Allgemein Filmkritik

Filmkritik: Die Fotografin

Wie soll man sich bloß verhalten, wenn man plötzlich in der Münchner Prinzregentenstraße in Hitlers Badezimmer steht – am 30. April 1945, genau an dem Tag, an dem der Wohnungsinhaber in Berlin Selbstmord begeht? Kurz entschlossen, verknüpft Lee Miller in dieser Situation ihre beiden großen Talente als Model und Fotografin, entkleidet sich, nimmt in der Badewanne Platz und lässt sich von ihrem Begleiter David Scherman porträtieren. Der Eile zum Trotz, ist das Bild inklusive einer weiblichen Skulptur auf dem Waschtisch und eines unscharfen Hitler-Porträts auf dem Wannenrand präzise inszeniert, und lange überschattet es alles andere in Lee Millers Werk. Dieser Versuchung erliegt Ellen Kuras in ihrem Film „Lee“ (dt.: „Die Fotografin“) glücklicherweise nicht.

Natürlich fehlt diese Szene nicht, und Kate Winslet in der Titelrolle findet sichtlich Vergnügen daran, zugleich ausgelassen ein Tabu brechend und irgendwie doch historisch erschüttert in die Badewanne zu steigen und Scherman zu ermahnen, dass auf dem Foto auf keinen Fall ihre Brust zu sehen sein dürfe. Doch aufs Ganze betrachtet, vollzieht Kuras mit Sorgfalt und großem Ernst den Werdegang der Elisabeth „Lee“ Miller nach, die 1907 in Poughkeepsie im Bundesstaat New York geboren wurde. Weil dieses Leben von sich aus bereits wie ein Hollywood-Film wirkt, wundert man sich ständig, dass es erst jetzt in Form eines Biopic ins Kino kommt.

Einige Dokumentarfilme sind dem bereits vorausgegangen, und umfangreiche Ausstellungen und Bücher (unter anderem im Kölner Greven-Verlag mit Fotos Millers aus der befreiten, völlig zerstörten Stadt) haben längst dafür gesorgt, dass ihr gewaltiges Werk über die Badewannen-Eingebung hinaus der Nachwelt zugänglich ist.

Das ist nicht zuletzt Lees Sohn, Antony Miller, zu verdanken, der ihren Nachlass verwaltet. Antony bietet dem Film sozusagen den Erzählanlass, denn in einer Rahmenhandlung gibt ihm die gealterte Fotografin kurz vor ihrem Krebstod im Jahr 1977 Auskunft – ziemlich wortkarg mitunter, was wie alles in diesem akkuraten und dennoch höchst lebendigen Film den Tatsachen entspricht: Antony tappte lange im Dunkeln im Hinblick auf das bewegte Leben der Mutter. Geradezu schicksalhaft wirkt der Moment, als ein Passant im Manhattan der späten 20er Jahre sie beherzt vor einem heranbrausenden Automobil zurückreißt – der Retter entpuppt sich als Condé Nast, Verleger der Zeitschriften Vanity Fair und Vogue, der sie vom Fleck weg als Fotomodell engagiert. Wenige Jahre später ist sie in Paris Teil der Kunstavantgarde, lebt mit Man Ray zusammen und saugt den Surrealismus in sich auf. Porträt und zeitgeschichtliches Panorama – Ellen Kuras Film ist beides, so dass sich Person und Epoche in „Lee“ immer durchdringen.

Kate Winslet spielt die legendäre Fotografin Lee Miller, Foto: Studiocanal

Besonders gilt das für das Hauptkapitel des Films – und wohl auch das in Lee Millers Biografie -, den Zweiten Weltkrieg, in dem sie sich endgültig vom zeitgeistig glamourösen Leben als Model verabschiedet und sich bei der Armee als Berichterstatterin meldet: Ihr Weg führt sie von der Dokumentation eines Napalm-Einsatzes im französischen San Malo bis in die Konzentrationslager im Osten, deren Grauen sie als eine der ersten im Bild festhält. Die Badewannen-Szene ist auf diesem europäischen Gewaltmarsch tatsächlich nur eine Episode. Schwerer wiegt, und das ist eine der erschütterenden Passagen des Films, dass die englische Vogue die Fotos aus Dachau und Buchenwald nicht drucken will und erst die amerikanische Ausgabe Millers Exklusivmaterial veröffentlicht.

Klug, wie Kuras solche Einblicke in die Stimmungslage der Zeit fast en passant einflicht, und weil die Regisseurin selbst auf eine lange Karriere als preisgekrönte Kamerafrau zurückblickt („Eternal Sunshine Of The Spotless Mind“),  verspürt sie wohl eine innige Verbindung zur Fotografin Miller: Ihr Film ist jedenfalls auf intensive Weise eine Hommage an seine Hauptfigur, versucht aber in keiner einzigen Einstellung, deren Bildsprache zu imitieren, so dass „Lee“ eine ganz und gar originäre Annäherung bleibt.

Die Geistesverwandschaft zwischen Regisseurin und Figur hat allerdings eine Dritte im Bunde, und das ist Kate Winslet, die hier eine Glanzleistung abliefert. Sie ist hitzköpfig, lebens- und liebesdurstig als junge Lee Miller, und mürrisch und kratzbürstig als Greisin – vor allem aber als Kriegsberichterstatterin wirft sie sich mit aller Energie in die Rolle, die Winslet als feministisches Fanal begreift: Wenn Lee sich in der Männergesellschaft der kämpfenden Truppe durchsetzt, kommt es zu den spannungsreichsten und politisch brisantesten Szenen des Films. Dieser endet, wenn die Fotografin schon nicht mehr da ist und der Sohn ein wenig ratlos auf die Fragmente des noch ungeordneten Werkes blickt. Es ist so vielgestaltig wie das Leben seiner Mutter war, und in ihm ist Lee Miller ungebrochen präsent. So wie im Film von Ellen Kuras.

Frank Olbert

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„Lee“ („Die Fotografin“) startet am 19. September 2024

In seiner Startwoche ist der Film in den Kölner Kinos Cinedom, Metropolis, Odeon, Rex am Ring und Weisshaus zu sehen.

“Die Fotografin” (“Lee”)
Regie: Ellen Kuras
Darsteller: Kate Winslet, Andy Samberg, Alexander Skarsgard, Marion Cotillard, Andrea Riseborough u.a.

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