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Filmkritik: In die Sonne schauen

Mit „In die Sonne schauen“ gelingt Mascha Schilinski ein eindringliches Filmkunstwerk, das einen alten Vierseithof in Sachsen-Anhalt zur Bühne von Erinnerungen, Gespenstern und Generationenschicksalen macht. Statt linearer Erzählung entfaltet sich ein träumerisches Geflecht aus Zeiten, Stimmen und Bildern – ein Werk zwischen Kindheit, Geschichte und Geistergeschichte.

Preview im Off Broadway Kino am Mittwoch, 20. August. Kinostart: 28. August.

Von Frank Olbert.


Eine Redewendung besagt, dass ein Haus im Lauf der Zeit vieles gesehen und erlebt hat – das ist natürlich streng metaphorisch gemeint. Doch die Wände des Hofes in der Altmark scheinen tatsächlich Augen und Ohren zu besitzen und obendrein die Jahre festzuhalten, die mit so vielen Gesichtern und Stimmen, Geburten und Toden vorüberziehen. Ein Erinnerungsspeicher, der es nicht allein erlaubt, durch die Räume zu streifen – die Bauernstube, in denen man Feste gefeiert hat, die Kammern fürs Gesinde, den Dachboden und den Keller. Nein, Mascha Schilinski bewegt sich mit ihrem Film „In die Sonne schauen“ genauso selbstverständlich durch die Zeit.

Das Anwesen in der Einsamkeit von Sachsen-Anhalt ist ein sogenannter Vierseithof, eine Trutzburg, die sich der Umgebung in alle Richtungen hin verschließt. Vier Mal sucht die Regisseurin dieses etwas finster wirkende Gebäude auf: zur Zeit des Kaiserreichs kurz vor dem Ersten Weltkrieg, als die kleine Alma entdeckt, dass die Eltern sie nach der gestorbenen Schwester benannt haben. Dann in den Jahren des Zweiten Weltkriegs, in denen die junge Erika ihr erotisches Frühlingserwachen erlebt und sich ausgerechnet in den Onkel verliebt, der nicht heil aus der Schlacht zurückgekehrt ist.

Geistergeschichte trifft Geschichte

Schilinskis nächste Stationen auf der Zeitreise sind die DDR in den 80er Jahren und der Hof zur Jetztzeit. Hier erzählt sie von Angelika, ihrem übergriffigen Onkel und dessen täppischem Sohn sowie von einer Berliner Familie, die den mittlerweile heruntergekommenen Hof in Eigenarbeit renovieren will. Doch immer und überall sind sie da, wie Phantome – Alma und Erika, der Onkel und die Gäste, die zum Erntedankbesäufnis kommen. „In die Sonne schauen“ ist auch eine Geistergeschichte.

Eine durchgängige Narration bietet dieser Film nicht, und doch erzählt er unendlich viel. Nicht allein vom Wechsel der Zeiten, von sich ablösenden Regimen, von zwei Kriegen und von einer Grenze, die plötzlich durch Deutschland verläuft – das gelingt Schilinski auch, wunderbar beiläufig und ohne in abstrakte Politik oder Geschichte abzudriften. Vielmehr aber fängt sie das Leben selbst ein, das sich vor der großen, oft übermächtigen Kulisse abspielt – ein Leben, in dem sich die Geister aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ihre Geheimnisse und Ängste, ihre Hoffnungen und Träume gegenseitig zuzuflüstern scheinen und in dem die Generationen miteinander verschweißt sind, wie zusammengehalten von den vier Grundmauern des Hofs.

Der Schmerz über das Verlorene

„In die Sonne schauen“ ist eine Geister-, aber auch eine Kindergeschichte, damit erinnert er mitunter an Hanekes „Das weiße Band“. Es sind die Kinder, die aus einer weitgehend noch offenen Perspektive die fertige Welt betrachten, die viel zu oft aus den Fugen gerät. Wie märchenhaft und gleichzeitig voller Grauen etwa die Szene, als Alma anhand einer Fotografie entdeckt, dass sie den gleichen Namen trägt wie die tote Schwester: In einer geschwisterlichen Mimikry spielt sie die fotografische Aufnahme nach, die Schilinksi im groben Korn einer Daguerreotypie inszeniert. Der Schmerz über das Verlorene verbindet sich mit der Gewissheit, dass die Vergangenheit niemals wiederkehrt, es sei denn im Traum.

Und so ist dieser gesamte Film träumerisch, eine Erkundungsreise unterhalb der starren Realität. Auch ihr Ensemble führt Mascha Schilinski in diesem Sinn, von den unglaublich befreit wirkenden Kindern, die sich ganz in ihre Spiele vertiefen, aus denen sie rauh herausgerissen werden, bis hin zu den Erwachsenen, unter denen Luise Heyer prominent heraussticht: Ihr Porträt einer modernen Mutter, die es aus der Großstadt hinaus aufs Land zieht, ist viel zu brüchig und von Zweifeln angenagt, als dass es ins Selbstfindungsklischee absinken könnte.

Wer zu lange in die Sonne schaut, muss blinzeln und sieht irgendwann nichts mehr. In Schilinikis Film geschieht das Gegenteil, vielleicht, weil sie nicht allein in die Sonne, sondern häufiger noch in den Schatten blickt. Was dort zum Leben erwacht, sind Geschichten aus der unerzählten Geschichte.

Kinostart am 28. August 2025. „In die Sonne schauen“ feierte seine Premiere im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. Das Festival zeichnete den Film mit dem Großen Preis der Jury aus.


Das Off Broadway in Köln präsentiert eine Preview am Mittwoch, 20. August um 19.30 Uhr. Am 28. August startet der Film in weiteren Kölner Kinos.

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