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Queer, laut, widerspenstig: Zwei Tage BLONDE COBRA

BLONDE COBRA ist wahrscheinlich das eigenwilligste und entdeckenswerteste Filmfestival, das Köln zu bieten hat. Am 19. und 20. Dezember lässt es queeres Underground-Kino, Expanded Cinema und Musikvideo-Exzesse aufeinanderprallen. Zwischen Cyberdyke-Klassiker, Meerwesen-Roadmovie und Drag-Party zeigt BLONDE COBRA, wie wild, politisch und zärtlich queeres Kino 2025 sein kann.

Von Werner Busch.


Das queere Untergrund-Kino hebt wieder an: Am 19. und 20. Dezember 2025 kehrt das BLONDE COBRA Festival ins Turistarama am Mauritiussteinweg zurück. Was 2019 als Initiative des Künstler*innenkollektivs Schalten und Walten begann, hat sich längst als fester Pfeiler der freien Filmkultur etabliert: ein Festival für queer & experimental cinema, das historische und aktuelle Arbeiten, Filme, Performances und Theorie miteinander verschränkt.

BLONDE COBRA versteht Kino als vibrierenden Möglichkeitsraum. Die „Schlange“ windet sich um Emotionen, Queerness, Performance, Fetisch, Aktivismus, das Unheimliche und das Übersinnliche. Entsprechend radikal ist auch das Programm 2025, das sich an zwei Tagen vom queeren Kultfilm über Expanded Cinema und Live-Performance bis zu Musikvideo-Exzessen spannt.

BLONDE COBRA ist wichtig, weil es Räume schafft, in denen Bilder, Körper und Geschichten vorkommen, die im regulären Kinobetrieb kaum Platz finden – und weil es zugleich die Formen des Kinos selbst radikal befragt. Es ist einmalig, weil hier queerer Underground, Experimentalfilm, Performance, Theorie, Party und Community tatsächlich zusammenkommen: nicht als Nische im Programm, sondern als Programmidee an sich. Das Festival bietet Filmemacher*innen einen Ort für Risiko und formale Experimente, macht marginalisierte Perspektiven sichtbar und stiftet Verbindungen zwischen lokaler Szene und internationalem queer-feministischem Diskurs – und genau damit hält es die Kölner Kinolandschaft lebendig, streitbar und zukunftsfähig.


Den Auftakt macht am Freitag „Rote Ohren fetzen durch Asche / Flaming Ears“, ein zentraler Klassiker des queeren Underground-Kinos aus Österreich (1991) von Ursula Pürrer, Dietmar Schipek und Ashley Hans Scheirl. In einem dystopischen Jahr 2700, dem „Jahr der Kröten“, treibt es seine Figuren – eine Comiczeichnerin, eine pyromane Performancekünstlerin und ein amorales Alien – durch eine zerfallene Stadt voller Betonwüsten, Dunkelheit und Konflikte. Der Film verschränkt lesbische Sci-Fi, surrealen Fiebertraum und apokalyptische Vision zu einem wild flirrenden Cyberdyke-Epos, das Körper, Identitäten und Begehren in einem ruppigen, punkigen Bilderrausch neu sortiert.

Im Anschluss folgt mit „COMING OF AGE, AGE, AGE…“ ein von Miri Ian Gossing und Felix Bartke kuratiertes Kurzfilmprogramm über queere Transformation im experimentellen Kino. Sechs Arbeiten – u. a. von Sadie Benning, Jennifer Reeder, Vika Kirchenbauer, Ale Bachlechner, Stefan Ramirez-Perez und TJ Cuthand – kreisen um das Erwachsenwerden aus queerer Perspektive: Tagebucheinträge, Self-Help-Videos, Tagträume und performative Selbstversuche spüren den Brüchen nach, in denen Identitäten sich bilden, verwerfen und neu zusammensetzen. Queeres „Coming of Age“ erscheint hier nicht als abgeschlossene Phase, sondern als lebenslange Bewegung, in der Körper, Begehren und Zugehörigkeiten immer wieder neu ausgehandelt werden.

Später in der Nacht verlässt das Festival die klassische Leinwand: „Expanded Cinema // Echoes Between Seeing“ lädt in einen Zwischenraum zwischen analogem Film und KI-generierten Bildern. Die Medienkünstlerin Nan Wang und der Soundartist Robert Kroos kombinieren 16mm-Filmkorn, Reiseaufnahmen und mittels Stable Diffusion transformiertes Bildmaterial zu einer Live-Performance, in der sich Wahrnehmung ständig neu justieren muss: Was ist dokumentarischer Rest, was synthetische Halluzination, was Erinnerung? „Echoes Between Seeing“ macht diese Unsicherheit selbst zur Erfahrung – als schwebenden Zustand zwischen Erkennen und Abstraktion.

Den Abschluss des ersten Tages bildet „LIVE SCRAPS / THIS PLACE IS MONITORED“, eine multidisziplinäre Performance von Mohamad (Moe) Sabbah und dem Kollektiv Queer Falafel. Aus der Perspektive zweier queerer libanesischer Migrant*innen entfaltet sich ein Geflecht aus Live-Musik, Bildern, Text und Körperarbeit, das von Familiengeschichten, Trauer, Body Politics und der Erfahrung rassistischer wie kolonialer Strukturen erzählt. Im Zentrum steht die Frage, wie sich in einer überwachten, fetischisierenden Umgebung autonome Räume queerer Subjektivität behaupten lassen – bis hin zu klaren politischen Ansagen wie „Free Palestine“.

Der Samstag öffnet mit „STILL–LIFE: FRAMES OF LIVING“ ein anderes Terrain: ein Kurzfilmprogramm mit Lesungen, kuratiert von Bernard Mescherowsky. Ausgehend vom klassischen Stillleben – vom Obst und Totenschädel in der Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts bis zu Harun Farockis Film „Stilleben“ – fragt das Programm, wie Kunst die Welt stillstellt und wieder in Bewegung setzt. Zeitbasierte Arbeiten und Texte von u. a. Julie Sophia Schöttner und Jennifer de Negri verschieben den Blick von der reinen Betrachtung hin zu lebendigen, widerständigen Beziehungen zwischen Menschen, Dingen und Bildern. Filme von Jayne Parker, Emily Vey Duke & Cooper Battersby und Bertrand Mandico loten dabei die Grenze zwischen Leben und Tod, Stillstand und Animation aus, ergänzt um einen „Secret Film“.

SIRENS CALL, Foto: Schalten & Walten

Mit „Sirens Call“ präsentieren die Festivalmacher*innen dann einen der meistdiskutierten hybriden Langfilme des Jahres. Die Arbeit von Miri Ian Gossing und Lina Sieckmann, die seit Jahren zusammenarbeiten und auch Blonde Cobra mitkuratieren, führt eine als Meerwesen identifizierte Figur namens Una durch ein Amerika im Zustand des ökologischen und sozialen Kollaps. Una verlässt ihr zurückgezogenes Leben und trifft auf Neon-Städte, Sumpflandschaften und Freizeitparks, in denen „Merfolk“ als spektakelhafte Attraktion hinter Glas präsentiert werden – bis sie in Portland auf eine reale Community queerer Meereswesen stößt. Der Film, der im Forum der Berlinale 2025 uraufgeführt wurde und anschließend ins Best-of-Fests-Programm des IDFA eingeladen war, verbindet dokumentarische Begegnungen, fiktionales Worldbuilding und poetischen Voice-over-Text zu einer hypnotischen Erzählung über Identität, Care und alternative Verwandtschaftsformen. Ein Gespräch mit den Regisseurinnen im Anschluss vertieft die Fragen nach queerer Dramaturgie und der Arbeit mit Subkulturen.

Zum Abschluss wird es laut: „A MILLION MILES AWAY“ ist ein von Miri Ian Gossing, Lisa Heldmann und Musikvideo-Expertin Jessica Manstetten zusammengestelltes Musikvideo-Programm, eingeleitet von einer „Cobra Walk“-Performance. Clips, musikalische Fiktionen und kurze Experimentalfilme aus Köln und aller Welt spannen einen Bogen von Riot-Grrrl-Attitüden bis zu gegenwärtigem Queer Pop. Im Zentrum stehen Arbeiten von Jennifer Reeder, deren Songs und Bilder queere Selbstermächtigung, Kollektivität und Verletzlichkeit miteinander verschränken. Das Musikvideo wird hier zum eigenen künstlerischen Raum – weich, trotzig, solidarisch.

Wer danach noch Energie hat, kann beim Drag-Format von Haus of Audacity weiterfeiern: Unter dem programmatischen Motto „I’m real when I shop my face“ verwandelt sich das Turistarama in eine „multi dimensional cinematic party experience“, die die Festivalmotive – Illusion, Inszenierung, Selbstentwurf – als Party in Bewegung setzt.

BLONDE COBRA bleibt damit das, was es in den vergangenen Jahren geworden ist: ein queeres, vom Experimentalfilm aus gedachtes Festival, das aus Köln heraus in die Welt funkt und zugleich tief in der lokalen Szene verwurzelt ist. Zwei Tage lang wird das Turistarama zum Nest für Filme, Performances und Musikvideos, die gängigen Vorstellungen von Normalität, Narration und Kino beherzt in die Seite beißen – und zeigen, wie lebendig, widerspenstig und zärtlich queeres Kino 2025 aussehen kann.

Veranstalter*innen..