Ein Vierteljahrhundert lang prägte Lars Henrik Gass die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen – nun beginnt eine neue Ära: Madelaine Bernstorff übernimmt die künstlerische Leitung, gemeinsam mit der kaufmännischen Geschäftsführerin Susannah Pollheim. Der Anspruch bleibt: Oberhausen will Debattenraum und Bühne zugleich sein – für mutige Kurzfilme, für neue Perspektiven, für eine streitbare Kunst. Auch 2025 zeigt das traditionsreiche Festival, wie lebendig und politisch das kurze Format sein kann.
Von Frank Olbert.
Man schreibt in Oberhausen das Jahr eins nach Lars Henrik Gass. Seit 1997 leitete Gass die Internationalen Kurzfilmtage – vom Februar 2025 an baut er nun als Gründungsdirektor am neuen Haus für Film und Medien in Stuttgart. Die Kurzfilmtage Oberhausen hat er um zahlreiche, auch experimentelle Formate, bereichert, darunter ein Preis für Musikvideos (MuVi). Zahlreiche Entdeckungen fallen darüber hinaus in seine Ägide: Andrea Arnold und Christoph Hochhäusler etwa zeigten erste Arbeiten in Oberhausen. Gass‘ Erbe, kein Zweifel, ist groß.
Neue Festivalleitung
Dieses tritt Madelaine Bernstorff als künstlerische Leiterin der Kurzfilmtage Oberhausen an; ihr zur Seite steht Susannah Pollheim als kaufmännische Leiterin des Festivals, das am 29. April mit seiner 71. Ausgabe an den Start geht. Erklärtes Ziel der neuen Leiterinnen ist es, die Programmkommission stärker in Entscheidungen einzubeziehen. In einem Statement betont die Kommission, der Souveränität und Vielfalt ästhetischer Positionen engagiert Raum geben zu wollen – die Kurzfilmtage seien ein Ort der Demokratie.
Die neuen Festivalleiterinnen Madeleine Bernstorff und Susannah Pollheim, Foto: Kurzfilmtage
„Diesen Raum offen zu halten bedeutet für uns, ihn vor ideologischen Zugriffen und politischer Instrumentalisierung zu schützen. Dabei dulden wir keinerlei Diskriminierung“, heißt es. Ebenso wendeten sich die Kurzfilmtage entschieden gegen jede Form von Boykott oder Störung, „die den Raum für kontroverse und differenzierte Debatten einschränken oder unmöglich machen soll – ob still oder laut, anonym oder explizit, ob gegen Einzelpersonen, Institutionen, Gruppen oder Staaten gerichtet“. Das spiegelt die Debatten des vergangenen Jahres: Nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hatten sich die Kurzfilmtage dezidiert gegen jede Form von Antisemitismus positioniert, der auch die deutsche Kulturszene massiv erfasst hat.
Gesellschaftskritisches Profil
Auch unter neuer Leitung halten die Kurzfilmtage Oberhausen also am gesellschaftskritischen Profil fest, das sie nicht zuletzt mit Podien und Diskussionsrunden schärfen. In diesem Jahr geht es unter anderem um die Frage „Who Goes Fascist? – Wer wird Faschist?“, die in Anlehnung an Dorothy Thompsons berühmten Essay aus Harper’s Magazine unter dem Titel „Who Goes Nazi?“ aus dem Jahr 1941 gestellt wird.
Eine tragende Säule des Festivals sind die Wettbewerbe, nach wie vor. Für die fünf Sparten – Internationaler, Deutscher und NRW-Wettbewerb sowie MuVi-Preis und Kinder- und Jugendfilmwettbewerb – wurden aus über 6.600 Einreichungen insgesamt 125 Kurzfilmproduktionen aus 42 Ländern ausgewählt. Mit den über 350 Arbeiten in seinen thematischen Programmen zeigt das Festival damit bis zum 4. Mai 2025 insgesamt knapp 500 Filme an sechs Tagen. In allen Wettbewerben vergibt das Festival Preisgelder in Höhe von knapp 45.000 Euro. In der internationalen Auswahl sind mit Arbeiten aus China, Japan, Kambodscha, Kirgisistan, Myanmar, den Philippinen, Südkorea, Taiwan, Thailand und Vietnam asiatische Produktionen in diesem Jahr stark vertreten.
Starke Filme der KHM
Traditionell stark vertreten in Oberhausen ist auch in diesem Jahr die Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM). Insgesamt fünf Kurzfilme von Studierenden der KHM wurden für das Programm 2025 ausgewählt, drei davon feiern ihre Premiere beim weltweit größten und ältesten Festival für den künstlerischen Kurzfilm: „Chrysanthemum“, ein Animationsfilm von Jingyuan Luo, „ghosting mother“, ein experimenteller Film von Bernard Mescherowsky, und „Shawano“, ein Dokumentarfilm von Felix Bartke. Ebenfalls im NRW-Wettbewerb vertreten sind „Ansitzen“ von Franca Pape, der beim European Media Arts Festival in Osnabrück uraufgeführt wurde, sowie der Kurzfilmspielfilm „Nuestra Sombra“ von Agustina Sánchez Gavier, der im vergangenen Jahr seine Weltpremiere in Cannes feierte und auch auf dem Kölner „Edimotion“-Festival lief: Eine verdunkelte Sonne hängt über einer abgelegenen Gegend Argentiniens, doch die wahre Finsternis herrscht auf Erden – eine doppelte Apokalypse, die der Sonnenfinsternis und die einer industriell gerodeten und zerstörten Landschaft, verbindet Gavier zu einem ahnungsvollen, dichten Schreckensbild. Außerdem im NRW-Wettbewerb dabei ist der neue Kurzfilm der KHM-Absolventin Céline Berger, „Overwork“. Dabei handelt es sich um eine sehr subjektive Neuinterpretation einer Kollektion von 16-mm-Lehrfilmen der Agentur für Arbeit.
„Nuestra Sombra“ von Agustina Sánchez Gavier, Foto: KHM
Eine besondere Note gibt dem Festival der Programmpunkt „NRW persönlich“, den die in Köln lebende Filmemacherin und KHM-Absolventin Katharina Huber gestaltet. Sie erhält eine Carte Blanche von den Kurzfilmtagen, was bedeutet, dass sie Filme anderer Regisseur:innen zeigt, die sie stark geprägt haben. Katharina Huber gewann 2020 mit ihrem Animationsfilm „Der natürliche Tod der Maus“ den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold und wurde 2023 für ihren Debütfilm „Ein schöner Ort“ beim Locarno Film Festival als beste Nachwuchsregisseurin ausgezeichnet.
Irgendwie auch um Köln geht es in Ulu Brauns Beitrag zum Deutschen Wettbewerb, „Gerhard“ – hier tritt der Ehrenbürger der Stadt, Gerhard Richter, als digital überpinseltes KI-Geschöpf auf, um sich in seiner weiteren Eigenschaft als einflussreichster und vor allem reichster Künstler der Gegenwart morgens sogar vom Eichhörnchen im villeneigenen Park einen erfolgreichen Tag wünschen zu lassen. Richter ist Geschäftsmann, Guru und Seher in einem – wobei ihm Jesus mit Che-Guevara-Kappe erscheint, auf die ein Sparkassen-Logo aufgestickt ist.
Ein Vierteljahrhundert lang prägte Lars Henrik Gass die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen – nun beginnt eine neue Ära: Madelaine Bernstorff übernimmt die künstlerische Leitung, gemeinsam mit der kaufmännischen Geschäftsführerin Susannah Pollheim. Der Anspruch bleibt: Oberhausen will Debattenraum und Bühne zugleich sein – für mutige Kurzfilme, für neue Perspektiven, für eine streitbare Kunst. Auch 2025 zeigt das traditionsreiche Festival, wie lebendig und politisch das kurze Format sein kann.
Von Frank Olbert.
Man schreibt in Oberhausen das Jahr eins nach Lars Henrik Gass. Seit 1997 leitete Gass die Internationalen Kurzfilmtage – vom Februar 2025 an baut er nun als Gründungsdirektor am neuen Haus für Film und Medien in Stuttgart. Die Kurzfilmtage Oberhausen hat er um zahlreiche, auch experimentelle Formate, bereichert, darunter ein Preis für Musikvideos (MuVi). Zahlreiche Entdeckungen fallen darüber hinaus in seine Ägide: Andrea Arnold und Christoph Hochhäusler etwa zeigten erste Arbeiten in Oberhausen. Gass‘ Erbe, kein Zweifel, ist groß.
Neue Festivalleitung
Dieses tritt Madelaine Bernstorff als künstlerische Leiterin der Kurzfilmtage Oberhausen an; ihr zur Seite steht Susannah Pollheim als kaufmännische Leiterin des Festivals, das am 29. April mit seiner 71. Ausgabe an den Start geht. Erklärtes Ziel der neuen Leiterinnen ist es, die Programmkommission stärker in Entscheidungen einzubeziehen. In einem Statement betont die Kommission, der Souveränität und Vielfalt ästhetischer Positionen engagiert Raum geben zu wollen – die Kurzfilmtage seien ein Ort der Demokratie.
„Diesen Raum offen zu halten bedeutet für uns, ihn vor ideologischen Zugriffen und politischer Instrumentalisierung zu schützen. Dabei dulden wir keinerlei Diskriminierung“, heißt es. Ebenso wendeten sich die Kurzfilmtage entschieden gegen jede Form von Boykott oder Störung, „die den Raum für kontroverse und differenzierte Debatten einschränken oder unmöglich machen soll – ob still oder laut, anonym oder explizit, ob gegen Einzelpersonen, Institutionen, Gruppen oder Staaten gerichtet“. Das spiegelt die Debatten des vergangenen Jahres: Nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hatten sich die Kurzfilmtage dezidiert gegen jede Form von Antisemitismus positioniert, der auch die deutsche Kulturszene massiv erfasst hat.
Gesellschaftskritisches Profil
Auch unter neuer Leitung halten die Kurzfilmtage Oberhausen also am gesellschaftskritischen Profil fest, das sie nicht zuletzt mit Podien und Diskussionsrunden schärfen. In diesem Jahr geht es unter anderem um die Frage „Who Goes Fascist? – Wer wird Faschist?“, die in Anlehnung an Dorothy Thompsons berühmten Essay aus Harper’s Magazine unter dem Titel „Who Goes Nazi?“ aus dem Jahr 1941 gestellt wird.
Eine tragende Säule des Festivals sind die Wettbewerbe, nach wie vor. Für die fünf Sparten – Internationaler, Deutscher und NRW-Wettbewerb sowie MuVi-Preis und Kinder- und Jugendfilmwettbewerb – wurden aus über 6.600 Einreichungen insgesamt 125 Kurzfilmproduktionen aus 42 Ländern ausgewählt. Mit den über 350 Arbeiten in seinen thematischen Programmen zeigt das Festival damit bis zum 4. Mai 2025 insgesamt knapp 500 Filme an sechs Tagen. In allen Wettbewerben vergibt das Festival Preisgelder in Höhe von knapp 45.000 Euro. In der internationalen Auswahl sind mit Arbeiten aus China, Japan, Kambodscha, Kirgisistan, Myanmar, den Philippinen, Südkorea, Taiwan, Thailand und Vietnam asiatische Produktionen in diesem Jahr stark vertreten.
Starke Filme der KHM
Traditionell stark vertreten in Oberhausen ist auch in diesem Jahr die Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM). Insgesamt fünf Kurzfilme von Studierenden der KHM wurden für das Programm 2025 ausgewählt, drei davon feiern ihre Premiere beim weltweit größten und ältesten Festival für den künstlerischen Kurzfilm: „Chrysanthemum“, ein Animationsfilm von Jingyuan Luo, „ghosting mother“, ein experimenteller Film von Bernard Mescherowsky, und „Shawano“, ein Dokumentarfilm von Felix Bartke. Ebenfalls im NRW-Wettbewerb vertreten sind „Ansitzen“ von Franca Pape, der beim European Media Arts Festival in Osnabrück uraufgeführt wurde, sowie der Kurzfilmspielfilm „Nuestra Sombra“ von Agustina Sánchez Gavier, der im vergangenen Jahr seine Weltpremiere in Cannes feierte und auch auf dem Kölner „Edimotion“-Festival lief: Eine verdunkelte Sonne hängt über einer abgelegenen Gegend Argentiniens, doch die wahre Finsternis herrscht auf Erden – eine doppelte Apokalypse, die der Sonnenfinsternis und die einer industriell gerodeten und zerstörten Landschaft, verbindet Gavier zu einem ahnungsvollen, dichten Schreckensbild. Außerdem im NRW-Wettbewerb dabei ist der neue Kurzfilm der KHM-Absolventin Céline Berger, „Overwork“. Dabei handelt es sich um eine sehr subjektive Neuinterpretation einer Kollektion von 16-mm-Lehrfilmen der Agentur für Arbeit.
Eine besondere Note gibt dem Festival der Programmpunkt „NRW persönlich“, den die in Köln lebende Filmemacherin und KHM-Absolventin Katharina Huber gestaltet. Sie erhält eine Carte Blanche von den Kurzfilmtagen, was bedeutet, dass sie Filme anderer Regisseur:innen zeigt, die sie stark geprägt haben. Katharina Huber gewann 2020 mit ihrem Animationsfilm „Der natürliche Tod der Maus“ den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold und wurde 2023 für ihren Debütfilm „Ein schöner Ort“ beim Locarno Film Festival als beste Nachwuchsregisseurin ausgezeichnet.
Irgendwie auch um Köln geht es in Ulu Brauns Beitrag zum Deutschen Wettbewerb, „Gerhard“ – hier tritt der Ehrenbürger der Stadt, Gerhard Richter, als digital überpinseltes KI-Geschöpf auf, um sich in seiner weiteren Eigenschaft als einflussreichster und vor allem reichster Künstler der Gegenwart morgens sogar vom Eichhörnchen im villeneigenen Park einen erfolgreichen Tag wünschen zu lassen. Richter ist Geschäftsmann, Guru und Seher in einem – wobei ihm Jesus mit Che-Guevara-Kappe erscheint, auf die ein Sparkassen-Logo aufgestickt ist.