, 19 Uhr, Aula der KHM). Ebenfalls eine politische Abrechnung: Die experimentelle Collage Hello Dankness (2022), die Clips aus den Jahren 2016 und 2021 montiert und so eine Bestandsaufnahme der Trump-Ära vornimmt. Ein raubkopiertes Musical über Verschwörungstheorien, Verrohung und Verwirrung (17. April, 20 Uhr, Filmhaus).
Neben weiteren Film- und Musikvideoscreenings gehören auch zwei andere Veranstaltungen zum Fokus Rage & Horror. Zum einen das Panel Rage & Horror als feministische Strategie (20. April, 12 Uhr, Filmhaus), für das kein Eintritt erhoben wird. In einem Gespräch (auf Englisch) mit Gespräch mit Nancy Mac Granaky-Quaye, Sara Neidorf, Jennifer Reeder, Toby Poser und Gästen des Festivals wird über die wütende Frau auf der Leinwand gesprochen. Inwiefern ist sie subversiv oder befreiend, inwiefern werden diese Bilder wieder eingehegt, z. B. indem die rasende Frau für verrückt erklärt oder lächerlich gemacht wird? Zum anderen gibt es den Workshop „Pretty Deadly Self Defense“ (19. April, 11 Uhr, Aula der KHM). Auch hier ist der Eintritt frei, die Teilnahme ist jedoch nur für FLINTA*. Auch dieser findet in englischer Sprache statt; Teilnehmenden wird bequeme Kleidung empfohlen. Im ersten Teil geht es unter der Leitung von Susie Kahlich anhand von Horror-Filmausschnitten um Selbstverteidigungstechniken gegen Schlitzer, Zombies und andere Monster, im zweiten Teil um subversive Möglichkeiten einer feministischen Aneignung von Wut unter der Leitung von Betty Schiel und Sara Neidorf.
Wut, Raserei, Selbstverteidigung und Selbstbehauptung in Theorie und Praxis, egal ob in Screenings oder Workshops, auf der Leinwand oder davor. Und ganz gewiss kein Verhalten, das sich für eine Dame aus dem Benimm-Knigge der Altherren-Gesellschaften geziemt.
Alle Infos zum Programm gibt es auf der IFFF-Homepage.
Traditionelle, von Männern erdachte und geprägte Rollenbilder sehen vor, dass Frauen gesittet, ruhig und folgsam sind. Was sie nicht vorsehen: Wut und Raserei, höchstens bei „Hysterikerinnen“. Das Internationale Frauen Film Fest Dortmund+Köln, das in diesem Jahr vom 16. bis 21. April in Köln stattfindet, denkt in der Sektion Fokus: Rage & Horror darüber nach, wie man Wut als Reaktion auf Krisen und den damit verbundenen Horror produktiv nutzen kann.
Das Motiv der wütenden, wehrhaften Frau zieht sich durch die Filmgeschichte, wie bereits der Ein-Minüter The Dairymaid’s Revenge von 1899 beweist. Darin wehrt sich eine Milchmagd gegen Belästigung durch einen Mann, indem sie den Kerl mit ihrer nassen Ware überschüttet. Dies ist Teil des Kurzfilmprogramms Wütende Stummfilm-Pionier*innen (19. April, 18 Uhr, Filmforum NRW). Dieses umfasst acht Beiträge aus den Jahren 1899 und bis 1921. Der neueste Film ist auch der längste: Gehen die anderen Beiträge zwischen einer und acht Minuten, so dauert L’uomo Meccanico (1921) 40 Minuten – was auch daran liegt, dass es sich um das erhaltene Fragment eines Langfilms handelt, genauer gesagt um eine Filmrolle, die etwas mehr als das letzte Drittel des verschollenen Gesamtfilms ausmacht. Zu sehen ist der Showdown der italienischen Science-Fiction-Werks: Eine Bandenführerin hat einen Riesenroboter in ihre Gewalt gebracht und steuert ihn auf einen Maskenball zu. Diese Frau verspürt Wut und Raserei, ist aber die Antagonistin des Stücks.
Ganz anders dagegen sieht es in 9 to 5 alias Warum eigentlich… bringen wir den Chef nicht um? (1980) aus. Drei Büroangestellte (Jane Fonda, Lily Tomlin, Dolly Parton) leiden unter ihrem intriganten, sexistischen und egofixierten Vorgesetzten. Könnte Mord die Lösung sein, wie es der deutsche Titel dieses Comedy-Klassikers suggeriert? Oder zumindest eine Entfürhung? Jedenfalls bewährt sich weibliche Solidarität im Angesicht männlicher Seilschaften (21. April, 16 Uhr, Filmhaus). Direkt im Anschluss noch ein Film der 1980er-Jahre, dieses Mal aus der Tschechoslowakei: Die Wolfsbaude (1986). Eine Gruppe von jugendlichen Skifahrer*innen wird mit ihren drei Skilehrer*innen in einer entlegenen Hütte eingeschneit. Doch das ist erst der Anfang, als das Lehrpersonal eine Willkürherrschaft in dem abgetrennten Mikrokosmos errichtet, in dem die Jugendlichen wahlweise privilegiert oder abgewertet werden, auf jeden Fall gegeneinander aufgehetzt werden, wobei eine Person aus ihrem Kreis zum Sündenbock erklärt und getötet werden soll. Eine Satire über totalitäre Systeme, inszeniert mit den Mitteln des Horrorfilms (21. April, 18 Uhr, Filmhaus).
Ebenfalls mit den Mitteln des Horrorfilms ist das böse Schlitzerstück Prevenge (2016). Die schwangere, frisch verwitwete Ruth, gespielt von Regisseurin und Drehbuchautorin Alice Lowe, wird zur Serienmörderin – vermeintlich angetrieben von der Stimme ihres ungeborenen Kindes. Lowe verarbeitete damit Erfahrungen aus ihrer eigenen Schwangerschaft, die sie zuvor nicht auf der Leinwand repräsentiert sah (17. April, 18 Uhr, Filmhaus).
Weitere „Rage & Horror“-Filme neueren Produktionsdatums im Programm: Hellbender (2021), ein Punk-Rock-Coming-of-Age-Horrorfilm über Familienbande und Selbstbestimmung (20. April, 20.30 Uhr, Filmhaus); Tiger Stripes (2023) aus Malaysia, der auch schon beim Fantasy Filmfest 2023 zu sehen war, in dem die erste Periode bei Teenager-Protagonistin Zaffan nicht nur gesellschaftlichen Außenseiterstatus, sondern auch übernatürliche Kräfte bewirkt (18. April, 19.30 Uhr, Filmhaus); und Dry Ground Burning (2022), ein brasilianischer Gangfilm über eine Frauenbande, die geklautes Öl gewinnbringend verkauft und sich dabei als wehrhaft-selbstbestimmter Gegenpol zu den rechtsgerichteten Bolsonaro-Anhängern positioniert (18. April, 19 Uhr, Aula der KHM). Ebenfalls eine politische Abrechnung: Die experimentelle Collage Hello Dankness (2022), die Clips aus den Jahren 2016 und 2021 montiert und so eine Bestandsaufnahme der Trump-Ära vornimmt. Ein raubkopiertes Musical über Verschwörungstheorien, Verrohung und Verwirrung (17. April, 20 Uhr, Filmhaus).
Neben weiteren Film- und Musikvideoscreenings gehören auch zwei andere Veranstaltungen zum Fokus Rage & Horror. Zum einen das Panel Rage & Horror als feministische Strategie (20. April, 12 Uhr, Filmhaus), für das kein Eintritt erhoben wird. In einem Gespräch (auf Englisch) mit Gespräch mit Nancy Mac Granaky-Quaye, Sara Neidorf, Jennifer Reeder, Toby Poser und Gästen des Festivals wird über die wütende Frau auf der Leinwand gesprochen. Inwiefern ist sie subversiv oder befreiend, inwiefern werden diese Bilder wieder eingehegt, z. B. indem die rasende Frau für verrückt erklärt oder lächerlich gemacht wird? Zum anderen gibt es den Workshop „Pretty Deadly Self Defense“ (19. April, 11 Uhr, Aula der KHM). Auch hier ist der Eintritt frei, die Teilnahme ist jedoch nur für FLINTA*. Auch dieser findet in englischer Sprache statt; Teilnehmenden wird bequeme Kleidung empfohlen. Im ersten Teil geht es unter der Leitung von Susie Kahlich anhand von Horror-Filmausschnitten um Selbstverteidigungstechniken gegen Schlitzer, Zombies und andere Monster, im zweiten Teil um subversive Möglichkeiten einer feministischen Aneignung von Wut unter der Leitung von Betty Schiel und Sara Neidorf.
Wut, Raserei, Selbstverteidigung und Selbstbehauptung in Theorie und Praxis, egal ob in Screenings oder Workshops, auf der Leinwand oder davor. Und ganz gewiss kein Verhalten, das sich für eine Dame aus dem Benimm-Knigge der Altherren-Gesellschaften geziemt.
Alle Infos zum Programm gibt es auf der IFFF-Homepage.
Nils Bothmann
Titelbild: Tiger Stripes (2023), Foto: Weydemann Bros.