Mit The Mastermind wagt sich Kelly Reichardt an ein Genre, das man von ihr kaum erwartet: den Heist-Film. Doch statt Hochspannung und Masterplan setzt die Regisseurin auf entschleunigtes Erzählen, gesellschaftlichen Kontext und die innere Leere ihres Protagonisten. Ein Kunstraubfilm, der das eigentliche Verbrechen ganz woanders verortet.
Von Jonas Neldner.
Mit “The Mastermind” präsentiert die amerikanische Regisseurin, Drehbuchautorin und Editorin Kelly Reichardt ihren nächsten Film nach “Showing Up” von 2022, der diesmal ein Heist-Film geworden ist. Zumindest auf dem Papier, denn so viele Heist-Filme, die dem Genre des slow cinema zuzuorden sind, gibt es vielleicht auch gar nicht (an dieser Stelle freue ich mich über Empfehlungen!). Und so viel tatsächlicher Raub steckt auch gar nicht im Film, dennoch ist “The Mastermind” gespickt mit Heist-Film-Konventionen, denn Heist-Film heißt zum Beispiel oft auch Kontrabass und Vibraphon, dessen Thema sich früh im Film in die Ohren spielt und hinlänglich verwendet wird.
Gleichzeitig dekonstruiert Reichardt das Genre und zeigt ein minimalistisch-maximalistisches Bild des Ex-Kunststudenten und nun arbeitslosen Tischlers und Familienvaters, James Blaine Mooney (JB), der unter anderem Geldnöte hat und einen Kunstraub begeht, inmitten eines Amerikas zu Beginn der 1970er Jahre, gespickt mit Anti-Vietnamkriegsprotesten, dem Women’s Strike for Equality und späten Hippiebewegungen. Wie all dies zusammenlaufen kann, beweisen bereits die ersten Schnitte zu Beginn des Films.
Der Film beginnt im Museum mit einer Frontalaufnahme des titelstiftenden Masterminds, JB, in der er in den unteren linken Bildrand schaut. Es folgt ein Schnitt zu einer Profilaufnahme, was in der Konzeption beider Einstellungen an einen Mugshot erinnert. Der nächste Schnitt geht in eine Totale von der anderen Ecke des Raumes und ‘rahmt’ JB in den Türrahmen, figurativ abgetrennt von den anderen Menschen im Raum, während dieser sich umdreht und in Richtung des nächsten Raumes geht. An den Wänden sehen wir Bilder des amerikanischen Malers Alfred Bierstadt, ein möglicher erster Hinweis auf JB als insignifikante Person inmitten des gigantisch anmutenden Amerikas. Dies erstmal zu dem Protagonisten und seinen deterministischen Aussichten für den Verlauf des Films und soviel zu einer slow review-anmutenden Lesart der Anfangssequenz.
Und trotzdem ist der erste von zwei Kunsträuben des Films ein zentrales Beispiel, in welcher Vielschichtigkeit Reichardt den Heist-Film dekonstruiert, denn wenngleich hier die Titelmusik einsetzt, so schläft der Security-Guard und strahlt keine signifikante Gefahr aus — ebenjener wird auch in einer späteren Einstellung nochmals schlafend gezeigt, mehr eine Erinnerung an das Organ der Kontrolle und weniger ausübend bedrohlich. So ist das kriminelle Wirken von JB auch weniger genial, meisterhaft und mehr willkürlich momentär, aber immer in grundsätzlicher Selbstüberschätzung seiner Fähigkeiten und Rolle als Familienvater. Unklar bleiben auch die Motivation des Raubes, wie auch spätere Beweggründe für den ‘größeren’ Kunstraub. Der Film bietet zwar eine mögliche Erklärung für die Motive, diese werden jedoch von JB vehement bestritten. Zum Vergleich stehen zu Beginn die geklaute Miniaturfigur und die vier Ölgemälde, für die sich eigentlich niemand so wirklich interessiert, die von zwei Komplizen (genretypisch gibt es auch hier die loose cannon) gestohlen werden.
Reichardt lässt dem Film viel Zeit, Prozesse zu entfalten, und zeigt dadurch, dass die eigentliche Schwierigkeit, Prozesse darzustellen, daran liegt, dass diese eben immer auch ein alltägliches Unterfangen sein werden. Hier liegt auch das eigentliche Kunststück des Films, denn entrückt von dem Schmieden von Plänen fürs Rauben entgeht JB dessen Wirken innerhalb der Familie und der Gesellschaft als solcher völlig. Immer ein Stück entrückt zum Rest, oftmals außerhalb des Frames, mal mit Tiefen(un)schärfe, bleibt die Familie ein kahler Fluchtpunkt, die man fast noch weniger hört, als dass wir sie sehen.
In diesem Fall bietet es sich an, von zwei Filmen zu sprechen. Film eins als den Film, den wir Zuschauer:innen aus der Perspektive JBs erleben, und Film zwei, wiederum den, was um JB herum geschieht, dieser aber nicht bemerkt. Fragmentarisch umrissen werden Erwartungen des Elternhauses, was sowohl als nützliche Geldquelle dient, als auch dazu, mit der Figur des Vaters einer ersten Bedrohung aus dem Weg zu gehen; eine nahezu wortlose Kommunikation zu seiner Frau Terri und deren Kindern Tommy und Carl – bezeichnend ploppt Tommy in einer Szene durch sein Erbrochenes in Erscheinung und die Szene lässt sich Zeit, erst Minuten danach aufzuklären, woher ebenjenes Erbrochene herrührt.
Im weiteren Verlauf werden die innen- und außenpolitischen Geschehnisse immer frappierender. Die Straßen werden sichtlich voller von Protestbewegungen, Plakaten, die auf ebenjene hinweisen, und auch die Geräuschkulisse aus Radio und Fernsehen geht völlig an JB vorbei — einzig eine durchnässte Zeitung, deren Titelbild bezeichnenderweise sein Gesicht zeigt und die ihm buchstäblich vor die Füße fällt, erweckt sein Interesse, nur um sie sofort wieder fallen zu lassen. Womöglich ist der eigentliche Raub im Film das Versäumnis von JB, seine Familie, Freund:innen und Umwelt als solche wahrzunehmen, nicht aber der MacGuffin, verkauft beziehungsweise gestohlen als Gemälde.
Der Abstieg wird zum Ende hin sinnhaft durch den Diebstahl einer Handtasche von einer alten Dame, die er per Zufall im Diner entdeckt hat, dann aber kurzzeitig wieder aus den Augen verliert. Wo ein genretypischer Heist-Film zum Schluss den Clou auspackt und zum großen Wurf ausholt, wird es nahezu hier generisch und banal, ein Mittel zum Zweck und weniger vorbereitet, Typ „take the money and run“. Spätestens hier wird natürlich auch der Titel des Films nochmal mit Rotstift umrandet.
Kelly Reichardt ist ein äußerst sehenswerter Film gelungen, der gewiss nostalgieversehen einen Einblick in das Leben von Menschen bietet und dabei das Kleine groß werden lässt und unter einem Mikroskop verlangsamt die Feinheiten von Wahrnehmung und (Lebens-)Realitäten zeigt und zur selben Zeit nie wirklich klein war.
Der Film startet am 16. Oktober in den deutschen Kinos.
Mit The Mastermind wagt sich Kelly Reichardt an ein Genre, das man von ihr kaum erwartet: den Heist-Film. Doch statt Hochspannung und Masterplan setzt die Regisseurin auf entschleunigtes Erzählen, gesellschaftlichen Kontext und die innere Leere ihres Protagonisten. Ein Kunstraubfilm, der das eigentliche Verbrechen ganz woanders verortet.
Von Jonas Neldner.
Mit “The Mastermind” präsentiert die amerikanische Regisseurin, Drehbuchautorin und Editorin Kelly Reichardt ihren nächsten Film nach “Showing Up” von 2022, der diesmal ein Heist-Film geworden ist. Zumindest auf dem Papier, denn so viele Heist-Filme, die dem Genre des slow cinema zuzuorden sind, gibt es vielleicht auch gar nicht (an dieser Stelle freue ich mich über Empfehlungen!). Und so viel tatsächlicher Raub steckt auch gar nicht im Film, dennoch ist “The Mastermind” gespickt mit Heist-Film-Konventionen, denn Heist-Film heißt zum Beispiel oft auch Kontrabass und Vibraphon, dessen Thema sich früh im Film in die Ohren spielt und hinlänglich verwendet wird.
Gleichzeitig dekonstruiert Reichardt das Genre und zeigt ein minimalistisch-maximalistisches Bild des Ex-Kunststudenten und nun arbeitslosen Tischlers und Familienvaters, James Blaine Mooney (JB), der unter anderem Geldnöte hat und einen Kunstraub begeht, inmitten eines Amerikas zu Beginn der 1970er Jahre, gespickt mit Anti-Vietnamkriegsprotesten, dem Women’s Strike for Equality und späten Hippiebewegungen. Wie all dies zusammenlaufen kann, beweisen bereits die ersten Schnitte zu Beginn des Films.
Der Film beginnt im Museum mit einer Frontalaufnahme des titelstiftenden Masterminds, JB, in der er in den unteren linken Bildrand schaut. Es folgt ein Schnitt zu einer Profilaufnahme, was in der Konzeption beider Einstellungen an einen Mugshot erinnert. Der nächste Schnitt geht in eine Totale von der anderen Ecke des Raumes und ‘rahmt’ JB in den Türrahmen, figurativ abgetrennt von den anderen Menschen im Raum, während dieser sich umdreht und in Richtung des nächsten Raumes geht. An den Wänden sehen wir Bilder des amerikanischen Malers Alfred Bierstadt, ein möglicher erster Hinweis auf JB als insignifikante Person inmitten des gigantisch anmutenden Amerikas. Dies erstmal zu dem Protagonisten und seinen deterministischen Aussichten für den Verlauf des Films und soviel zu einer slow review-anmutenden Lesart der Anfangssequenz.
Und trotzdem ist der erste von zwei Kunsträuben des Films ein zentrales Beispiel, in welcher Vielschichtigkeit Reichardt den Heist-Film dekonstruiert, denn wenngleich hier die Titelmusik einsetzt, so schläft der Security-Guard und strahlt keine signifikante Gefahr aus — ebenjener wird auch in einer späteren Einstellung nochmals schlafend gezeigt, mehr eine Erinnerung an das Organ der Kontrolle und weniger ausübend bedrohlich. So ist das kriminelle Wirken von JB auch weniger genial, meisterhaft und mehr willkürlich momentär, aber immer in grundsätzlicher Selbstüberschätzung seiner Fähigkeiten und Rolle als Familienvater. Unklar bleiben auch die Motivation des Raubes, wie auch spätere Beweggründe für den ‘größeren’ Kunstraub. Der Film bietet zwar eine mögliche Erklärung für die Motive, diese werden jedoch von JB vehement bestritten. Zum Vergleich stehen zu Beginn die geklaute Miniaturfigur und die vier Ölgemälde, für die sich eigentlich niemand so wirklich interessiert, die von zwei Komplizen (genretypisch gibt es auch hier die loose cannon) gestohlen werden.
Reichardt lässt dem Film viel Zeit, Prozesse zu entfalten, und zeigt dadurch, dass die eigentliche Schwierigkeit, Prozesse darzustellen, daran liegt, dass diese eben immer auch ein alltägliches Unterfangen sein werden. Hier liegt auch das eigentliche Kunststück des Films, denn entrückt von dem Schmieden von Plänen fürs Rauben entgeht JB dessen Wirken innerhalb der Familie und der Gesellschaft als solcher völlig. Immer ein Stück entrückt zum Rest, oftmals außerhalb des Frames, mal mit Tiefen(un)schärfe, bleibt die Familie ein kahler Fluchtpunkt, die man fast noch weniger hört, als dass wir sie sehen.
In diesem Fall bietet es sich an, von zwei Filmen zu sprechen. Film eins als den Film, den wir Zuschauer:innen aus der Perspektive JBs erleben, und Film zwei, wiederum den, was um JB herum geschieht, dieser aber nicht bemerkt. Fragmentarisch umrissen werden Erwartungen des Elternhauses, was sowohl als nützliche Geldquelle dient, als auch dazu, mit der Figur des Vaters einer ersten Bedrohung aus dem Weg zu gehen; eine nahezu wortlose Kommunikation zu seiner Frau Terri und deren Kindern Tommy und Carl – bezeichnend ploppt Tommy in einer Szene durch sein Erbrochenes in Erscheinung und die Szene lässt sich Zeit, erst Minuten danach aufzuklären, woher ebenjenes Erbrochene herrührt.
Im weiteren Verlauf werden die innen- und außenpolitischen Geschehnisse immer frappierender. Die Straßen werden sichtlich voller von Protestbewegungen, Plakaten, die auf ebenjene hinweisen, und auch die Geräuschkulisse aus Radio und Fernsehen geht völlig an JB vorbei — einzig eine durchnässte Zeitung, deren Titelbild bezeichnenderweise sein Gesicht zeigt und die ihm buchstäblich vor die Füße fällt, erweckt sein Interesse, nur um sie sofort wieder fallen zu lassen. Womöglich ist der eigentliche Raub im Film das Versäumnis von JB, seine Familie, Freund:innen und Umwelt als solche wahrzunehmen, nicht aber der MacGuffin, verkauft beziehungsweise gestohlen als Gemälde.
Der Abstieg wird zum Ende hin sinnhaft durch den Diebstahl einer Handtasche von einer alten Dame, die er per Zufall im Diner entdeckt hat, dann aber kurzzeitig wieder aus den Augen verliert. Wo ein genretypischer Heist-Film zum Schluss den Clou auspackt und zum großen Wurf ausholt, wird es nahezu hier generisch und banal, ein Mittel zum Zweck und weniger vorbereitet, Typ „take the money and run“. Spätestens hier wird natürlich auch der Titel des Films nochmal mit Rotstift umrandet.
Kelly Reichardt ist ein äußerst sehenswerter Film gelungen, der gewiss nostalgieversehen einen Einblick in das Leben von Menschen bietet und dabei das Kleine groß werden lässt und unter einem Mikroskop verlangsamt die Feinheiten von Wahrnehmung und (Lebens-)Realitäten zeigt und zur selben Zeit nie wirklich klein war.
Der Film startet am 16. Oktober in den deutschen Kinos.