Macht es einen Unterschied, mich für einen Film in Bewegung zu setzen? Ins Kino zu gehen oder ein Festival zu besuchen? Welche Rolle spielt der Ort im Film und für den Film?
Zunächst zeigen die meisten dokumentarischen oder fiktionalen Filme Orte. Regionen, Milieus, Arbeitswelten, Wohnhäuser. Sie alle erzählen uns eine Geschichte über die Menschen dort – und uns selbst hier, die im Kino sitzen und von diesem Hier hineingezogen werden in jenes Dort. Im Internet gibt es dieses Dort nicht. Es gibt nur ein anderes Hier, die Filme werden nicht präsentiert, sondern ich klicke sie an. Es ist also bereits ein völlig anderer Vorgang. Doch nicht nur für die Konsument*innen, die sich momentan kaum zwischen den Angeboten entscheiden können. Besonders für die Filmemacher*innen ist das Festival ebenjenes Dort, wo der filmische Ort auf seine Besucher*innen trifft – sie zu Gastgebern ihrer Geschichten werden. Kann es also überhaupt ein Kino zu Hause geben?
Anlässlich der Eröffnung der Kurzfilmtage Oberhausen haben wir mit zwei Filmemacher*innen gesprochen, deren Filme sich auf unterschiedliche Weise mit einem Ort beschäftigen, und sie gefragt, wie sie die momentanen Entwicklungen bewerten.
Marian Mayland ist Filmemacher aus Essen. Sein Film Dunkelfeld feiert im Deutschen Wettbewerb der 66. Kurzfilmtage Oberhausen seine Weltpremiere.
Anna Ansone, gebürtig aus Lettland, studiert an der KHM. Ihr Film Klusā daba (Still Life) hat seine Weltpremiere bei den Kurzfilmtagen im NRW-Wettbewerb.
Die Gespräche führten Johannes Duncker (Leiter des KFFK/Kurzfilmfestival Köln) und Sandra Riedmair (Filmszene Köln)
Könnt ihr kurz beschreiben, worum es in euren Filmen geht?
Anna: Klusā daba behandelt eine persönliche Frage. Ich bin seit einiger Zeit weg aus Lettland und habe mich gefragt, was mich noch dort hält und warum ich diese nostalgischen Gefühle gegenüber einem bestimmten Ort habe. Im Film kehrt die Protagonistin zurück in das Haus, in dem sie groß geworden ist, um es zu verkaufen. Doch dort lebt immer noch der Geist ihrer verstorbenen Großmutter.
Marian: In Dunkelfeld geht es um einen Brandanschlag auf ein von Gastarbeiter*Innen bewohntes Haus im Jahr 1984 in Duisburg, bei dem eine türkisch-stämmige Familie ums Leben gekommen ist. Im Film geht es um den Fall und die Familie selbst, aber auch um den gesellschaftlichen Kontext in den die Tat eingebettet ist: das strukturelle „silencing“, die politischen Prozesse und die gesellschaftliche Stimmung, die die Welle der Gewalt gegenüber migrantisierten Menschen in den 1990ern möglich gemacht hat. Den Film haben wir in einem Kernteam von drei Leuten – Patrick Lohse, Ole-Kristian Heyer und mir – im Auftrag einer Initiative, die sich mit dem Fall beschäftigt und in Kooperation mit den Überlebenden und Hinterbliebenen gemacht.
– Gab es im Team Diskussionen darüber, ob ihr den Film online zeigen wollt? Wie war der Entscheidungsprozess? Marian: Die gab es, und das hat vor allem mit diesem spezifischen Film zu tun. Gerade die Premiere hätten wir gerne gemeinsam mit der Familie und der Initiative gefeiert, und Oberhausen wäre dafür auch geografisch super gewesen. Das war in dieser Form jetzt nicht möglich. Ansonsten haben wir uns am Anfang gefragt wie das Festival denn aussehen wird, ob es alles umsonst und frei zugänglich ist, ob Geoblocking eingesetzt wird oder ob es quasi Tickets gibt. Früher war für viele Festivals Onlineverfügbarkeit ja eigentlich ein Ausschlusskriterium. Ich gehe davon aus, dass sowas jetzt erstmal wegfällt, und ich wäre eigentlich persönlich froh, wenn das auch so bleibt.
– Wie hat es sich angefühlt, als das Festival angekündigt hat, dass es eine Online-Ausgabe sein wird?
Anna: Es wäre mein erstes Festival gewesen, wo ein Film von mir läuft. Ebenso ist es die Premiere meines Abschlussfilms, deshalb hatte ich mich sehr darauf gefreut. Aber angesichts der momentanen Umstände, war es auch nicht überraschend.
– Seht ihr Chancen oder Probleme bei Onlineausgaben von Festivals?
Marian: Also ein Problem was ich sehe ist, dass es für Festivals online viel schwieriger ist, Begegnungen zwischen Menschen möglich zu machen. Wenn ich auf Festivals gehe, gehe ich ja nicht nur wegen der Filme da hin, sondern auch um Zeit mit Menschen zu verbringen und um sich gemeinsam mit etwas zu beschäftigen. Anna: Der Austausch ist ein entscheidender Bestandteil von Filmfestivals. Ich habe den Film bisher noch nie vor einem Publikum gezeigt, ich habe also keine Ahnung welches Feedback mich erwarten würde. Online wird es ziemlich abstrakt. Denn was ist das für ein Publikum, ist es ein typisches Festivalpublikum? Werden die Leute, während sie den Film sehen, im Bett mit ihren Pyjamas liegen? Werden sie weiter schalten, wenn ihnen langweilig wird?
– Gibt es für euch im Allgemeinen Alternativen zum Kinoraum als primärem Präsentationsraum für eure Filme?
Anna: Ich denke, dass gerade die sozialen Apekte des Kinos sehr schwer zu ersetzen sind. Marian: Ich zeige grundsätzlich ja auch meine Filme in Ausstellungskontexten, wenn auch seltener als auf Festivals. Und ich schaue auch gerne Filme zuhause auf meinem Laptop, obwohl mir da oft die Konzentration fehlt, die ein Kinosaal mitbringt. Ich denke die Situation ist, was das angeht, irgendwie auch ein reality-check. Graeme Arnfield hat kürzlich geschrieben, dass er froh ist, dass sein neuer Film – der seine Premiere kurz vorher noch auf der Berlinale hatte – jetzt auf Streaming-Festivals so gesehen werden kann, wie er ihn gemacht hat: auf einem Laptop im Bett.
– Glaubst du diese Krise beherbergt auch die Chance auf eine dauerhafte positive Veränderung für das Medium Film?
Marian: Ich habe das Gefühl, dass die Kinos einerseits geschlossen haben und wir andererseits alle gleichzeitig weiter zuhause mit „Kino“ arbeiten und „Kino“ rezipieren. Ich nehme jetzt klarer wahr, was für eine merkwürdige kulturelle Praxis Kino heute überhaupt ist. Um es klar zu sagen, ich liebe Kino, aber ich denke viel von dem was zentral für die Form von Kino, die für mich interessant ist, – und ich arbeite ja in einem Bereich, in dem die Meisten mindestens noch einen Fuß in der Kunstwelt haben – wird erst möglich durch Strategien künstlicher Verknappung, die mir nicht wirklich zeitgemäß scheinen. Daher freue ich mich, dass jetzt so viel online verfügbar ist. Gleichzeitig muss man sich natürlich fragen, für wen und unter welchen Bedingungen Wert geschöpft wird, wenn alle Institutionen jetzt ihre Webseiten mit Filmen oder Videos von Künstler*Innen füllen. Das ist ja in vielen Bereichen aktuell so, dass man sich fragt: wieso passiert das erst jetzt? Und wieso passiert das jetzt so wenig ausgeglichen und so unfair? Von dem her fürchte ich, dass diese Krise auch im Film bestehende strukturelle Ungleichheiten weiter verschärfen wird, wenn wir nicht dagegen ankämpfen.
Marian Mayland lebt und arbeitet in Essen. Seine Filme liefen unter anderem auf dem IDFA Amsterdam, dem Kasseler Dokfest und dem European Media Art Festival sowie dem KFFK/Kurzfilmfestival Köln. Marians neuester Film „Dunkelfeld“, unter der Co-Regie von Ole-Kristian Heyer und Patrick Lohse feiert seine Weltpremiere im Deutschen Wettbewerb in der Onlineausgabe der 66. Kurzfilmtage Oberhausen.
Anna Ansone wurde 1993 in Riga, Lettland geboren. Von 2012 bis 2016 studierte sie Film in Riga und arbeitete als Film Editorin. Seit 2016 ist sie als Postgraduierte im Bereich Film an der Kunsthochschule für Medien Köln eingeschrieben. Anna ist die 1. Preisträgerin des Shoot Förderpreis der KHM und des Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund | Köln, deren Verleihung in diesem Jahr wegen der Corona-Krise nicht stattfinden konnte.
Macht es einen Unterschied, mich für einen Film in Bewegung zu setzen? Ins Kino zu gehen oder ein Festival zu besuchen? Welche Rolle spielt der Ort im Film und für den Film?
Zunächst zeigen die meisten dokumentarischen oder fiktionalen Filme Orte. Regionen, Milieus, Arbeitswelten, Wohnhäuser. Sie alle erzählen uns eine Geschichte über die Menschen dort – und uns selbst hier, die im Kino sitzen und von diesem Hier hineingezogen werden in jenes Dort.
Im Internet gibt es dieses Dort nicht. Es gibt nur ein anderes Hier, die Filme werden nicht präsentiert, sondern ich klicke sie an. Es ist also bereits ein völlig anderer Vorgang. Doch nicht nur für die Konsument*innen, die sich momentan kaum zwischen den Angeboten entscheiden können. Besonders für die Filmemacher*innen ist das Festival ebenjenes Dort, wo der filmische Ort auf seine Besucher*innen trifft – sie zu Gastgebern ihrer Geschichten werden. Kann es also überhaupt ein Kino zu Hause geben?
Anlässlich der Eröffnung der Kurzfilmtage Oberhausen haben wir mit zwei Filmemacher*innen gesprochen, deren Filme sich auf unterschiedliche Weise mit einem Ort beschäftigen, und sie gefragt, wie sie die momentanen Entwicklungen bewerten.
Marian Mayland ist Filmemacher aus Essen. Sein Film Dunkelfeld feiert im Deutschen Wettbewerb der 66. Kurzfilmtage Oberhausen seine Weltpremiere.
Anna Ansone, gebürtig aus Lettland, studiert an der KHM. Ihr Film Klusā daba (Still Life) hat seine Weltpremiere bei den Kurzfilmtagen im NRW-Wettbewerb.
Die Gespräche führten Johannes Duncker (Leiter des KFFK/Kurzfilmfestival Köln) und Sandra Riedmair (Filmszene Köln)
Könnt ihr kurz beschreiben, worum es in euren Filmen geht?
Anna: Klusā daba behandelt eine persönliche Frage. Ich bin seit einiger Zeit weg aus Lettland und habe mich gefragt, was mich noch dort hält und warum ich diese nostalgischen Gefühle gegenüber einem bestimmten Ort habe. Im Film kehrt die Protagonistin zurück in das Haus, in dem sie groß geworden ist, um es zu verkaufen. Doch dort lebt immer noch der Geist ihrer verstorbenen Großmutter.
Marian: In Dunkelfeld geht es um einen Brandanschlag auf ein von Gastarbeiter*Innen bewohntes Haus im Jahr 1984 in Duisburg, bei dem eine türkisch-stämmige Familie ums Leben gekommen ist. Im Film geht es um den Fall und die Familie selbst, aber auch um den gesellschaftlichen Kontext in den die Tat eingebettet ist: das strukturelle „silencing“, die politischen Prozesse und die gesellschaftliche Stimmung, die die Welle der Gewalt gegenüber migrantisierten Menschen in den 1990ern möglich gemacht hat.
Den Film haben wir in einem Kernteam von drei Leuten – Patrick Lohse, Ole-Kristian Heyer und mir – im Auftrag einer Initiative, die sich mit dem Fall beschäftigt und in Kooperation mit den Überlebenden und Hinterbliebenen gemacht.
– Gab es im Team Diskussionen darüber, ob ihr den Film online zeigen wollt? Wie war der Entscheidungsprozess?
Marian: Die gab es, und das hat vor allem mit diesem spezifischen Film zu tun. Gerade die Premiere hätten wir gerne gemeinsam mit der Familie und der Initiative gefeiert, und Oberhausen wäre dafür auch geografisch super gewesen. Das war in dieser Form jetzt nicht möglich.
Ansonsten haben wir uns am Anfang gefragt wie das Festival denn aussehen wird, ob es alles umsonst und frei zugänglich ist, ob Geoblocking eingesetzt wird oder ob es quasi Tickets gibt. Früher war für viele Festivals Onlineverfügbarkeit ja eigentlich ein Ausschlusskriterium. Ich gehe davon aus, dass sowas jetzt erstmal wegfällt, und ich wäre eigentlich persönlich froh, wenn das auch so bleibt.
– Wie hat es sich angefühlt, als das Festival angekündigt hat, dass es eine Online-Ausgabe sein wird?
Anna: Es wäre mein erstes Festival gewesen, wo ein Film von mir läuft. Ebenso ist es die Premiere meines Abschlussfilms, deshalb hatte ich mich sehr darauf gefreut. Aber angesichts der momentanen Umstände, war es auch nicht überraschend.
– Seht ihr Chancen oder Probleme bei Onlineausgaben von Festivals?
Marian: Also ein Problem was ich sehe ist, dass es für Festivals online viel schwieriger ist, Begegnungen zwischen Menschen möglich zu machen. Wenn ich auf Festivals gehe, gehe ich ja nicht nur wegen der Filme da hin, sondern auch um Zeit mit Menschen zu verbringen und um sich gemeinsam mit etwas zu beschäftigen.
Anna: Der Austausch ist ein entscheidender Bestandteil von Filmfestivals. Ich habe den Film bisher noch nie vor einem Publikum gezeigt, ich habe also keine Ahnung welches Feedback mich erwarten würde. Online wird es ziemlich abstrakt. Denn was ist das für ein Publikum, ist es ein typisches Festivalpublikum? Werden die Leute, während sie den Film sehen, im Bett mit ihren Pyjamas liegen? Werden sie weiter schalten, wenn ihnen langweilig wird?
– Gibt es für euch im Allgemeinen Alternativen zum Kinoraum als primärem Präsentationsraum für eure Filme?
Anna: Ich denke, dass gerade die sozialen Apekte des Kinos sehr schwer zu ersetzen sind.
Marian: Ich zeige grundsätzlich ja auch meine Filme in Ausstellungskontexten, wenn auch seltener als auf Festivals. Und ich schaue auch gerne Filme zuhause auf meinem Laptop, obwohl mir da oft die Konzentration fehlt, die ein Kinosaal mitbringt. Ich denke die Situation ist, was das angeht, irgendwie auch ein reality-check. Graeme Arnfield hat kürzlich geschrieben, dass er froh ist, dass sein neuer Film – der seine Premiere kurz vorher noch auf der Berlinale hatte – jetzt auf Streaming-Festivals so gesehen werden kann, wie er ihn gemacht hat: auf einem Laptop im Bett.
– Glaubst du diese Krise beherbergt auch die Chance auf eine dauerhafte positive Veränderung für das Medium Film?
Marian: Ich habe das Gefühl, dass die Kinos einerseits geschlossen haben und wir andererseits alle gleichzeitig weiter zuhause mit „Kino“ arbeiten und „Kino“ rezipieren. Ich nehme jetzt klarer wahr, was für eine merkwürdige kulturelle Praxis Kino heute überhaupt ist. Um es klar zu sagen, ich liebe Kino, aber ich denke viel von dem was zentral für die Form von Kino, die für mich interessant ist, – und ich arbeite ja in einem Bereich, in dem die Meisten mindestens noch einen Fuß in der Kunstwelt haben – wird erst möglich durch Strategien künstlicher Verknappung, die mir nicht wirklich zeitgemäß scheinen. Daher freue ich mich, dass jetzt so viel online verfügbar ist. Gleichzeitig muss man sich natürlich fragen, für wen und unter welchen Bedingungen Wert geschöpft wird, wenn alle Institutionen jetzt ihre Webseiten mit Filmen oder Videos von Künstler*Innen füllen. Das ist ja in vielen Bereichen aktuell so, dass man sich fragt: wieso passiert das erst jetzt? Und wieso passiert das jetzt so wenig ausgeglichen und so unfair? Von dem her fürchte ich, dass diese Krise auch im Film bestehende strukturelle Ungleichheiten weiter verschärfen wird, wenn wir nicht dagegen ankämpfen.
Marian Mayland lebt und arbeitet in Essen. Seine Filme liefen unter anderem auf dem IDFA Amsterdam, dem Kasseler Dokfest und dem European Media Art Festival sowie dem KFFK/Kurzfilmfestival Köln. Marians neuester Film „Dunkelfeld“, unter der Co-Regie von Ole-Kristian Heyer und Patrick Lohse feiert seine Weltpremiere im Deutschen Wettbewerb in der Onlineausgabe der 66. Kurzfilmtage Oberhausen.
Anna Ansone wurde 1993 in Riga, Lettland geboren. Von 2012 bis 2016 studierte sie Film in Riga und arbeitete als Film Editorin. Seit 2016 ist sie als Postgraduierte im Bereich Film an der Kunsthochschule für Medien Köln eingeschrieben. Anna ist die 1. Preisträgerin des Shoot Förderpreis der KHM und des Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund | Köln, deren Verleihung in diesem Jahr wegen der Corona-Krise nicht stattfinden konnte.