Ein Jahr Dokomotive – neue Wege für den Dokumentarfilm
Im Januar dieses Jahres feierte die Dokomotive-Plattform ihren ersten Geburtstag. Der in Köln geborene Zusammenschluss von Filmemachern, Editoren, Autoren und Dramaturgen hat sich in dieser kurzen Zeit durch vielzählige Aktivitäten bereits zu einer festen Größe in der Kölner Filmszene und weit darüber hinaus etabliert. Die Dokomotive-Mitglieder verstehen sich dabei nicht nur als Macher von Dokumentarfilmen, die sich in ihrer Arbeit unterstützen, sondern auch als innovative Filmvermittler, die an der Schnittstelle zwischen Film und Publikum neue und überaus interessante Möglichkeiten für das Sehen von Dokumentarfilmen entwickeln. Unser Autor Werner Busch sprach mit Gründungsmitglied Markus Lenz über die deutschlandweit einmalige Initiative.
Werner Busch: „Dokumentarfilme anders sehen“ und mehr Aufmerksamkeit für den Dokumentarfilm schaffen, das sind erklärte Ziele der Dokomotive. Welche Wege geht ihr, um diese zu erreichen?
Markus Lenz: Wir wollen nicht so viele Filme wie möglich präsentieren oder streamen, sondern uns für jedes einzelne Werk die Zeit nehmen, die es verdient. Circa alle sechs Wochen präsentieren wir einen neuen Film auf unserer Plattform. Für jeden Dokumentarfilm, den wir zeigen, drehen wir ein Diskurs-Video, indem wir Hintergründiges beleuchten und den oder die Filmemacher oder auch Protagonisten mit Fragen konfrontieren, die wir an den Film stellen. Darüber hinaus kann der Film auf unserer Plattform gestreamt werden. Für jeden Film organisieren wir zudem ein „Special Screening“, das nicht im Kino stattfindet.
Diese „Special Screenings“ finden oft an sehr außergewöhnlichen Orten statt, was ist Eure Idee dahinter?
Unsere Vision ist, ein neues Genre zu kreieren, welches sich auf der Rezeptionsebene des Filmes manifestiert: Der immersive Dokumentarfilm. Die Lokalität hat in diesem Zusammenhang die Funktion eines Brückenbauers zwischen der Filmgeschichte und der Wahrnehmungsebene der Zuschauer. In der Auswahl und Gestaltung des Screeningortes versuchen wir dem Geist eines jeden von uns ausgewählten Dokumentarfilmes auf die Schliche zu kommen und ihn in den 90 Minuten der Filmvorführung aus der Flasche zu lassen. Louisa haben wir z.B. in einem schalltoten Raum gezeigt, um die Zuschauer auf der auditiven Ebene schon vor dem Film-Screening zu sensibilisieren und auf das innere Thema des Filmes vorzubereiten. Der Raum hat sich während des Screenings so aufgeheizt, dass wir über einen Generator Frischluft zuführen mussten. Aber die Leute waren begeistert.
Das Screening von Sofia’s Last Ambulance fand in einem mobilen Krankenlabor statt. Wir haben auch schon bei winterlicher Kälte eine leerstehende Tiefgarage in ein Kino verwandelt, oder unser Publikum in ein abgerocktes 80er-Jahre Fitnessstudio entführt. Immer auf der Suche nach den Momenten, in denen sich der Zuschauer vollends durch den Ort von der Filmgeschichte einnehmen lässt. Vor dem heimischen Bildschirm können wir dieses Gefühl natürlich nur schwer erzeugen. Mit dem Streaming-Angebot reagieren wir auf die veränderten Sehgewohnheiten, die die digitale Welt mit ihren non-linearen Inhalten mit sich bringt.
Der innovative Ansatz der Dokomotive, als Kollektiv von Filmemachern und gleichzeitig als Vermittler zwischen Publikum und Film, lässt vermuten, dass es einen Bedarf an neuen Entstehungsformen einerseits und Präsentationsformen andererseits von Dokumentarfilmen gibt. Kannst du aktuelle Probleme, sowohl für die eine, als auch für die andere Seite beschreiben?
Der Kollektivgedanke der Filmschaffenden ist eine Antwort auf die Einsamkeit, in der sich Dokumentarfilmer mit ihren Stoffen oft befinden. Durch unsere Forums-Treffen können wir uns da gegenseitig auffangen und unterstützen. Man entwickelt Projekte gedanklich einen langen Zeitraum und geht natürlich auch finanziell fast immer in Vorleistung. Zudem ist und bleibt Dokumentarfilm immer ein Nischenprodukt in der Filmauswertung und verlangt nach kreativen Auswertungskonzepten. Wir hoffen das Publikum durch kreative Präsentationsideen für die Filme und für das Genre zu sensibilisieren.
Wie kam dieser Zusammenschluss von Filmautoren ursprünglich zusammen und wie hat sich die Gruppe und ihre Aktivitäten seitdem erweitert, verändert?
Am Anfang waren wir zu zweit und haben 2015 zum Dokomotive Forum eingeladen – ein erster Gesprächskreis von Gleichgesinnten. Die Resonanz war großartig. Wir hatten etwas Ähnliches zu Studienzeiten schon mal ausprobiert und die Idee dann nach einigen Jahren wieder aufgefrischt. Schon bald wurde deutlich, dass der Gesprächsbedarf unter den Teilnehmenden groß ist. Aus diesen lockeren Gesprächsrunden ist ein fester aber leicht fluktuierender Kreis geworden, der sich immer mehr mit der Zeit professionalisiert hat. Nach und nach haben sich die Strukturen verändert und sind partizipatorischer geworden. Über das Forum hinaus haben sich Dokomotive Satelliten abgespalten, die in kleineren Arbeitsgruppen an konkreten Initiativen arbeiten, wie z.B. der Plattform. Nach einem Jahr Arbeit ging die Plattform im Januar 2018 online. Innerhalb der Plattform sind wir ebenfalls sehr arbeitsteilig aufgestellt. Wir sind ständig in Kontakt mit Kooperationspartnern, um unsere Ideen zu verwirklichen und weiterzuentwickeln. Gerade sind neue Dokomotive-Initiativen in der Entstehungsphase, aber es ist noch etwas zu früh um darüber zu sprechen.
Kannst du etwas näher auf die Bedeutung der Diskurs-Videos eingehen, die im Gespräch mit den Filmemachern den Film erweitern und die auf der Plattform veröffentlicht werden?
Die Kultur des Filmgespräches wird ja von einigen Festivals sehr hochgehalten. Auch Kinobetreiber wissen, dass oft die Anwesenheit der Filmemacher die Leute ins Kino holt. Das Filmgespräch sehen wir als eine persönliche Begegnung eines Kollektiv-Mitglieds mit dem Filmautor. Jeder Film verhandelt mit künstlerischen Mitteln komplexe Phänomene der Realität und immer bleiben am Ende Fragen übrig. Die Idee des Filmgespräches ist es, Antworten auf mögliche Fragen zu liefern und die Beweggründe der Filmemacher kennenzulernen. Über die Form der Videos gibt es auch bei uns unterschiedliche Meinungen. Unser Anspruch ist es, uns in Zukunft noch mehr Zeit dafür zu nehmen, um selbst aus ihnen kleine Film-Miniaturen entstehen zu lassen.
Bei euren Mitgliedern sprecht ihr von „Filmautoren“, seien es Regisseure, Editoren oder Dramaturgen. Was ist die Idee dahinter?
Es gibt in der deutschen Sprache ein Defizit in der Definition der komplexen, vielschichtigen und disziplinübergreifenden Arbeit von Dokumentarfilmschaffenden, die sich auf vielen verschiedenen Ebenen abspielt. Der Begriff Filmautor scheint uns da noch am Treffendsten, denn wir verhandeln Filme von Autoren, die alle eine persönliche Handschrift besitzen und sich gegen eine Formatierung aussprechen.
Welches Fazit könnt ihr für das erste Jahr Dokomotive ziehen?
Nach gut einem Jahr Dokomotive-Plattform feiern wir demnächst unseren 10. Film, den wir zeigen. Die Dokomotive-Plattform verfügt über ein festes Team und viele Mitstreiter, die all das ermöglichen. Die Finanzierung unserer Veranstaltungen steht auf einem solideren Sockel als im Vorjahr, auch wenn wir alle noch fast ehrenamtlich arbeiten. Und wir haben viele Ideen für die kommenden 18 Monate. Der nächste Film wird „Erich und Schmitte – Entscheidend ist am Beckenrand“ sein, ein Film von unserem Kollektivmitglied Stefan Eisenburger, der leider von uns gegangen ist. Das Screening wird voraussichtlich Mitte Mai stattfinden.
Interview: Werner Busch
15 CORNERS OF THE WORLD Special Screening
LOUISA Special Screening in einem schalltoten Raum
Ein Jahr Dokomotive – neue Wege für den Dokumentarfilm
Im Januar dieses Jahres feierte die Dokomotive-Plattform ihren ersten Geburtstag. Der in Köln geborene Zusammenschluss von Filmemachern, Editoren, Autoren und Dramaturgen hat sich in dieser kurzen Zeit durch vielzählige Aktivitäten bereits zu einer festen Größe in der Kölner Filmszene und weit darüber hinaus etabliert. Die Dokomotive-Mitglieder verstehen sich dabei nicht nur als Macher von Dokumentarfilmen, die sich in ihrer Arbeit unterstützen, sondern auch als innovative Filmvermittler, die an der Schnittstelle zwischen Film und Publikum neue und überaus interessante Möglichkeiten für das Sehen von Dokumentarfilmen entwickeln. Unser Autor Werner Busch sprach mit Gründungsmitglied Markus Lenz über die deutschlandweit einmalige Initiative.
Werner Busch: „Dokumentarfilme anders sehen“ und mehr Aufmerksamkeit für den Dokumentarfilm schaffen, das sind erklärte Ziele der Dokomotive. Welche Wege geht ihr, um diese zu erreichen?
Markus Lenz: Wir wollen nicht so viele Filme wie möglich präsentieren oder streamen, sondern uns für jedes einzelne Werk die Zeit nehmen, die es verdient. Circa alle sechs Wochen präsentieren wir einen neuen Film auf unserer Plattform. Für jeden Dokumentarfilm, den wir zeigen, drehen wir ein Diskurs-Video, indem wir Hintergründiges beleuchten und den oder die Filmemacher oder auch Protagonisten mit Fragen konfrontieren, die wir an den Film stellen. Darüber hinaus kann der Film auf unserer Plattform gestreamt werden. Für jeden Film organisieren wir zudem ein „Special Screening“, das nicht im Kino stattfindet.
Diese „Special Screenings“ finden oft an sehr außergewöhnlichen Orten statt, was ist Eure Idee dahinter?
Unsere Vision ist, ein neues Genre zu kreieren, welches sich auf der Rezeptionsebene des Filmes manifestiert: Der immersive Dokumentarfilm. Die Lokalität hat in diesem Zusammenhang die Funktion eines Brückenbauers zwischen der Filmgeschichte und der Wahrnehmungsebene der Zuschauer. In der Auswahl und Gestaltung des Screeningortes versuchen wir dem Geist eines jeden von uns ausgewählten Dokumentarfilmes auf die Schliche zu kommen und ihn in den 90 Minuten der Filmvorführung aus der Flasche zu lassen. Louisa haben wir z.B. in einem schalltoten Raum gezeigt, um die Zuschauer auf der auditiven Ebene schon vor dem Film-Screening zu sensibilisieren und auf das innere Thema des Filmes vorzubereiten. Der Raum hat sich während des Screenings so aufgeheizt, dass wir über einen Generator Frischluft zuführen mussten. Aber die Leute waren begeistert.
Das Screening von Sofia’s Last Ambulance fand in einem mobilen Krankenlabor statt. Wir haben auch schon bei winterlicher Kälte eine leerstehende Tiefgarage in ein Kino verwandelt, oder unser Publikum in ein abgerocktes 80er-Jahre Fitnessstudio entführt. Immer auf der Suche nach den Momenten, in denen sich der Zuschauer vollends durch den Ort von der Filmgeschichte einnehmen lässt. Vor dem heimischen Bildschirm können wir dieses Gefühl natürlich nur schwer erzeugen. Mit dem Streaming-Angebot reagieren wir auf die veränderten Sehgewohnheiten, die die digitale Welt mit ihren non-linearen Inhalten mit sich bringt.
Der innovative Ansatz der Dokomotive, als Kollektiv von Filmemachern und gleichzeitig als Vermittler zwischen Publikum und Film, lässt vermuten, dass es einen Bedarf an neuen Entstehungsformen einerseits und Präsentationsformen andererseits von Dokumentarfilmen gibt. Kannst du aktuelle Probleme, sowohl für die eine, als auch für die andere Seite beschreiben?
Der Kollektivgedanke der Filmschaffenden ist eine Antwort auf die Einsamkeit, in der sich Dokumentarfilmer mit ihren Stoffen oft befinden. Durch unsere Forums-Treffen können wir uns da gegenseitig auffangen und unterstützen. Man entwickelt Projekte gedanklich einen langen Zeitraum und geht natürlich auch finanziell fast immer in Vorleistung. Zudem ist und bleibt Dokumentarfilm immer ein Nischenprodukt in der Filmauswertung und verlangt nach kreativen Auswertungskonzepten. Wir hoffen das Publikum durch kreative Präsentationsideen für die Filme und für das Genre zu sensibilisieren.
Wie kam dieser Zusammenschluss von Filmautoren ursprünglich zusammen und wie hat sich die Gruppe und ihre Aktivitäten seitdem erweitert, verändert?
Am Anfang waren wir zu zweit und haben 2015 zum Dokomotive Forum eingeladen – ein erster Gesprächskreis von Gleichgesinnten. Die Resonanz war großartig. Wir hatten etwas Ähnliches zu Studienzeiten schon mal ausprobiert und die Idee dann nach einigen Jahren wieder aufgefrischt. Schon bald wurde deutlich, dass der Gesprächsbedarf unter den Teilnehmenden groß ist. Aus diesen lockeren Gesprächsrunden ist ein fester aber leicht fluktuierender Kreis geworden, der sich immer mehr mit der Zeit professionalisiert hat. Nach und nach haben sich die Strukturen verändert und sind partizipatorischer geworden. Über das Forum hinaus haben sich Dokomotive Satelliten abgespalten, die in kleineren Arbeitsgruppen an konkreten Initiativen arbeiten, wie z.B. der Plattform. Nach einem Jahr Arbeit ging die Plattform im Januar 2018 online. Innerhalb der Plattform sind wir ebenfalls sehr arbeitsteilig aufgestellt. Wir sind ständig in Kontakt mit Kooperationspartnern, um unsere Ideen zu verwirklichen und weiterzuentwickeln. Gerade sind neue Dokomotive-Initiativen in der Entstehungsphase, aber es ist noch etwas zu früh um darüber zu sprechen.
Kannst du etwas näher auf die Bedeutung der Diskurs-Videos eingehen, die im Gespräch mit den Filmemachern den Film erweitern und die auf der Plattform veröffentlicht werden?
Die Kultur des Filmgespräches wird ja von einigen Festivals sehr hochgehalten. Auch Kinobetreiber wissen, dass oft die Anwesenheit der Filmemacher die Leute ins Kino holt. Das Filmgespräch sehen wir als eine persönliche Begegnung eines Kollektiv-Mitglieds mit dem Filmautor. Jeder Film verhandelt mit künstlerischen Mitteln komplexe Phänomene der Realität und immer bleiben am Ende Fragen übrig. Die Idee des Filmgespräches ist es, Antworten auf mögliche Fragen zu liefern und die Beweggründe der Filmemacher kennenzulernen. Über die Form der Videos gibt es auch bei uns unterschiedliche Meinungen. Unser Anspruch ist es, uns in Zukunft noch mehr Zeit dafür zu nehmen, um selbst aus ihnen kleine Film-Miniaturen entstehen zu lassen.
Bei euren Mitgliedern sprecht ihr von „Filmautoren“, seien es Regisseure, Editoren oder Dramaturgen. Was ist die Idee dahinter?
Es gibt in der deutschen Sprache ein Defizit in der Definition der komplexen, vielschichtigen und disziplinübergreifenden Arbeit von Dokumentarfilmschaffenden, die sich auf vielen verschiedenen Ebenen abspielt. Der Begriff Filmautor scheint uns da noch am Treffendsten, denn wir verhandeln Filme von Autoren, die alle eine persönliche Handschrift besitzen und sich gegen eine Formatierung aussprechen.
Welches Fazit könnt ihr für das erste Jahr Dokomotive ziehen?
Nach gut einem Jahr Dokomotive-Plattform feiern wir demnächst unseren 10. Film, den wir zeigen. Die Dokomotive-Plattform verfügt über ein festes Team und viele Mitstreiter, die all das ermöglichen. Die Finanzierung unserer Veranstaltungen steht auf einem solideren Sockel als im Vorjahr, auch wenn wir alle noch fast ehrenamtlich arbeiten. Und wir haben viele Ideen für die kommenden 18 Monate. Der nächste Film wird „Erich und Schmitte – Entscheidend ist am Beckenrand“ sein, ein Film von unserem Kollektivmitglied Stefan Eisenburger, der leider von uns gegangen ist. Das Screening wird voraussichtlich Mitte Mai stattfinden.
Interview: Werner Busch
15 CORNERS OF THE WORLD Special Screening
LOUISA Special Screening in einem schalltoten Raum