Filmkritik Filmszene Aktuell

Filmkritik: Hollywoodgate – Ein Jahr unter Taliban

Rund ein Jahr lang konnte Dokumentarfilmer Ibrahim Nash’at nach dem Abzug der US-Truppen mit strengen Restriktionen unter den Taliban in Afghanistan drehen. Diese wünschten sich positive Berichterstattung, der Regisseur gewährt anhand seines Materials jedoch unverstellte Einblicke in deren Gedankenwelt, Selbstherrlichkeit und Schreckensherrschaft.

Von Nils Bothmann.


Als die letzten US-Truppen Afghanistan im Sommer 2021 verließen, entstanden Aufnahmen, die um die Welt gingen: Panische Menschen rennen aufs Flugfeld, klammern sich an startende Maschinen und gehen damit in den sicheren Tod. Denn an den Abzug der Amerikaner schloss sich eine Übernahme des Landes durch die Taliban quasi ohne Gegenwehr an. Ohne US-Führung waren die einheimischen Streitkräfte nicht gewillt und/oder nicht in der Lage sich zu verteidigen, viele Unterstützer der US-Streitkräfte (etwa Übersetzer) fürchteten den Zorn der Islamisten, für die Zivilbevölkerung begann ein Leben unter strenger Scharia-Knute. Doch während die Aufnahmen des Abzugs um die Welt gingen, blieben wirkmächtige Bilder des Danach aus. Der ägyptische Dokumentarfilmer Ibrahim Nash‘at machte sich auf, um genau diese Bilder zu finden, in Hollywoodgate (2023).

Kurz nach der Machtübernahme durch die Taliban verhandelte er mit diesen über die Erstellung eines Dokumentarfilms, rund ein Jahr durfte er als Beobachter vor Ort sein. Natürlich unter strengen Auflagen, weshalb es in Hollywoodgate zwei widerstrebende Erzählungen gibt: Auf der einen Seite die Taliban, die einen Propagandafilm in eigener Sache wünschen, auf der anderen Seite Nash‘at, der genau diesen Film nicht drehen will. Die Besatzer kontrollieren streng, was der Regisseur und Kameramann in Personalunion filmen darf und was nicht, sodass Nash‘at diesen Gegensatz im fertigen Film immer wieder kenntlich macht. Oft hört man Aussagen, dass er bestimmte Dinge wie kaputte Flugzeuge nicht ablichten darf, die reparierten Fluggeräte dagegen in Szene setzen soll. Mehrmals halten Taliban-Leute die Kamera zu, wenn sie der Ansicht sind, dass die Aufnahme jetzt beendet werden soll. Und in einzelnen Sätzen wird unmissverständlich klar, unter welchen Bedingungen Hollywoodgate gefilmt wurde, wenn die Taliban sich darüber auslassen, dass es Nash‘at das Leben kosten wird, wenn er sich als Spion herausstellen sollte oder „seine Absichten schlecht“ seien.

Hollywoodgate arbeitet mit einer Rahmung, die Nash’ats Intention unmissverständlich klarmacht. Zu Beginn eine Montage aus Fremdmaterial in schlechterer Bildqualität, die Zeugnis von dem all dem liefert, was die Taliban nicht unter positiver Berichterstattung verstehen: Die Vernichtung von Alkohol, bei der die Kästen und Flaschen mit einem Panzer überfahren werden, das Sprengen von Kulturstätten, das Schlagen von Frauen auf offener Straße etc. Nash’at spricht einen einführenden Text und einige Schlusssätze, die beide kurz die Rahmenbedingungen des Filmens erläutern: Das Agreement mit den Taliban, das Mini-Team aus Nash’at und einem Übersetzer, die Leerstellen, die sich daraus ergeben, dass er nicht mit der Zivilbevölkerung sprechen und auch bei Taliban nicht alles filmen durfte.

Inszenierung contra Selbstinszenierung

Zwischen dieser Rahmung kommentiert Nash’at die Bilder nie, lässt das Material für sich sprechen. Dabei nimmt er sich vor allem zwei Protagonisten heraus, den neuen Kommandeur der Luftwaffe Mansour und den Taliban-Krieger Mukhtar, der Pilot werden will. Die beiden, aber auch ihre Glaubensbrüder sind um Selbstinszenierung bemüht, oft zeigt Nash’at aber deren Scheitern. Einmal erzählt Mukhtar ein Gleichnis über eine ausgepackte und eine eingepackte Tafel Schokolade, um das Verhüllungsgebot für Frauen unter Taliban-Herrschaft zu erläutern; als jedoch eine allzu begeisterte Reaktion ausbleibt, erklärt er, dass er jetzt schnell weiter müsse.

Große Teile des Films spielen auf einer verlassenen US-Militärbasis, wo eine der Metalltüren mit „Hollywood Gate“ beschriftet ist. Hier finden die Taliban nicht nur Teile des Militärgeräts im Wert mehrerer Milliarden Dollar, das die Amerikaner in Afghanistan zurückließen, sondern auch Kühlschränke mit Alkoholvorräten, zerstörte Computer und Fitnessräume, was unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Auch ein großer Medikamentenvorrat, was zu einem der prägnantesten Beispiele gescheiterter Selbstinszenierung führt: Mansour will die Vorräte rund ein Jahr nach der Machtübernahme an ein Taliban-Krankenhaus übergeben, will seine Großtat natürlich dokumentiert wissen, muss aber vor versammelter Mannschaft feststellen, dass die Medikamente mittlerweile abgelaufen sind. Es folgen kleinliche Ausreden und Schuldzuweisungen (angeblich sei der für Medikamente verantwortliche Arzt faul und inkompetent, hätte darauf aufmerksam machen müssen), schließlich wird das Filmen rabiat unterbunden, indem man die Kamera zuhält.

An anderer Stelle legt Hollywoodgate die Ideologie und die Kriegsgeilheit seiner Protagonisten dadurch offen, dass er sie einfach sprechen lässt. Mansour träumt von einem Überfall auf Tadschikistan, spricht bürokratisch über die Tötung von Feinden und nennt das Sterben afghanischer Kämpfer und Zivilisten euphemistisch „zum Märtyrer werden“. Mukhtar erklärt, dass er sich wünsche, dass die Amerikaner noch nicht abgezogen seien, damit er sie aus dem Hinterhalt erschießen könne, solange bis es ihn selbst erwischt. Und bei einer Militärparade, welche die Taliban inszenieren, ist neben Infanteristen, Fahrzeugen und Fluggeräten auch eine Einheit von Selbstmordbombern Teil des Aufgebots.

Durch die Umstände seines Drehs hat Hollywoodgate seine Leerstellen und seine Einschränkungen im Material, aber man wird wohl nie näher an die Taliban und ihre Gedankenwelt herankommen als es Nash’at tat. Das macht die deutsch-amerikanische Co-Produktion, die als Bester Dokumentarfilm für den deutschen Filmpreis nominiert war, sehenswert.


Der Film ist in der Filmpalette in Köln am
Sonntag, 24.08.25 um 15:00 Uhr und am
Dienstag, 26.08.25 um 17:00 Uhr zu sehen (OmU).


Titelbild: Cine Global

Veranstalter*innen..