Festival Filmszene Aktuell

Aktivismus, Queerness und Spannungskino: Die 17. Ausgabe von „Tüpisch Türkisch“

Noch ein weiteres Festivaljahr und „Tüpisch Türkisch“ wird volljährig. Dieses Jahr feiert die Filmreihe erstmal ihre 17. Ausgabe, die das türkische Kino in vielfältigen Facetten präsentiert. Einige dieser Facetten sind durch den Präsidenten Erdogan, seine konservativ-religiöse Agenda und seinen Wahlkampf in eigener Sache zunehmend bedroht. „Die türkische Kulturszene ist angeschlagen, aber nicht in die Knie gegangen“, erklärt das Programmheft. Allerdings heißt es über die türkischen Filmschaffenden auch: „So bleiben ihre Filme weiterhin dran an zentralen Themen: vertuschte Verbrechen, verkrustete Machtstrukturen, Männer unter Druck, Frauen im Widerstand.“ So nimmt sich auch „Tüpisch Türkisch“ Themen an, die man im politischen Ankara wahlweise verschweigt oder bekämpft, etwa mit dem Panel „LGTBIQ+ plus more“.

Besagtes Panel ist für Samstag, den 1. April, um 20.15 Uhr terminiert. Gezeigt werden in diesem Rahmen zwei dokumentarische Kurzfilme. Der 18-Minüter Zeryam (2022) nimmt die titelgebende Transgender-Sexarbeiterin und deren dörfliche Wurzeln in den Blick, in dem 29-Minüter 9/8fight41 (2021) verbindet Regisseurin Gizem Aksu die Geschichte des 1944 im KZ Wittenberge ermordeten Sinto-Boxers Johann Rukeli Trollmann mit ihrer eigenen Emigration nach Berlin und der Historie der Roma-Viertel in Istanbul. Aksu sowie Zeryam-Regisseurin Selin Kara gehören ebenso zu den Gästen des Panels wie die via Zoom aus Ankara zugeschaltete Filmaktivistin Arya Zencefil. Sie beschäftigen sich mit queeren Protagonist*innen und Perspektiven im türkischen Kino.

Daran schließt am Sonntag, den 2. April, um 17 Uhr das Panel „Boğaziçi and beyond: Documenting activism“ an. Vier Kurzfilme mit Längen zwischen 9 und 12 Minuten erforschen Widerstand gegen staatliche Repressionen, dokumentieren den Aktivismus, wie der Titel bereits gesagt. In Atlas (2022) und Witness (2022) geht es um den Protest an der Boğaziçi-Universität, der im Januar 2021 begann und sich über den Campus hinaus verbreitete – Witness nimmt dabei fünf queere Studentinnen in den Blick. Zu den Gästen, die über Aktivismus und dessen filmisch-dokumentarische Darstellung sprechen, gehört unter anderem Necati Sönmez vom Documentarist Filmfestival in Istanbul.

Ebenfalls dokumentarisch ist der Film, der die diesjährige Filmreihe am Donnerstag, den 30. März, um 18.30 Uhr eröffnet: Bitter and Sweet (2021). Es ist der letzte Film der Dokumentarfilmerin Didem
Şahin, die darin ihre an Alzheimer erkrankte Großmutter Nermin porträtiert. Diese kam 1963 zum Arbeiten nach Deutschland und brachte sich und ihre drei Töchter als alleinerziehende Mutter durch. Im Anschluss findet ein Gespräch mit der Istanbuler Regisseurin Çiğdem Sezgin und der Theatermacherin Burçin Keskin aus Köln statt.

Die sechs weiteren Slots der diesjährigen Ausgabe sind mit Spielfilmen bestückt, die ebenfalls dringende Anliegen der Gegenwart behandeln. Europa (2021) erzählt von dem aus dem Irak geflüchteten Kamal, der an der türkisch-bulgarischen Grenze versucht nicht von der Polizei aufgegriffen (und möglicherweise zurückgeschickt) zu werden. Suna (2022) beschäftigt sich mit der Zweckehe zwischen seiner titelgebenden Protagonistin und deren älterem, traditionell eingestellten Ehemann Veysel. The Life of a Snowflake (2022) steht hingegen für das kurdische Filmschaffen, das in der Türkei zunehmend zurückgedrängt wird – dort hat der Film von Kazım Öz bisher noch keine Festivalpremiere feiern können. Darin geht es um eine intensive, 31 Tage dauernde Beziehung, deren abruptes Ende in der Silvesternacht und das Nachspiel der stürmischen Liaison.

Für Freunde des Spannungskinos bieten sich Snow and the Bear (2022), Black Night (2021) und Burning Days (2022) an. Ersterer erzählt von Intrigen in einem eingeschneiten Dorf. Ein Mann verschwindet, die Angst vor Bären geht um und mittendrin ist Asli, eine erst gerade hinzu gezogene Krankenschwester. Black Night wurde in Antalya als bester Film und für das beste Drehbuch ausgezeichnet. Hauptfigur ist der moderne Nomade Ishak, der nach acht Jahren in sein Heimatdorf zurückkehrt und dort in den Fall eines verschwundenen Forstbeamten hineingezogen wird. Burning Days, der am Sonntag, den 2. April, um 19 Uhr die diesjährige „Tüpisch Türkisch“-Ausgabe beschließt, ist ein Politthriller: Ein junger Staatsanwalt stößt in einer Kleinstadt auf einen Grundwasserskandal und damit verbunden auf Korruption und Konspiration.

Damit bietet die 17. Ausgabe von „Tüpisch Türkisch“ ein buntes Kaleidoskop aktuellen dokumentarischen und fiktionalen Erzählens aus der Türkei. Von Donnerstag, den 30. März, bis Sonntag, den 2. April, im Filmforum im Museum Ludwig.

Alle weiteren Infos zum Programm gibt es auf der Homepage der Filmreihe.

Nils Bothmann

Veranstalter*innen..