Als Fear-Good-Movies bezeichnet das Fantasy Filmfest sein Programm gern, doch die Auswahl geht über den klassischen Horrorfilm und andere phantastische Genres wie Science Fiction und Fantasy hinaus. Auch asiatische Gangsterfilme, surreale Arthouse-Experimente und eigenwillige Meta-Genrefilme finden sich regelmäßig auf dem Spielplan, der stets die Balance zwischen Humorvollem, Nachdenklichem, Abgründigem und Splattrigem sucht.
Oft wird das Fantasy Filmfest von düsteren Horrorstoffen eröffnet, darunter die kurz darauf im Kino sensationell erfolgreiche Stephen-King-Adaption Es (2017), Panos Comastos psychedelischer Rachetrip Mandy (2018) oder der Survivalthriller Eden Lake (2008). Immer wieder stellt aber auch das Komödiengenre den Opener, etwa Kiss Kiss, Bang Bang (2005), Swiss Army Man (2016) oder dieses Jahr Palm Springs (2020). Produziert von dem Comedy-Trio The Lonely Island und mit deren Frontmann Andy Samberg in der Hauptrolle erzählt Palm Springs von einer ganz besonderen Hochzeitsfeier. Gast Nyles (Samberg) befindet sich dort in einer Zeitschleife und erlebt den Tag jedes Mal von neuem. Als er durch einen Zufall Sarah (Cristin Milioti), die Schwester der Braut, mit hineinzieht, hat er eine Partnerin, die erst gnadenlose Wut angesichts ihres Schicksals verspürt, danach jedoch eine Verbindung zu ihrem Leidensgenossen aufbaut. Wie so viele Zeitschleifenfilme besitzt Palm Springs einen gewissen Anarcho-Spirit, denn irgendwann probieren die Protagonisten die Freiheiten des konsequenzlosen Tages aus – die ewige Wiederholung entbindet sie vermeintlich von jeder Verantwortung für ihr Handeln. Doch natürlich geht es auch hier genau darum, sich seinem Leben und seinen Verfehlungen zu stellen, auch hier wird der Murmeltiertag zur Prüfung für ein unperfektes Paar. Gleichzeitig funktioniert Palm Springs auch als unkonventionelle RomCom zwischen zwei versehrten Menschen, die sich ihrem Mangel an Ambitionen ebenso wie ihren gescheiterten Beziehungen zu stellen lernen. Außerdem stellt Palm Springs auch den düsteren existenzialistischen Seiten des Genres: Was ist, wenn noch nicht einmal der Tod den Ausweg bringt? Die Unsterblichkeit ist ein Fluch – aber einer mit verdammt lustigen Seiten, der von seinen tollen Hauptdarstellern Samberg und Milioti sowie Showstealer J.K. Simmons in einer wichtigen Nebenrolle getragen wird. Die Creme de la Creme des Zeitschleifenfilms bleiben zwar 12:01 (1993), Retroactive (1997) und natürlich Und täglich grüßt das Murmeltier (1993), aber Palm Springs ist dicht dran.
Es folgte am Eröffnungsabend mit Archive (2020) noch ein Film, in dem es um die zumindest temporäre Aufhebung des Todes geht. Das Science-Fiction-Drama beschreibt eine Zukunft, in der das Bewusstsein frisch Verstorbener zumindest für ein paar Jahre in einem Archiv-Computer gelagert werden kann, ehe es gänzlich entschwindet. Ein solcher Geist in der Maschine ist auch Jules (Stacy Martin), die Gattin des brillanten Robotik-Tüftlers George Almore (Theo James). Dieser nutzt sein aktuelles Projekt in einer ansonsten menschenleeren Forschungsstation, um die Verstorbene in Roboterkreationen wieder zum Leben zu erwecken. Das Regiedebüt des VFX- und Videogame-Artists Gavin Rothery ist stilvolle, nachdenkliche Science Fiction über einen Mann, der nicht loslassen kann, Roboter, die Gefühle wie Eifersucht entwickeln, und ethische Grundsatzfragen im Angesicht von Liebe und Trauer. Ein ambitioniertes Low-Budget-Projekt, das sich meist stimmig mit seinen nicht gerade einfachen Fragen beschäftigt, auch wenn der letzte Twist vielleicht einer zu viel ist und dem Film eher schadet als nutzt.
Die folgenden Festivaltage verkörperten die volle Bandbreite des Festivals, von Brandon Cronenbergs Body-Horror-Science-Fiction-Thriller Possessor (2020) über den Psycho-Horrorfilm Daniel Isn’t Real (2019), in dem ein imaginärer Freund ein verstörendes Eigenleben gewinnt, bis zur Splatter-Comedy Psycho Goreman (2020) von The Void-Co-Regisseur Steven Kostanski. Letzterer wird PG abgekürzt, wie die amerikanische Kinderfreigabe, und spielt mit dem Verhältnis von Filmgewalt für Erwachsene und kindlichen Gemütern. Denn darin erlangen zwei Geschwister die Befehlsgewalt über einen brutalen Alien-Warlord, der sich nun ihrem Willen beugen muss – doch ohne bizarre Verwandlungen und derbe Splattereinlagen läuft das Ganze nicht ab. Manche Beiträge bewiesen Double-Feature-Potential, etwa zwei von Der Hexenjäger (1968) inspirierte Historien-Reißer über weibliche Selbstbestimmung und männliche Aggression im 17. Jahrhundert. In dem auf 35mm gedrehten Fanny Lye Deliver’d (2019) leidet sich die titelgebende Protagonistin unter dem Regime ihres tyrannischen Ehemannes, bekommt jedoch die Chance zur Auflehnung, als ein freizügiges Pärchen auf dem Hof der Lyes ankommt und die patriarchale Ordnung stört. In Neil Marshalls The Reckoning (2020) wird eine Frau nach dem Tod ihres Gatten der Hexerei bezichtigt, als sie die Avancen ihres Vermieters ablehnt. Auf verlorenem Posten muss sie sich gegen den schmierigen Ankläger und den Großinquisitor durchsetzen. Zweimal Emanzipation als Geschichte von weiblicher Auflehnung gegen männliche Gewaltherrschaft.
In einer weiteren Parallele präsentierten zwei Festivalfilme dann auch Komiker auf der Suche der Erweiterung ihres Portfolios. Da war zum einen Simon Pegg, der seinen Starruhm vor allem mit Edgar Wrights Cornetto-Trilogie (Shaun of the Dead, 2004; Hot Fuzz, 2007; The World’s End, 2013) und weiteren Komödien wie Run, Fatboy, Run (2007) oder Paul (2011) erwarb. Auf dem FFF war er in dem Thriller Inheritance (2020) zu sehen, seine zweite Kooperation nach mit Regisseur Vaughn Stein nach Terminal – Nur Rache ist schöner (2018). In ihrem aktuellen Film tritt eine aufstrebende New Yorker Staatsanwältin (Lily Collins) aus der High Society das eigenwillige Erbe ihres überraschend verstorbenen Vaters an – eine ominöse Botschaft führt sie zu einem versteckten Kellerverließ, in dem ein Mann (Pegg) angekettet ist. Um den Ruf der Familie bemüht lässt sie ihn nicht frei, sondern sucht nach Antworten über das Doppelleben ihres Vaters, die Identität des Gefangenen und auf die Frage, ob sie dem vermeintlich harmlosen Opfer trauen kann. Pegg spielt den undurchsichtigen Langzeitgefangenen hervorragend, doch leider in einem Thriller, der seine großartige Prämisse verschenkt, viele Karten zu früh auf den Tisch legt und mit seinem wenig glaubwürdigen Schlusstwist sowie 08/15-Showdown im Abgang verärgert.
Noch krasser ist der Image-Bruch im Fall von Kevin James, dem „King of Queens“ aus der gleichnamigen Sitcom. Nach Jahren, in denen er meist für die Produktionsfirma Happy Madison von Kumpel Adam Sandler das lustige Dickerchen gab, spielt er in Becky (2020) den entflohenen Neonazi-Verbrecher Dominick, der mit drei Komplizen eine Patchworkfamilie als Geiseln nimmt. Allerdings entgeht Tochter Becky (Lulu Wilson) dem Quartett – und die hat Aggressionsprobleme, die sie bald an den Verbrechern auslässt. Als eine Art weibliche Variante von Steven C. Millers noch günstiger budgetiertem The Aggression Scale (2012) ist Becky ein recht spaßiges kleines B-Picture, in dem die Titelfigur sich mit Hilfe von abgebrochenen Linealen, Nagelbrettern und Außenbordmotoren der Schurken auf überraschend ruppige Art entledigt. Doch nicht nur in diesen Szenen scheint ein gewisser schwarzer Humor durch, sondern auch beim Auftakt, der den Schulalltag von Becky pfiffig mit dem Knasttreiben Dominicks parallel montiert. Und Kevin James? Dem gelingt als charismatischer Brutalo ein eindrucksvoller Bruch aus Comedy-Konventionen, der an den Komikerkollegen Vince Vaughn in Brawl in Cell Block 99 (2017) erinnert. Letzterer war 2018 auf den Fantasy Filmfest Nights zu sehen – das FFF ist eben immer ein gutes Umfeld für Experimente und Neuorientierungen.
Als Fear-Good-Movies bezeichnet das Fantasy Filmfest sein Programm gern, doch die Auswahl geht über den klassischen Horrorfilm und andere phantastische Genres wie Science Fiction und Fantasy hinaus. Auch asiatische Gangsterfilme, surreale Arthouse-Experimente und eigenwillige Meta-Genrefilme finden sich regelmäßig auf dem Spielplan, der stets die Balance zwischen Humorvollem, Nachdenklichem, Abgründigem und Splattrigem sucht.
Oft wird das Fantasy Filmfest von düsteren Horrorstoffen eröffnet, darunter die kurz darauf im Kino sensationell erfolgreiche Stephen-King-Adaption Es (2017), Panos Comastos psychedelischer Rachetrip Mandy (2018) oder der Survivalthriller Eden Lake (2008). Immer wieder stellt aber auch das Komödiengenre den Opener, etwa Kiss Kiss, Bang Bang (2005), Swiss Army Man (2016) oder dieses Jahr Palm Springs (2020). Produziert von dem Comedy-Trio The Lonely Island und mit deren Frontmann Andy Samberg in der Hauptrolle erzählt Palm Springs von einer ganz besonderen Hochzeitsfeier. Gast Nyles (Samberg) befindet sich dort in einer Zeitschleife und erlebt den Tag jedes Mal von neuem. Als er durch einen Zufall Sarah (Cristin Milioti), die Schwester der Braut, mit hineinzieht, hat er eine Partnerin, die erst gnadenlose Wut angesichts ihres Schicksals verspürt, danach jedoch eine Verbindung zu ihrem Leidensgenossen aufbaut. Wie so viele Zeitschleifenfilme besitzt Palm Springs einen gewissen Anarcho-Spirit, denn irgendwann probieren die Protagonisten die Freiheiten des konsequenzlosen Tages aus – die ewige Wiederholung entbindet sie vermeintlich von jeder Verantwortung für ihr Handeln. Doch natürlich geht es auch hier genau darum, sich seinem Leben und seinen Verfehlungen zu stellen, auch hier wird der Murmeltiertag zur Prüfung für ein unperfektes Paar. Gleichzeitig funktioniert Palm Springs auch als unkonventionelle RomCom zwischen zwei versehrten Menschen, die sich ihrem Mangel an Ambitionen ebenso wie ihren gescheiterten Beziehungen zu stellen lernen. Außerdem stellt Palm Springs auch den düsteren existenzialistischen Seiten des Genres: Was ist, wenn noch nicht einmal der Tod den Ausweg bringt? Die Unsterblichkeit ist ein Fluch – aber einer mit verdammt lustigen Seiten, der von seinen tollen Hauptdarstellern Samberg und Milioti sowie Showstealer J.K. Simmons in einer wichtigen Nebenrolle getragen wird. Die Creme de la Creme des Zeitschleifenfilms bleiben zwar 12:01 (1993), Retroactive (1997) und natürlich Und täglich grüßt das Murmeltier (1993), aber Palm Springs ist dicht dran.
Es folgte am Eröffnungsabend mit Archive (2020) noch ein Film, in dem es um die zumindest temporäre Aufhebung des Todes geht. Das Science-Fiction-Drama beschreibt eine Zukunft, in der das Bewusstsein frisch Verstorbener zumindest für ein paar Jahre in einem Archiv-Computer gelagert werden kann, ehe es gänzlich entschwindet. Ein solcher Geist in der Maschine ist auch Jules (Stacy Martin), die Gattin des brillanten Robotik-Tüftlers George Almore (Theo James). Dieser nutzt sein aktuelles Projekt in einer ansonsten menschenleeren Forschungsstation, um die Verstorbene in Roboterkreationen wieder zum Leben zu erwecken. Das Regiedebüt des VFX- und Videogame-Artists Gavin Rothery ist stilvolle, nachdenkliche Science Fiction über einen Mann, der nicht loslassen kann, Roboter, die Gefühle wie Eifersucht entwickeln, und ethische Grundsatzfragen im Angesicht von Liebe und Trauer. Ein ambitioniertes Low-Budget-Projekt, das sich meist stimmig mit seinen nicht gerade einfachen Fragen beschäftigt, auch wenn der letzte Twist vielleicht einer zu viel ist und dem Film eher schadet als nutzt.
Die folgenden Festivaltage verkörperten die volle Bandbreite des Festivals, von Brandon Cronenbergs Body-Horror-Science-Fiction-Thriller Possessor (2020) über den Psycho-Horrorfilm Daniel Isn’t Real (2019), in dem ein imaginärer Freund ein verstörendes Eigenleben gewinnt, bis zur Splatter-Comedy Psycho Goreman (2020) von The Void-Co-Regisseur Steven Kostanski. Letzterer wird PG abgekürzt, wie die amerikanische Kinderfreigabe, und spielt mit dem Verhältnis von Filmgewalt für Erwachsene und kindlichen Gemütern. Denn darin erlangen zwei Geschwister die Befehlsgewalt über einen brutalen Alien-Warlord, der sich nun ihrem Willen beugen muss – doch ohne bizarre Verwandlungen und derbe Splattereinlagen läuft das Ganze nicht ab. Manche Beiträge bewiesen Double-Feature-Potential, etwa zwei von Der Hexenjäger (1968) inspirierte Historien-Reißer über weibliche Selbstbestimmung und männliche Aggression im 17. Jahrhundert. In dem auf 35mm gedrehten Fanny Lye Deliver’d (2019) leidet sich die titelgebende Protagonistin unter dem Regime ihres tyrannischen Ehemannes, bekommt jedoch die Chance zur Auflehnung, als ein freizügiges Pärchen auf dem Hof der Lyes ankommt und die patriarchale Ordnung stört. In Neil Marshalls The Reckoning (2020) wird eine Frau nach dem Tod ihres Gatten der Hexerei bezichtigt, als sie die Avancen ihres Vermieters ablehnt. Auf verlorenem Posten muss sie sich gegen den schmierigen Ankläger und den Großinquisitor durchsetzen. Zweimal Emanzipation als Geschichte von weiblicher Auflehnung gegen männliche Gewaltherrschaft.
In einer weiteren Parallele präsentierten zwei Festivalfilme dann auch Komiker auf der Suche der Erweiterung ihres Portfolios. Da war zum einen Simon Pegg, der seinen Starruhm vor allem mit Edgar Wrights Cornetto-Trilogie (Shaun of the Dead, 2004; Hot Fuzz, 2007; The World’s End, 2013) und weiteren Komödien wie Run, Fatboy, Run (2007) oder Paul (2011) erwarb. Auf dem FFF war er in dem Thriller Inheritance (2020) zu sehen, seine zweite Kooperation nach mit Regisseur Vaughn Stein nach Terminal – Nur Rache ist schöner (2018). In ihrem aktuellen Film tritt eine aufstrebende New Yorker Staatsanwältin (Lily Collins) aus der High Society das eigenwillige Erbe ihres überraschend verstorbenen Vaters an – eine ominöse Botschaft führt sie zu einem versteckten Kellerverließ, in dem ein Mann (Pegg) angekettet ist. Um den Ruf der Familie bemüht lässt sie ihn nicht frei, sondern sucht nach Antworten über das Doppelleben ihres Vaters, die Identität des Gefangenen und auf die Frage, ob sie dem vermeintlich harmlosen Opfer trauen kann. Pegg spielt den undurchsichtigen Langzeitgefangenen hervorragend, doch leider in einem Thriller, der seine großartige Prämisse verschenkt, viele Karten zu früh auf den Tisch legt und mit seinem wenig glaubwürdigen Schlusstwist sowie 08/15-Showdown im Abgang verärgert.
Noch krasser ist der Image-Bruch im Fall von Kevin James, dem „King of Queens“ aus der gleichnamigen Sitcom. Nach Jahren, in denen er meist für die Produktionsfirma Happy Madison von Kumpel Adam Sandler das lustige Dickerchen gab, spielt er in Becky (2020) den entflohenen Neonazi-Verbrecher Dominick, der mit drei Komplizen eine Patchworkfamilie als Geiseln nimmt. Allerdings entgeht Tochter Becky (Lulu Wilson) dem Quartett – und die hat Aggressionsprobleme, die sie bald an den Verbrechern auslässt. Als eine Art weibliche Variante von Steven C. Millers noch günstiger budgetiertem The Aggression Scale (2012) ist Becky ein recht spaßiges kleines B-Picture, in dem die Titelfigur sich mit Hilfe von abgebrochenen Linealen, Nagelbrettern und Außenbordmotoren der Schurken auf überraschend ruppige Art entledigt. Doch nicht nur in diesen Szenen scheint ein gewisser schwarzer Humor durch, sondern auch beim Auftakt, der den Schulalltag von Becky pfiffig mit dem Knasttreiben Dominicks parallel montiert. Und Kevin James? Dem gelingt als charismatischer Brutalo ein eindrucksvoller Bruch aus Comedy-Konventionen, der an den Komikerkollegen Vince Vaughn in Brawl in Cell Block 99 (2017) erinnert. Letzterer war 2018 auf den Fantasy Filmfest Nights zu sehen – das FFF ist eben immer ein gutes Umfeld für Experimente und Neuorientierungen.
Nils Bothmann