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Punk, Zeitgeist & Videotapes – 25 Jahre Traumathek

Punk, Zeitgeist & Videotapes
– 25 Jahre Traumathek

Filmkunst hört hier nicht bei der Kunst auf: Seit 25 Jahren ist die Traumathek in Köln eine einmalige Institution. Sie ist eine der letzten Programmvideotheken in Deutschland, wahrscheinlich in Europa. Die goldenen Tage des DVD-Verleihs sind schon lange – lange – vorbei. Und selbst in besseren Heimmedien-Zeiten war das Tagesgeschäft nie einfach.  Sehr viel persönliches Engagement und Idealismus stecken in diesem Projekt, das im Laufe der Jahre zu einer der größten (nutzbaren!) Filmsammlungen in Nordrhein-Westfalen wuchs. Innerhalb und außerhalb des Verleihgeschäfts entwickelte sich das Lokal in der Engelbertstraße beständig weiter und hat mit seinem Ladenkino, das wie ein argentoeskes Wohnzimmer anmutet, sogar den Sprung in die Kölner Kinolandschaft geschafft. Verdammt leckeren Kaffee gibt es auch! Filmszene Köln sprach mit Traumathek-Gründerin Karin Hüttenhofer in ihrem Videostore und Filmcafé  nach der großen Jubiläumsfeier.

Filmszene Köln: Du und dein Team habt nun kürzlich im Olympia 25 Jahre Traumathek gefeiert. Hättest du dir im Jahr 1994, als du die Programmvideothek eröffnet hast, vorstellen können, dass du sie ein Vierteljahrhundert immer noch betreiben würdest?

Karin Hüttenhofer: Nein, sicher nicht. Mein damaliger Freund und ich hatten die Traumathek spontan aus einer punkigen Haltung heraus gegründet: „Do it and do it yourself“. Wir haben uns keine Gedanken gemacht, wie lange die Videothek  bestehen können würde. Es war ein Experiment, an das wir hoffnungsvoll glaubten, von dem wir jedoch nicht wissen konnten, ob es funktioniert. Im Nachhinein ist das Vierteljahrhundert der Traumathek so überraschend wie ihre damalige Gründung.

Wie kamst du auf die Idee, eine Videothek für internationale Filmkunst zu machen? Gab es vergleichbares zu der Zeit überhaupt?

In Berlin gab es bereits das Videodrom, dessen Inhaber Graf Haufen zusätzlich zu seiner Videothek einen Mailorder-Versand führte. Darin bot er etliche bizarre und ungewöhnliche VHS-Tapes an, wovon die meisten aus Holland, England und Hongkong importiert wurden. Sie waren im Original, unsynchronisiert mit englischen Untertiteln – und vor allem: ungeschnitten. All diese Videos konnte man sich in keiner Kölner Videothek ausleihen oder sie waren synchronisiert und/oder geschnitten. Da die Preise der Videos sehr hoch waren, für den Privatmenschen teilweise kaum erschwinglich, dachten wir uns, es sei doch toll und sozial und eine Bereicherung für alle, wenn man sie sich auch in Köln ausleihen könnte. Und also ward eine Film-Nische geboren.

Immer in guter Gesellschaft: Traumathek-Gründerin Karin Hüttenhofer mit Regisseur Jörg Buttgereit (Foto: Werner Busch)

Was ist dein persönlicher Background?

Ich komme aus Ravensburg, einer Kleinstadt in Süddeutschland, wo ich bereits als Jugendliche in die Subkultur mit ihren Plattenläden und alternativen Konzerten, dem autonomen Jugendhaus, den linken Bars und dem Club Douala geraten bin, glücklicherweise. Das ging dann nach meinem Umzug nach Köln 1988 natürlich munter so weiter. Zwar war ich hierher gezogen, um Sport zu studieren – was ich brav zwei Semester tat, bevor ich in die Geisteswissenschaften wechselte – aber durch das Eintauchen in die Subkultur Kölns und hier vor allem in die Musikszene bin ich sehr geprägt durch Musik und das Umfeld, in dem Musik damals stattfand.

Wichtige Rollen spielten für mich das Kölner Musikmagazin Spex, der Punkrock-Club „Rose Club“, und allgemein das Kölner Nachtleben in Bars wie dem Six Pack, L, Blue Shell, Station. Über die Musik kam ich dann erst zum Film: Underground, Horror, Splatter, abseitiger Film, Kunstfilm, Experimentalfilm und später all das andere, was man heute in der Traumthek finden kann. Erst hier in Köln, Ende 80er/Anfang 90er, entwickelte sich also meine intensive Leidenschaft für Film.

In dieser Zeit hat sich die Filmlandschaft natürlich gewandelt und vor allem auch die Art wie und wo wir Filme sehen. Welche Wandlungen hat die Traumathek in diesen 25 Jahren gemacht?

Ja, dem Wandel in der Filmlandschaft und in den Sehgewohnheiten hat die Traumathek natürlich Rechnung tragen müssen. Wir wurden im Laufe der Jahre immer wieder gezwungen, uns in vielerlei Hinsicht anzupassen und zu wandeln, um das Geschäftsmodell aufrecht erhalten zu können.

Erst gab es die empfindlichen VHS-Kassetten (die viele nicht zurückspulten), dann die DVDs (die oft zerkratzen und stets sind wir schuld), inzwischen die Blu-rays (die nicht jedem gefallen). Dann gab es die Umwandlung der Erwachsenenvideothek zur Familienvideothek mit Zutritt auch für Jugendliche und Kinder, indem wir die indizierten Filme nicht mehr in den Regalen ausstellten. Übrigens: Pornographie, das große Geschäft aller normalen Videotheken, früher wie heute, hatten wir nie im Angebot.

Vor ein paar Jahren entstand dann das Filmcafé mit allen dadurch anfallenden Arbeiten eines Gastrobetriebes, mit dem wir eine schöne gesellige Atmosphäre in der Traumathek schaffen konnten. So etwas bieten Videotheken ja eigentlich nie.

Dann haben wir uns mit dem Studio Argento, unserem Ladenkino, ein völlig neues Tätigkeitsfeld erarbeitet: technischer Betrieb, Kuratierung eines Programms, Rechteverhandlungen, Abrechnungen, Organisation, Werbung, Social-Media, und etliches mehr, womit wir vorher nicht rechneten.

Auch die inhaltliche Ausrichtung unseres Verleihprogramms hat sich verändert: Früher haben wir mehr Horror, Splatter, Trash, Experimental und Abseitiges zugekauft. Natürlich für unser Stammpublikum, das mit uns groß geworden ist. Inzwischen wird der Anteil an Arthouse, Kunstfilm, Hollywood- und Mainstreamfilmen höher, da diese mehr nachgefragt werden. Natürlich vergessen wir nicht, woher wir ursprünglich kommen; noch heute liegen uns die abseitigen Filmlandschaften sehr am Herzen. Das kann jeder feststellen, wenn er unseren Online-Gesamtkatalog durchstöbert.

Wo Christian Petzold auf Alexander Titus Benda trifft, hat der Filmgelehrte gut lachen. Filmkritiker Christian Keßler inspiziert bei einer Lesung das Verleihsortiment (Foto: Werner Busch)

Und wenn man sich hier im Filmcafé umschaut, kann man auch jederzeit für filmaffine Freunde interessante Geschenke und Merchandise finden.

Ja, hier gab es eine grundlegende Sortimentsänderung: Früher verkauften wir in nicht unerheblichem Maße etliche selbst importierte Filmzeitschriften aus aller Welt. Dieser Markt ist völlig verschwunden. Als Ausgleich bieten wir inzwischen Soundtracks auf Vinyl, zahlreiche Filmbücher, Filmplakate und eigene Merchandising-Artikel an. Zum Beispiel die berühmten Traumathek-Taschen, Anti-Trump-Buttons und andere, Gutscheine und ab Herbst sogar T-Shirts. Und natürlich gab es einige Änderungen innerhalb der Clubmitgliedschaft bezüglich Ausleihdauer, Rückgabezeitpunkt, Überziehungsgebühren und so weiter. Da wollten wir veränderten Lebensumständen der Kunden entgegenkommen.

Am bemerkenswertesten finde ich, dass es hier inzwischen mindestens ein mal die Woche ein Filmscreening gibt. Und ihr zeigt nicht nur Klassiker sondern auch Kinofilme zum offiziellen Kinostart. Wie kommt dieses Programm zustande?

Ja, schon dieses Jahr werden wir auf circa 80 Filmscreenings kommen. Aber unser Ladenkino, das Studio Argento, gibt es schon seit drei Jahren, es ist ein fester Bestandteil der Kölner Kinolandschaft geworden. Wir haben ein sehr breit gefächertes Programm, dessen Auswahl nur durch drei Personen und zwei Faktoren bestimmt wird: Bei den Personen handelt es sich um zwei meiner drei Mitarbeiter und natürlich mich selbst, wobei Florian Prasser als cineastischer Experte in sämtlichen Film- und Technikfragen fungiert, während unser neuer Mitarbeiter sich um die administrativen, organisatorischen, lizenzrechtlichen Fragen und Social-Media kümmert. Die beiden Faktoren sind banal: Was wir für sehenswert halten und als zeigenswert erachten, und natürlich – die finanziellen Beschränkungen hinsichtlich der zu erwerbenden Aufführungsrechte.

Wir möchten im Studio Argento nur Filme zeigen, die zur Traumathek und zu ihrer Ausrichtung passen. Dazu zählen ungewöhnliche, interessante, seltene, abseitige, vergessene Filme, B-Movies, Low-Budget-Filme, Debütfilme, Musikfilme über alternative und Subkultur-Musik, linke Filme des politischen Widerstands, Independent-, Alternative-Kino, andere Filmkulturen. Wenn es sich nicht gerade um neue oder neuere Titel handelt, sind dies alles Filme, die kaum woanders gezeigt werden oder gezeigt werden können. Wir legen Wert auf die Feststellung, dass bei uns der wirtschaftliche Aspekt eines zu zeigenden Films ganz weit unten steht. Wir möchten den Filmen, ihren Machern und Darstellern huldigen, ihnen den Platz einräumen, der ihnen gebührt, nicht den Zuschauern und schon gar nicht der Kasse.

Der Veranstaltungskalender mit abendlichen Filmscreenings, Lesungen und Performances ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. In 2019 stehen circa 80 Vorführungen auf dem Plan (Foto: Werner Busch)

In meinem Kopf ist die Traumathek eng verbunden mit einer ganz bestimmten Art von Film-Nerdtum, eines, dass das berühmt-berüchtigte Filmmagazin „Splatting Image“ mit der Muttermilch aufgesogen hat. Hattest du je Sorge, dass deine Kundschaft überaltert oder hast du beobachtet, dass junge Freunde des alternativen Kinos beständig nachwachsen?

Es stimmt, die Splatting Image, die sich im Untertitel „Magazin für den unterschlagenen Film“ nennt, war in vielerlei Hinsicht sehr wichtig für die Traumathek. Einerseits natürlich inhaltlich, denn der unterschlagene Film war ja auch stets unser Hauptthema. Und dann auch persönlich, denn wir waren immer eng mit den Autoren und der Leserschaft der Splatting Image verbunden, noch heute haben wir Kontakt zu einigen von ihnen, zum Beispiel Christian Keßler, Jörg Buttgereit und Marcus Stiglegger, die sogar ab und an bei uns im Studio Argento auftreten und dabei dann ganz besondere Abende gestalten. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass es die Traumathek ohne die Splatting Image nicht geben würde.

Die Sorge, dass unsere Kundschaft überaltert, ist in den letzten Jahren beständig gewachsen, inzwischen jedoch einem lakonisch-unbegründeten Gleichmut – nicht Gleichgültigkeit – gewichen. Ja, ganz deutlich: Unsere Kundschaft wird älter, wandert ab, schwindet, und junge oder gar neue Freunde des Films, wie wir ihn verstehen, wachsen zu wenig nach, kommen kaum neu zu uns. Dafür gibt es etliche Gründe: Anbieter wie Netflix, Konfektionsfilme durch Algorithmen, Serien-Manie allüberall, Zusammenwachsen von TV/Internet, illegales Streamen, Preisverfall und Verramschung bei DVDs/Blu-rays, neue Sehgewohnheiten (Smartphones, kurze Clipse, schnelle Schnitte), geringere Konzentrationsspannen, irrationales Konsumverhalten, Zeit-, Stress-, Verdichtungsänderungen, Monopolisierung in sämtlichen Lebensbereichen, Ausweitung des Mainstream-Denkens mit zunehmender Ausgrenzung Andersdenkender, und so weiter.

Neuerdings sehen wir einen gar nicht so weit hergeholten weiteren Grund, dessen Auswirkungen nicht so vage bleiben, wie viele meinen: Erderwärmung und Klimakatastrophe. Es kann jeder selbst für sich ergründen, was die unbestreitbar veränderten und sich weiter verändernden Temperaturen für unser Leben, unsere Zeit bedeuten. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, dass nicht auch die Traumathek und unsere Kundschaft davon direkt, konkret, jetzt schon betroffen sind. Mir ist es wichtig zu sagen: Jedem Gedanken, jedem gedachten Gedanken auf der gesamten Welt muss endlich dieser Aspekt vorangestellt werden.

Filmscreening (HÄXAN) trifft Performance trifft Soundscapes: Sean Derrick Cooper Marquardt und die S&M Accidental Orchestra Experience performten 2017 in der Traumathek (Foto: Werner Busch)

Und wenn du an die Zukunft der Traumathek denkst… was wäre da wichtig für euch? Gibt es einen Appell den du formulieren magst?

Ja gern. Unser Appell ist sehr einfach und die Begründung dafür banal. Kommt mehr in die Traumathek, vor allem: leiht mehr aus, werdet Clubmitglied, kauft mehr ein, besucht mehr das Studio Argento, trinkt mehr im Filmcafé, mietet mehr privat unser Studio. Denn: Ohne Geld geht nichts und nichts.

Unsere Zukunft? Die Zeit läuft gegen uns. Gegen all die oben angeführten Änderungen und Widrigkeiten können wir nicht ankommen und wir wissen, dass die Traumathek dem Untergang geweiht ist. Aber das ficht uns gar nicht an, wir halten es wie Hayao Miyazaki vom legendären Studio Ghibli, der lächelnd, zuversichtlich, fast glücklich erklärt: „Wir werden untergehen.“

Interview: Werner Busch

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