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„Sie waren Ihrer Zeit wohl voraus“ – Helke Sander räumt auf – FILMKRITIK

Rainer Rother und Helke Sander beim Screening von „Die Deutschen und ihre Männer – Bericht aus Bonn“ (1988) im Rahmen der Retrospektive bei der Berlinale 2024, Foto: Sandra Riedmair

Es ist Sonntagnachmittag, ich sitze im Kino, es ist Berlinale und es läuft „Die Deutschen und ihre Männer – Bericht aus Bonn“ von Helke Sander aus dem Jahr 1988. Ich habe den Film aufgrund seines Titels gewählt, außerdem ist es mein Geburtsjahr. Helke Sander kenne ich aus Dokumentarfilmseminaren, meine Freundin neben mir hat ihren Namen noch nie gehört. Der Moderator spricht durchs Mikrofon. Herzlich Willkommen Helke Sander, das Publikum klatscht und vor uns steht eine ältere Frau auf und geht nach vorne. Der Moderator ist aufgeregt. Helke Sander nicht. Sie ist mittlerweile 87, spricht langsam, fragend, erzählt wie es zu diesem Film gekommen ist.

Damals in den 80er-Jahren dominierte eine zumeist männliche Meinung, dass Filme von Frauen zu esoterisch seien und Lieschen Müller diese nicht verstehe. Daraufhin nannte Sander ihre nächste Protagonistin kurzerhand Lieschen Müller. Die fiktive Figur aus Österreich reist in die damalige Bundeshauptstadt Bonn, um einen geeigneten Mann zu finden und erfährt dabei, wie der deutsche Mann zu jener Zeit denkt, welche Stellung er in der Gesellschaft hat und welche Macht von ihm ausgeht. Lieschen Müller führt Gespräche mit Passanten, Arbeitern, hochrangigen Politikern über Krawatten und Aktentaschen, über Vergewaltigung in der Ehe und Paragraf 118a, über Rollenverteilungen und wie fest diese geschrieben sind. Die Figur Lieschen Müller ist eine von vielen Kunstgriffen, die Helke Sander in ihren Filmen benutzt. Manchmal spielt sie selbst so eine Figur, verwendet sich selbst als Material, wie in ihrem bekanntesten Film „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit“, den aus meiner Generation wahrscheinlich kaum jemand kennt.

Jetzt kommt ein Film über ihr Leben ins Kino. Gemacht hat ihn Claudia Richarz, eine langjährige Wegbegleiterin, die bereits den oben genannten Film produzierte. Der neue heißt „Aufräumen“.  Aufräumen hat Helke Sander schon immer gemacht. Und immer noch gibt es viel zu tun. Die Sache der Frauen ist ihr Thema, als Filmemacherin, als Aktivistin. Umso erstaunlicher ist es, dass ihr Name nicht von größerer Bekanntheit ist, gilt sie doch als Pionierin der deutschen Frauenbewegung, ebenso wie des Neuen Deutschen Films.

Sie begründete die erste feministische Filmzeitschrift Europas „Frauen und Film“ und das erste internationale Frauenfilmseminar. Während der 68er-Bewegung hielt sie die berühmt gewordene Tomatenrede als Vertreterin des Aktionsrat zur Befreiung der Frauen auf einer Delegiertenkonferenz des SDS. Sie hat aus den Themen der Linken auch ein Thema der Frauen gemacht. Doch zur selben Zeit wird eine andere Feministin gerade berühmt und bekanntlich ist es Frauen bis heute noch selten möglich, neben einer anderen oben zu stehen. So wird die Frauenbewegung in der Geschichte oft mit dem Namen Alice Schwarzer verbunden, obwohl da ja noch andere waren. Und eine davon ist eben Helke Sander.

Helke Sander räumt auf. Foto: Claudia Richarz Film

Die erste Szene im Film zeigt Helke Sander bei einem Bestatter. Sie diskutiert ihr Ableben. An eine Tuchbestattung habe sie da gedacht – ohne Sarg, ob das möglich wäre. Der Bestatter findet die Idee durchaus interessant. Doch interessant reicht Sander nicht. Sie hakt nach, ob er, der hier ja verantwortlich scheint, sich auch dafür einsetzen würde. Das ist so eine typische Frage von Helke Sander, die sich nicht mit vagen Versprechungen zufriedengeben will. „Sie sind ihrer Zeit vielleicht voraus“ sagt der Bestatter schließlich und damit beginnt der Film über die Frau, die, wie wir sehen werden, ihrer Zeit tatsächlich voraus war, aber nicht nur das, sondern etwas angestoßen hat, was den Weg für eine andere Politik geebnet hat, von der Frauen (und Männer und alle anderen) heute profitieren.

Die Regisseurin Claudia Richarz war einst Studentin bei Helke Sander an der Hochschule der Bildenden Künste in Hamburg. Viele Jahre später treffen sich die beiden wieder und Sander willigt zu einem Film über ihr Leben ein. Dieses Leben liegt mittlerweile in Regalen. Sander zieht Bücher, Filmaufnahmen und Fotos hervor und öffnet Fenster zur Geschichte. In die 60er- und 70er-Jahre, als die zweite Frauenbewegung in Gang kam. Und wo Politik und Filmemachen für Sander zur Lebenspraxis wurde. Leben und Filmen im Kollektiv.

Zusammen mit Harun Farocki studiert sie an der DFFB, gemeinsam schließen sie sich dem studentischen Kampf für die Enteignung der Springer Presse an. Es entstehen Filme wie „Ihre Zeitungen“ oder „Brecht die Macht der Manipulateure“. Oft mit dabei, ihr Sohn Silvo. Denn es gab weder Kita-Plätze noch wurden an alleinstehende Frauen mit Kindern Wohnungen vermietet. Deshalb lebte Sander in Kommunen, hatte wechselnde Partner und musste den Sohn oft allein lassen. Warum das so ist, warum Frauen in Deutschland weniger Rechte haben als Männer, ist ihre große Frage gewesen, der sie in all ihren Filmen auf unterschiedliche Weise nachgegangen ist. Privat und Öffentlich sind dabei nicht voneinander zu trennen. Alles ist politisch, das zeigt sie anhand der eigenen Lebensverhältnisse als eine der wenigen weiblichen Filmemacherinnen dieser Zeit, als Mutter, als Aktivistin, später als Professorin. Im Film begleitet Richarz sie schließlich zu einer Veranstaltung, auf der Sander sich kritisch zu heutigem Feminismus äußert. Außer Sternchen hätte dieser nichts hervorgebracht, im Gegenteil, er sei entpolitisiert worden. Gegenwehr kommt direkt. Junge Menschen treten ans Mikro, widersprechen, Sander lächelt, mehr folgt nicht. Es bleibt die einzige Kritik aus der Gegenwart. Der Film konzentriert sich lieber auf die Errungenschaften und das ist in Ordnung. Denn inspirierend ist dieser Blick in die Vergangenheit allemal, zeigt das Leben von Helke Sander doch sehr deutlich, was es heißt, Handlungsmacht nicht nur zu fordern, sondern tatsächlich etwas zu verändern, was heute manchmal so unmöglich scheint. Das zeigt der Dokumentarfilm, der am 7. März ins Kino kommt. Doch noch mehr zeigen dass ihre Filme, die mehr Menschen, auch außerhalb von Filmseminaren, kennen sollten.

Von Sandra Riedmair

„Helke Sander: Aufräumen“ startet am 7. März 2024 in den deutschen Kinos im Verleih von Barnsteiner Film.

Am 7. März 2024 ist um 18 Uhr im Filmhauskino Regisseurin Claudia Richarz für die Köln Premiere anwesend.

Aktuelle Spieltermine auf: www.helkesanderfilm.de

Helke Sander und Regisseurin Claudia Richarz bei den Drehbarbeiten zum Film. Foto: Shinya Kitamura.

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