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Filmkritik: Hysteria

Mit Hysteria legt Mehmet Akif Büyükatalay nach Oray erneut ein präzises, vielschichtiges Werk vor – ein spannungsgeladenes Spiel um Schuld, Macht und Wahrnehmung. Auf einem Filmset, das selbst zum Brennpunkt kultureller Konflikte wird, verschmelzen Realität und Fiktion zu einem ebenso klugen wie beunruhigenden Thriller über Wahrheit, Verantwortung und den Blick hinter die Bilder.

Von Andreas Füser.


Bei den Dreharbeiten eines Spielfilms über den fremdenfeindlichen Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Haus in Solingen (1993) wird ein verbrannter Koran gefunden. Für den Regisseur ein Requisit – für die beteiligten muslimischen Kompars:innen ein Sakrileg. Der Fund entfacht Spannungen und legt die Bruchlinien zwischen kulturellen Bedeutungen und filmischer Instrumentalisierung offen.

Im Mittelpunkt steht die Praktikantin Elif (hervorragend: Devrim Lingnau), die sich dem Regisseur Yigit (Serkan Kaya) und Produzentin Lilith (Nicolette Krebitz) beweisen will. Ihr Ehrgeiz, am Set Verantwortung zu übernehmen, bringt sie zunehmend zwischen alle Fronten. Aus ihrem Blick heraus entfaltet sich ein komplexes Spiel aus Vermutungen, Verdächtigungen und Täuschungen – ein klug konstruiertes Verwirrspiel, in dem nichts so ist, wie es scheint. Auch das Publikum wird auf falsche Fährten geführt und mit den eigenen, längst überwunden geglaubten Vorurteilen konfrontiert.

Der zweite Film des Kölners Mehmet Akif Büyükatalay (Oray) ist ein packendes Whodunit, das an Polanski und Haneke erinnert – eine Verbindung, die der Regisseur beim Q&A des Film Festival Cologne selbst herstellte. Hysteria ist präzise inszeniert, formal stark und erzählerisch vielschichtig: ein Thriller, der zugleich ein Spiegel gesellschaftlicher Spannungen ist.

Besonders eindrücklich ist die Metaebene, auf der Büyükatalay die Filmproduktion selbst befragt. So kommentiert der Film immer wieder seine eigene Entstehung: Yigits Werk sei, wie ein Statist anmerkt, „ein weiterer Film, der nicht aus der Sicht der Betroffenen spricht, sondern nur das Gewissen beruhigen will“. Auch der Fund des Korans wird so zu einer doppelten Provokation – ein Symbol, das Aufmerksamkeit verspricht und zugleich religiöse Gefühle verletzt.

Hysteria gelingt der schwierige Spagat zwischen gesellschaftskritischem Drama, Thriller und Satire auf das Filmgeschäft. Dass der Film im Film analog auf Zelluloid gedreht wurde, ist dabei nicht nur ein stilistisches Detail, sondern erhält eine zentrale dramaturgische Funktion. Büyükatalay erzählt von Schuld, Wahrhaftigkeit und der Macht der Bilder – mit einer Intensität, die weit über das Ende hinaus wirkt. Nur das etwas plakative Finale trübt den Gesamteindruck leicht – Kritik auf hohem Niveau.

Über allem steht die Frage nach dem Zusammenleben von Deutschen, Migrant:innen und Geflüchteten: Wie gehen wir mit unterschiedlichen Perspektiven und Bedeutungen um?
Am Ende des Abspanns erscheint der Hinweis: „Während der Dreharbeiten zu Hysteria wurde kein Koran verbrannt.“ – Satire oder notwendige Präzisierung? Auch das bleibt offen, klug und beunruhigend.

Produziert von der Kölner filmfaust, im Verleih von Rapid Eye Movies, startet Hysteria am 9. November 2025 in den Kinos (104 Min., FSK 12).

Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) verlieh das Prädikat „besonders wertvoll“, die Jugendfilmjury empfiehlt den Film „allen Kinobegeisterten ab 16 Jahren“.


Titelbild: Devrim Lingnau in Hysteria, Foto: Filmfaust

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