Filmkritik Filmszene Aktuell

„Civil War“: Filmkritik

Filmische Phantasien vom Untergang der zivilisatorischen Ordnung gibt es viele, am vielleicht prominentesten ist die Mad Max-Reihe mit ihren postapokalyptischen Ödlanden, in denen sich die Überlebenden um Wasser, Sprit und Munition duellieren. Mit Furiosa: A Mad Max Saga (2024) steht sogar bald der Start eines Spin-Offs ins Haus. Häufig geht es um die Zeit nach dem großen Knall, der in vielen Filmen aus der Zeit des Kalten Kriegs wörtlich zu nehmen ist: Verantwortlich sind verheerende Atomschläge. Meist setzen die Filme dann ein, wenn der Zusammenbruch längst Normalität ist.

Seit etwas mehr als zehn Jahren wird eher der Weg in die Barbarei in Film und Fernsehen beschrieben. In der Hit-Serie The Walking Dead (2010-2022) hat eine Zombieseuche große Teile der Menschheit ausgelöscht, während die Protagonistengruppe sich an die neue Situation gewöhnt und auf immer neue Gemeinschaften trifft, die unterschiedliche Strategien im Überlebenskampf gefunden haben. Stets gilt jedoch, dass der Mensch des Menschen Wolf ist. Im wesentlich kurzlebigeren Revolution (2012-2024) ist es ein globaler Stromausfall, der zu einer barbarischen Das-Recht-des-Stärkeren-Welt geführt hat. In der politisch aufgeladenen The Purge-Reihe der Produktionsfirma Blumhouse legalisiert eine neofaschistische Zukunftsregierung die titelgebende Purge-Nacht, in der einmal jährlich quasi jedes Verbrechen legal ist. Der jüngste Teil der Reihe, The Forever Purge (2021), behandelt dann das apokalyptische Szenario, dass die marodierenden Fanatiker nicht nach Ende der Nacht aufhören, sondern noch weiter eskalieren.

Lee (Kirsten Dunst) und Jessie (Cailee Spaeny) erleben den Krieg hautnah (Bild: DCM Film Distribution)

In eine ähnliche und doch andere Richtung tendiert Civil War (2024) von Regisseur und Drehbuchautor Alex Garland. In einer nahen, nicht näher bezeichneten Zukunft, herrscht Bürgerkrieg in den USA. Der namenlose Präsident (Nick Offerman) ist in seiner dritten und damit in der Verfassung eigentlich nicht vorgesehenen Amtszeit, hat das FBI aufgelöst und schottet sich in Washington ab, wo er den Krieg gegen mehrere abtrünnige Bundesstaaten führt. Der wichtigste Gegner sind die Western Forces, bestehend aus dem Kalifornien (der wohl blaueste aller Blue States) und Texas (der wohl roteste aller Red States). Die Florida Alliance unterstützt die anderen Abtrünnigen, doch nach einem möglichen Sieg werden sich die Gewinner gegeneinander wenden, wie Journalist Joel (Wagner Moura) mutmaßt.

Im Journalistencamp wird von einem Fall Washingtons ausgegangen, während der Präsident in einer eingangs gezeigten Fernsehansprache noch verkündet, dass seine Truppen gerade einen der größten Siege aller Zeiten errungen haben. Es ist anfangs unklar, wer die Lage richtig einschätzt, genauso unklar, welche Seite wofür kämpft. Garland vermeidet die politische Einordnung, in keine der Konfliktparteien lassen sich Republikaner oder Demokraten hineinlesen. Viel mehr zeigt er einen Ausnahmezustand, in dem sich niemand sicher sein kann. Das erlebt auch das Protagonistenquartett. Da wäre Joel, der Reporter und Adrenalinjunkie, der dem Präsidenten ein letztes Interview abnötigen will, ehe Washington fällt. Lee (Kirsten Dunst), die ihn begleitende, mehrfach ausgezeichnete Kriegsfotografin, die sich gegen die Schrecken ihrer Arbeit einen emotionalen Panzer zugelegt hat, der jedoch auch mal bricht. Jessie (Cailee Spaeny), eine junge Bewunderin Lees, die ihrem Idol nacheifern will und mit einer Kamera, aber ohne offiziellen Auftrag unterwegs ist. Und Sammy (Stephen McKinley Henderson), eine Art Elder Statesman des Journalismus, angestellt bei der New York Times, schlecht zu Fuß, aber erfahren und umsichtig. Er will zur Front, dort soll auch Jessie abgeladen werden, die letzte Etappe in die umkämpfte Hauptstadt wollen Joel und Lee allein zurücklegen.

Joel (Wagner Moura) will stets dorthin, wo die Action ist (Bild: DCM Film Distribution)

Aber in Civil War ist viel eher der Weg das Ziel, der eine erschreckende Zukunftsvision zeigt. Vor allem deshalb erschreckend, weil sie viel greifbarer und näher als eine Zombie-Apokalypse oder Überlebenskämpfe nach dem Big Bang ist. Anhand verschiedener Begegnungen werden unterschiedliche Strategien des Umgangs mit dem Bürgerkrieg durchgespielt. Ein Städtchen versucht sich rauszuhalten und trügerische Normalität anzubieten. Gewalttätige Milizionäre richten jeden hin, der nicht das in ihren Augen „richtige“ Amerika repräsentiert. Ein Scharfschütze nimmt einfach jeden unter Beschuss, der seinen Weg kreuzt, egal ob Reporter oder ein gegnerisches Sniper-Spotter-Team.

So geht es vor allem um den Beruf des Kriegsberichterstatters. Jene Journalisten, die eigentlich nicht angegriffen werden dürfen – eine Art letzte Regel in einer regellosen Welt. Doch auch an diese halten sich nicht alle Beteiligten, wie die Protagonisten schon lange vor ihrer Ankunft in Washington merken, wo der Präsident Reporter als vermeintliche Volksfeinde zum Abschuss freigegeben hat. Die zentrale Frage ist aber jene nach Berufsethos: Wie dokumentiert man all die Gräuel, ohne einzugreifen? Was macht dies mit den vermeintlich unbeteiligten Berichterstattern? Greenhorn Jessie wird in einer frühen Szene damit konfrontiert, wenn bewaffnete Tankstellenbesitzer ihr gefangene Plünderer zeigen, die sie in einer Waschstraße angebunden haben. Einer der gequälten halbtoten Gefangenen ist ein früherer Klassenkamerad eines Tankwarts. Lebt dieser nun seinen Highschool-Hass verspätet aus? Oder muss er einfach konsequent jedem Plünderer gegenüber sein, auch wenn dieser „ich habe eine Familie“ vorbringt? Garland lässt das alles offen, lässt das Publikum zu eigenen Schlüssen kommen. So auch in den Moment, in dem der Tankwart Jessie fragt, was er mit den Gefangenen tun soll. Wie hätte man selbst gehandelt? Hat man überhaupt echte Handlungsmacht? Kann man diese Entscheidung treffen?

Der Präsident (Nick Offerman) will um jeden Preis an der Macht bleiben (Bild: DCM Film Distribution)

Dabei versteht Garland auch der Versuchung aus der spekulativen Prämisse einen Actionreißer zu machen. Viel eher ist Civil War ein Kriegsfilm, gleichermaßen fiktiv und doch realitätsnah. Mit unglaublichem immersivem Sounddesign und ausdrucksstarken, aber nicht beschönigenden Bildern nimmt er sein Publikum mit in den Ausnahmezustand. Allenfalls das bildgewaltige Finale in Washington liefert klassisches Spektakel, der Rest ist festgehaltenes Grauen oder Konfusion im Nebel des Krieges. Die Protagonisten suchen nach einer Einordnung des Geschehens, wenigstens nach einer tollen Story oder nach einem preisverdächtigen Bild. Die Inszenierung stellt all das jedoch in Frage, denn man oft kann man das Geschehen nicht erfassen: Zu welcher Kriegspartei gehört eine Selbstmordattentäterin, die sich, in Stars and Stripes gehüllt, in die Luft jagt? Für wen kämpfen die Soldaten, die das Quartett in einer Sequenz begleitet, an deren Ende ein Kriegsverbrechen steht? Und wer soll die Presseberichte überhaupt lesen, wenn man gerade in erster Linie auf das eigene Überleben bedacht ist?

Civil War geht es um Fragen. Fragen, die teilweise von den Figuren selbst artikuliert werden, wenn etwa das Selbstverständnis als Kriegsberichterstatter diskutiert wird. Es geht weniger um die Antworten, die man meistens selbst finden muss, wenn es sie denn überhaupt gibt. Mit Blick auf das aufgeheizte US-Wahljahr 2024 lässt Garlands Film das Publikum schon ein wenig frösteln – wie fern mag diese stark inszenierte, nachhaltig wirkende und dadurch so erschreckende Zukunftsvision noch liegen?

Nils Bothmann

Veranstalter*innen..

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