Der Kunststudent und Filmemacher Steffen Meyn stirbt im September 2018, als er bei der Räumung im Hambacher Forst aus einem Baumhaus abstürzt. Aus seinen unveröffentlichten 360°-Aufnahmen schufen drei Freund:innen den Dokumenarfilm „Vergiss Meyn Nicht“, der nun auf Homevideo erschienen ist.
Mit einem wunderbaren, aus privater Freundschaft gewonnenem Gefühl, nähern sich die jungen Filmemacher:innen ihrem Protagonisten und der Widerstands-Szene im Hambacher Forst. Taktvoll aber konsequent wird das Material von Steffen Meyn genutzt, der sich für die Dokumentation der Räumung in Gefahr brachte und tragisch verunglückte.
Die Aktivist:innen‐Szene im Hambacher Forst hatte Steffen Meyn von Anfang an fasziniert. Seit 2017 war er immer wieder in dem Waldgebiet zwischen Köln und Aachen mit einer 360°‐Kamera unterwegs. Der Bürgewald wurde seit vielen Jahren vom Energiekonzern RWE zerstört, um den Braunkohle‐Tagebau Hambach auszuweiten. Dieser versorgt umliegende Kraftwerke, die zu den mit Abstand größten CO2‐Schleudern in Europa gehören. Als die Landesregierung mit einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte von NRW den Wald im September 2018 räumen ließ, wurde seine 360°‐Helmkamera zu einem wichtigen Instrument, um Menschen vor Polizeigewalt zu schützen und den gefährlichen, mehrwöchigen Einsatz zu dokumentieren.
Die gelöschten Aufnahmen
Als die Polizei im Zuge der Räumung die Bewegungsmöglichkeiten der Presse immer weiter einschränkte, entschloss sich Steffen Meyn, viele Meter über dem Boden in einer Baumhaussiedlung seine Arbeit fortzusetzen. Hier kam es am 19. September zu dem Unfall, bei dem er durch eine Hängebrücke brach, in die Tiefe stürzte und kurz darauf verstarb. Auch während dieses Unglücks lief seine Kamera. Diese und andere Aufnahmen wurden von der Polizei später gelöscht. Dass sie auf der großen Kinoleinwand zu sehen sein konnten, und nun auch als DVD oder im Stream, ist dem Engagement vieler Menschen zu verdanken.
Die Filmemacher:innen Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff studierten mit Steffen Meyn an der KHM. Schon bald nach dem Unfalltod ihres Freundes war klar, dass aus seinen knapp 50 Stunden Filmmaterial etwas entstehen muss. »Dass es sich bei Steffens Material quasi ausschließlich um 360°‐Filmaufnahmen handelt, wurde für uns zu einer ganz besonderen Herausforderung. Es ist z. B. sehr zeitaufwendig, Kameramaterial zu sichten, das alle Himmelsrichtungen gleichzeitig abbildet. Die Kamerawinkel und Bildkadrierung haben wir erst im Montageprozess festgelegt und im Zusammenspiel mit unserem Editor auch immer wieder angepasst«, erzählt Jens Mühlhoff. »Ich glaube, dass noch niemand – zumindest mit fremdem Material – so gearbeitet hat.
Annäherungen an einen tragischen Tod
Eine wesentliche Fragestellung war es für die Filmemacher:innen, wie sie sich dem Tod von Steffen annähern sollten: »Es war uns allen klar, dass wir das nicht auslassen können. Es wäre gelogen gewesen, diese Aufnahmen nicht zu verwenden«, so Kilian Kuhlendahl. Fabiana Fragale ergänzt: »Und es war auch schnell klar, dass wir mit diesem Unfall den Film beginnen lassen, um das Publikum zu entlasten, dass ja auf diesen Moment warten würde. Der Film wird aber später wieder dorthin zurückkommen. Es war uns wichtig zu zeigen, wie es passiert ist – die Minuten vor und nach dem Unfall. Aber nicht den Sturz selbst, diese Sekunden lassen wir aus.«
Das Material von Steffen Meyn wird dabei um neu aufgenommene Interviews mit Aktivist:innen ergänzt: »Wir wollten zeigen, wer eigentlich diese Menschen sind, die in Steffens Aufnahmen fast immer nur vermummt zu sehen sind«, sagt Kilian Kuhlendahl. Für Jens Mühlhoff haben »diese Interviews die Möglichkeit gegeben, über Steffens Tod hinauszugehen. Was hat diese intensive Zeit im Hambacher Forst mit den Menschen gemacht, wo sind sie heute?« Fabiana Fragale: »Es war uns wichtig, zu zeigen, dass das Leben weitergegangen ist und damit auch die Entwicklung der Klimabewegung und vielleicht sogar der Gesellschaft insgesamt«.
Gesellschaftliche Fragen
Obwohl der Dokumentarfilm ganz nah der Geschichte von Steffen Meyn folgt, sei »Vergiss Meyn Nicht« von übergeordneten Fragen bestimmt, sagen die Filmemacher:innen: »Wir haben uns viel mit politischen Fragen beschäftigt, aber das sollte nicht im Kern des Films stehen. Wir wollen beleuchten, was Menschen dazu bringt, ihre Körper einzusetzen, um gegen einen Konzern wie RWE zu kämpfen und dafür auch ihr Leben zu riskieren. Und warum es sich lohnt zu kämpfen. Auch über Verantwortung haben wir viel gesprochen. Besonders, was die Frage der Schuld an Steffens Tod angeht. Aber auch hier gibt es keine einfachen Antworten. Es gibt nicht die eine Person, die dafür verantwortlich wäre. Auch ‘die Politik’ ist nicht alleine schuld. Wir versuchen mit diesem Film, den übergeordneten, gesellschaftlichen Fragen nachzuspüren.«
Große gesellschaftliche Themen in persönlichen, individuellen Geschichten zu verhandeln, ist der Produktionsfirma Made in Germany in Köln quasi in die DNA eingeschrieben. »Aktivistischer Widerstand ist wichtig für eine Demokratie, aber er wirft fast immer Widersprüche und Ambivalenzen auf und oft auch Fragen, die unbeantwortet bleiben«, sagt Produzentin Melanie Andernach. »Steffen wurde zunehmend auf die Seite der Aktivist:innen gezogen, gleichzeitig haderte er mit der Militanz einiger von ihnen. Wir machen in dem Film mit Steffen eine Entwicklung durch und verstehen später vielleicht ein Stück weit besser, warum Menschen ihre Körper und ihr Leben für Aktivismus einsetzen. Obwohl der Film sich auf Steffen und den Hambacher Forst konzentriert, ist seine Geschichte allgemeingültig.« Das Oberverwaltungsgericht des Landes NRW untersagte nur drei Tage nach der abgeschlossenen Räumung die Rodung des Hambacher Forstes, er existiert bis heute und wird durch eine neue Besetzung geschützt. Das Gericht stellte außerdem im September 2021 in einem Urteil fest, dass die von der Landesregierung veranlasste Räumung rechtswidrig war. All das erlebte Steffen Meyn nicht mehr. Er wurde 27 Jahre alt.
Der Kunststudent und Filmemacher Steffen Meyn stirbt im September 2018, als er bei der Räumung im Hambacher Forst aus einem Baumhaus abstürzt. Aus seinen unveröffentlichten 360°-Aufnahmen schufen drei Freund:innen den Dokumenarfilm „Vergiss Meyn Nicht“, der nun auf Homevideo erschienen ist.
Mit einem wunderbaren, aus privater Freundschaft gewonnenem Gefühl, nähern sich die jungen Filmemacher:innen ihrem Protagonisten und der Widerstands-Szene im Hambacher Forst. Taktvoll aber konsequent wird das Material von Steffen Meyn genutzt, der sich für die Dokumentation der Räumung in Gefahr brachte und tragisch verunglückte.
Die Aktivist:innen‐Szene im Hambacher Forst hatte Steffen Meyn von Anfang an fasziniert. Seit 2017 war er immer wieder in dem Waldgebiet zwischen Köln und Aachen mit einer 360°‐Kamera unterwegs. Der Bürgewald wurde seit vielen Jahren vom Energiekonzern RWE zerstört, um den Braunkohle‐Tagebau Hambach auszuweiten. Dieser versorgt umliegende Kraftwerke, die zu den mit Abstand größten CO2‐Schleudern in Europa gehören. Als die Landesregierung mit einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte von NRW den Wald im September 2018 räumen ließ, wurde seine 360°‐Helmkamera zu einem wichtigen Instrument, um Menschen vor Polizeigewalt zu schützen und den gefährlichen, mehrwöchigen Einsatz zu dokumentieren.
Die gelöschten Aufnahmen
Als die Polizei im Zuge der Räumung die Bewegungsmöglichkeiten der Presse immer weiter einschränkte, entschloss sich Steffen Meyn, viele Meter über dem Boden in einer Baumhaussiedlung seine Arbeit fortzusetzen. Hier kam es am 19. September zu dem Unfall, bei dem er durch eine Hängebrücke brach, in die Tiefe stürzte und kurz darauf verstarb. Auch während dieses Unglücks lief seine Kamera. Diese und andere Aufnahmen wurden von der Polizei später gelöscht. Dass sie auf der großen Kinoleinwand zu sehen sein konnten, und nun auch als DVD oder im Stream, ist dem Engagement vieler Menschen zu verdanken.
Die Filmemacher:innen Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff studierten mit Steffen Meyn an der KHM. Schon bald nach dem Unfalltod ihres Freundes war klar, dass aus seinen knapp 50 Stunden Filmmaterial etwas entstehen muss. »Dass es sich bei Steffens Material quasi ausschließlich um 360°‐Filmaufnahmen handelt, wurde für uns zu einer ganz besonderen Herausforderung. Es ist z. B. sehr zeitaufwendig, Kameramaterial zu sichten, das alle Himmelsrichtungen gleichzeitig abbildet. Die Kamerawinkel und Bildkadrierung haben wir erst im Montageprozess festgelegt und im Zusammenspiel mit unserem Editor auch immer wieder angepasst«, erzählt Jens Mühlhoff. »Ich glaube, dass noch niemand – zumindest mit fremdem Material – so gearbeitet hat.
Annäherungen an einen tragischen Tod
Eine wesentliche Fragestellung war es für die Filmemacher:innen, wie sie sich dem Tod von Steffen annähern sollten: »Es war uns allen klar, dass wir das nicht auslassen können. Es wäre gelogen gewesen, diese Aufnahmen nicht zu verwenden«, so Kilian Kuhlendahl. Fabiana Fragale ergänzt: »Und es war auch schnell klar, dass wir mit diesem Unfall den Film beginnen lassen, um das Publikum zu entlasten, dass ja auf diesen Moment warten würde. Der Film wird aber später wieder dorthin zurückkommen. Es war uns wichtig zu zeigen, wie es passiert ist – die Minuten vor und nach dem Unfall. Aber nicht den Sturz selbst, diese Sekunden lassen wir aus.«
Das Material von Steffen Meyn wird dabei um neu aufgenommene Interviews mit Aktivist:innen ergänzt: »Wir wollten zeigen, wer eigentlich diese Menschen sind, die in Steffens Aufnahmen fast immer nur vermummt zu sehen sind«, sagt Kilian Kuhlendahl. Für Jens Mühlhoff haben »diese Interviews die Möglichkeit gegeben, über Steffens Tod hinauszugehen. Was hat diese intensive Zeit im Hambacher Forst mit den Menschen gemacht, wo sind sie heute?« Fabiana Fragale: »Es war uns wichtig, zu zeigen, dass das Leben weitergegangen ist und damit auch die Entwicklung der Klimabewegung und vielleicht sogar der Gesellschaft insgesamt«.
Gesellschaftliche Fragen
Obwohl der Dokumentarfilm ganz nah der Geschichte von Steffen Meyn folgt, sei »Vergiss Meyn Nicht« von übergeordneten Fragen bestimmt, sagen die Filmemacher:innen: »Wir haben uns viel mit politischen Fragen beschäftigt, aber das sollte nicht im Kern des Films stehen. Wir wollen beleuchten, was Menschen dazu bringt, ihre Körper einzusetzen, um gegen einen Konzern wie RWE zu kämpfen und dafür auch ihr Leben zu riskieren. Und warum es sich lohnt zu kämpfen. Auch über Verantwortung haben wir viel gesprochen. Besonders, was die Frage der Schuld an Steffens Tod angeht. Aber auch hier gibt es keine einfachen Antworten. Es gibt nicht die eine Person, die dafür verantwortlich wäre. Auch ‘die Politik’ ist nicht alleine schuld. Wir versuchen mit diesem Film, den übergeordneten, gesellschaftlichen Fragen nachzuspüren.«
Große gesellschaftliche Themen in persönlichen, individuellen Geschichten zu verhandeln, ist der Produktionsfirma Made in Germany in Köln quasi in die DNA eingeschrieben. »Aktivistischer Widerstand ist wichtig für eine Demokratie, aber er wirft fast immer Widersprüche und Ambivalenzen auf und oft auch Fragen, die unbeantwortet bleiben«, sagt Produzentin Melanie Andernach. »Steffen wurde zunehmend auf die Seite der Aktivist:innen gezogen, gleichzeitig haderte er mit der Militanz einiger von ihnen. Wir machen in dem Film mit Steffen eine Entwicklung durch und verstehen später vielleicht ein Stück weit besser, warum Menschen ihre Körper und ihr Leben für Aktivismus einsetzen. Obwohl der Film sich auf Steffen und den Hambacher Forst konzentriert, ist seine Geschichte allgemeingültig.«
Das Oberverwaltungsgericht des Landes NRW untersagte nur drei Tage nach der abgeschlossenen Räumung die Rodung des Hambacher Forstes, er existiert bis heute und wird durch eine neue Besetzung geschützt. Das Gericht stellte außerdem im September 2021 in einem Urteil fest, dass die von der Landesregierung veranlasste Räumung rechtswidrig war. All das erlebte Steffen Meyn nicht mehr. Er wurde 27 Jahre alt.
Von Werner Busch
Dieser Text erschien zuerst in einer kürzeren Form im Magazin der Film- und Medienstiftung NRW, Ausgabe 1-2023.