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Schnitte in Raum und Zeit: Ein Interview mit Editorin Gabriele Voss

Gabriele Voss gehört seit den 70er-Jahren zu den profiliertetesten Filmemacher:innen Deutschlands, vor allem im Bereich des Dokumentarfilms, und hier wiederum vor allem als Chronistin des Ruhrgebiets, dessen Wandel sie oft in Zusammenarbeit mit Regisseur Christoph Hübner beobachtete. Das Edimotion Festival zeichnet sie im Oktober 2024 mit dem Ehrenpreis Schnitt für ihr Lebenswerk aus. Unser Autor Frank Olbert sprach mit der Editorin im Vorfeld des Festivals.

Frank Olbert: Gabriele Voss, herzlichen Glückwunsch zum Edimotion-Ehrenpreis. Dieser wird ausdrücklich für Ihre Leistungen als Editorin verliehen – Sie bewegen sich aber noch in einem breiteren Arbeitsspektrum, nicht wahr?

Gabriele Voss: Ich bezeichne mich oft als Autorin, Dramaturgin und Editorin. Autorin im Wesentlichen, weil ich die Filme seit Jahrzehnten mit Christoph Hübner zusammen realisiere, und das beginnt sehr früh – bei der Stoffentwicklung über das Drehen bis zur Postproduktion. Natürlich gibt es auch eine Arbeitsteilung: Christoph macht Regie und Kamera, ich bin unter anderem für die Montage zuständig.

Denken Sie bereits beim Drehen an den Schnitt? Oder erst dann, wenn Sie das Material sichten?

Ich würde sagen, das beginnt schon bei der Stoffentwicklung. Zwar denken wir noch nicht an den konkreten Schnitt, aber an die Art der Montage, an den Aufbau der Erzählung. Es geht immer um die Frage, was wir brauchen, um das für die Zuschauer:innen rüberzubringen, was wir gerne erzählen möchten.

Darum geht es auch in Ihrem Projekt „Schnitte in Raum und Zeit“.

Ich möchte deutlich machen, dass es bei Schnitt und Montage um mehr geht, als landläufig darunter verstanden wird. In dieser herkömmlichen Vorstellung sitzen Regisseur oder auch Redakteur hinter der Editorin und sagen ihr, was sie zu tun hat (lacht).

In Ihrem Buch fällt der Begriff vom Schnitt als der zweiten Regie.

Das wollte ich deutlich machen. Und so sehen Christoph Hübner und ich das. Meine Tätigkeit war im Wesentlichen auf den langen Dokumentarfilm für Kino und Fernsehen konzentriert. Und hier sind Konzepte von Autor:innenschaft und zweiter Regie für mich sehr wichtig.

Nun ist die Arbeit von Editor:innen einem immensen technischen Wandel unterworfen. Durch die digitale Produktion wird viel mehr Material als früher gedreht. Ist das ein Problem?

Das ist ein generelles Phänomen, über das viele klagen. Die Materialberge sind durch die Möglichkeiten des Digitalen ungeheuer angewachsen. Aber ob das immer schlecht ist? Christoph Hübner und ich drehen ins Offene – wir haben zum Beispiel den Film „Die Champions“ gedreht, in dem es um fünf junge Männer geht, die Fußballprofis werden möchten. Schon von den Protagonisten her ist die Situation sehr offen, denn sie wissen schlicht und einfach nicht, wer es schafft, wer auf der Strecke bleibt, wer sich verletzt und so weiter. Es gibt also viele Unwägbarkeiten, infolgedessen dreht man mehr. Da bringt das Digitale auch Vorteile.

Sie und Christoph Hübner sind Chronisten des Ruhrgebiets. Wie kam es zu dem besonderen Interesse?

Als wir den ersten Film über das Ruhrgebiet drehten, waren wir beide noch in München. Das waren die frühen 70er-Jahre, da gab es die aufregende Szene in Frankreich – Godard, viele, die im Arbeitermilieu gedreht haben. Ein Impuls für uns war ein Streik bei Mannesmann in Huckingen, der allerdings schon vorüber war, als wir dort ankamen. Wir haben dann einen richtigen Spielfilm gedreht, nach Drehbuch und mit Laiendarstellern von Mannesmann. Und davon ging eine Faszination an der Region und den Menschen aus, die andauerte – dass diese so viele Jahre anhielt, hätten wir allerdings nicht gedacht.

Sie haben die Geschichte des Ruhrgebiets von den 70ern über den gesamten sogenannten Strukturwandel verfolgt.

Richtig, „Edimotion“ zeigt ja auch den Film „Vom Ende eines Zeitalters“, der den Abschluss der Chronik zur Zeche Prosper/Ebel und ihrer Siedlung bildet. Die umfasst einen Zeitraum von 40 Jahren. Wir haben das einmal „filmische Geschichtsschreibung“ genannt als Möglichkeit des Dokumentarfilms, über einen langen Zeitraum hinweg Veränderungen ins Bild zu setzen. In unserem Film wird nicht nur gesagt, sondern man kann mit eigenen Augen sehen, wie es vor 40 Jahren zuging. Vielleicht nutzt der Dokumentarfilm als Genre dieses Potenzial sogar zu wenig.

Über diese Jahre hinweg haben Sie nicht nur gedreht, sondern waren auch als Filmfunktionärin aktiv: Sie sind Mitbegründerin des Ruhrfilmzentrums und des Filmbüros NW. Wie sehen Sie aus dieser Perspektive die Lage des Dokumentarfilms?

Dass der Dokumentarfilm heute im Kino zu sehen ist, war zu Anfang der 80er-Jahre die Ausnahme. Damals sind wir selber mit Projektor und Leinwand durch Gewerkschaftsräume und Volkshochschulen im Ruhrgebiet gezogen, um unsere Filme zu zeigen: „Das Kino zu den Leuten bringen“, hieß damals die Losung. Im Moment ist es für den Dokumentarfilm im Kino wieder schwieriger, aber dass er überhaupt eine Chance hat, empfinde ich als eine großartige Entwicklung.

Wie sehen Sie das fürs Fernsehen? Da wird über schwindende Sendeminuten und späte Sendeplätze geklagt.

Dieses Problem war gravierender, als es die Mediatheken noch nicht gab. Diese allerdings eröffnen die Möglichkeit, Dokumentarfilme zeitunabhängig zu sehen.

Zum Schluss eine Grundsatzfrage. Ein guter Schnitt soll unsichtbar sein, meinen viele. Wie sehen Sie das?

Ich finde, eher das Gegenteil sollte der Fall sein. Ich bemühe mich nicht, Schnitte zu verstecken. Ich möchte auf keinen Fall verbergen, dass es nur Ausschnitte sind, die wir sehen. Ich werde oft auch gefragt, ob es nach den vielen Filmen, die ich geschnitten habe, eine bestimmte Tendenz gibt? Ja, die gibt es: wenn möglich, immer weniger schneiden! Das hängt mit meinem Verständnis von Dokumentarfilm zusammen: Wir wollen Geschichten von Menschen erzählen. Und das heißt: den Menschen Zeit lassen, sie nicht zurecht- schneiden.

Interview: Frank Olbert

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