Zurück zum 9. Januar, als um 10 Uhr der erste von zwei dfi-Symposiumstagen unter dem Titel „DOING TIME. Dokumentarische Operationen im Umgang mit Zeit“ im Filmhaus begonnen hat. Kurz zum 10. Januar: zwei Tage lang ging es um Zeiterfahrung und Zeitwahrnehmung, die Inkorporation und Modulation von Zeit in Form und Inhalt im Dokumentarfilm und verschiedenen künstlerischen Ansätzen im Umgang mit Zeit, entlang verschiedener Kurz-, Mittellang- und Lang-(Dokumentar)filmen und Werkstattgesprächen. Zeit wird gedehnt, Langzeitbeobachtungen vis-à-vis ihrer Zeitlichkeit ästhetisiert, sie verändert den Blick auf Dinge und rahmt die wandelnden Geschwindigkeitsverhältnisse von sozialem Geschehen. Nochmal zurück zum 9. Januar.
Kurz, Lang, Mittellang
Es beginnt mit einem experimentellen Kurzfilmprogramm, in dem unterschiedliche Stile und Medien in knapp 80 Minuten aneinandergereiht werden. Dabei werden 16mm-Aufnahmen mit Smartphone Videos kontrastiert und ebenso verschiedenste Frameraten und Montagetechniken bis hin zu gar keinem Schnitt. So funktioniert nämlich Larry Gottheims Fog Line von 1970, der elf Minuten lang einen Ausschnitt einer in Nebel gehüllten Landschaft zeigt, bei der der Nebel verhältnismäßig langsam vergeht. Der Frame ist durch Telefonleitungen getrennt, die über die gesamte Dauer gleichbleibend gut sichtbar bleiben. Wir sehen den Kontrast aus technologischer Geschwindigkeit und naturverhafteter Entschleunigung, Zeit wird entlang den Achsen technischer Fortschritt und Wetterbedingungen messbar gemacht.
Im Film zuvor befinden wir uns in Viktoria Schmids NYC RGB (2023) in New York City. Mit Aufnahmen aus dem 20. Stockwerk beobachten wir durch Außen- und Innenaufnahmen ein Licht- und Farbspiel, das historische Farbfilmprozesse nachzeichnet und die Wahrnehmung der Stadt durch Schnitt und Framing verlangsamt. Zeitlos wirkend bietet einzig ein H&M-Logo an einer weit entfernten Häuserfassade eine vage Auskunft über die Zeitlichkeit der Aufnahmen und rahmt das stille Lichtspiel in der Stadt.
Auch im nächsten Film, Aus einem Jahr der Nichtereignisse (2017, R: Ann Carolin Renninger, René Frölke), treffen Technik und Zeit aufeinander. Der Bauer Willi führt, mal mit Bild und mal ohne, weil nämlich die Filmrolle zu Ende war, durch den Alltag der streng getaktet ist („Anziehen muss schnell gehen“). Die langen Einstellungen machen das zum Teil aus der Zeit gefallene erfahrbar, und so ist auch das Bild des quietschenden Rollators den Willi über eine Wiese schiebt Sinnbild für einen (alternden) Körper, der mithilfe der Technik wie ein Uhrwerk funktioniert.
In einer anknüpfenden Austauschrunde über Schlüsselbegriffe zu Zeitlichkeit im Dokumentarfilm fällt die Sitzordnung im Foyer auf. Der innere Kreis ist zum äußeren gerichtet, sodass eine Art Speeddating (pun intended) entsteht. Es sollen Begriffe mit der jeweils zugewandten Person besprochen werden. Wohingegen sich der äußere Kreis im Uhrzeigersinn bewegt, wandert der des inneren entgegen der Norm, so werden Gesprächspartner:innen gewechselt und das figurative Ziffernblatt dekonstruiert.
Zeit als Nicht-Ort: „Was Zeit im Hotel bemisst, wird dem Raum genommen“
Und es ist folglich auch das Konzept der Dekonstruktion, das in Chantal Akermans Stummfilm Hotel Monterey (1972) aufwartet. Das Hotel fungiert als Zeitmesser par excellence, denn der Gastaufenthalt ist zeitlich vorgegeben und (selbst) gewählt; gleichermaßen wartet das Hotel als Raum darauf, als ebenjener genutzt zu werden und Gäste zu beherbergen. Die zeitliche Bemessung des Aufenthalts modifiziert den Ort als solchen und macht es je nach Gästen zu einem jeweils anderen. Der französische Anthropologe Marc Augé bezeichnet dies als non-places, also ortlose Orte, da sie keine intrinsische Identität beinhalten und lediglich durch das Vorübergehende bestimmt sind. Aber was passiert eigentlich, wenn niemand im Hotel ist? Welcher Ort entsteht, wenn ihnen das ortlose genommen wird.
Akerman zeigt dies in langen Einstellungen und somit sehen wir eher gelegentlich Menschen, die den Fahrstuhl benutzen, in dem auch die Kamera mitfährt oder – in zwei Ausnahmen – Gäste im Zimmer sind. Es wirkt schlüssig, dass diese Einstellungen die Ausnahme bilden und als solche klar erkennbar in Szene gesetzt und stilisiert sind. Zeit wird nicht anhand der Menschen gemessen, sondern wird räumlich wahrnehmbar und das Hotel wird zum Hauptcharakter selbst.
Das, was Zeit im Hotel bemisst, wird dem Raum genommen und durch Akermans Regie aufgelöst. Es zittert eine gewisse Geräuschkulisse aus dem Treiben und Handeln von Menschen durch das Bild, die Zeit verbringen und als Zeitmesser fungieren. In den 63 Minuten werden Zuschauer:innen dabei zum Teil einer erfahrbaren Zeit, die entschleunigt wurde. Besonders in Erinnerung bleiben die Flure und Treppenhäuser, die nicht bloß als Durchgang dienen, sondern in gleichlangen Einstellungen, wie die der Hotelzimmer, gezeigt werden. Und auch dies fällt auf: wir verbringen wenig Zeit in Hotelzimmer, als wir es in den vielen anderen Ecken des Hotel Monterey tun. Dass also, was im Hotel noch viel eher als bloße Route von A nach B gilt, wird hier in den Vordergrund gerückt und hinterfragt dadurch auch, wie und wo Zeit (im Hotel) verbracht wird, beziehungsweise werden kann und vielleicht auch sollte.
Zurück zum 9. Januar, als um 10 Uhr der erste von zwei dfi-Symposiumstagen unter dem Titel „DOING TIME. Dokumentarische Operationen im Umgang mit Zeit“ im Filmhaus begonnen hat. Kurz zum 10. Januar: zwei Tage lang ging es um Zeiterfahrung und Zeitwahrnehmung, die Inkorporation und Modulation von Zeit in Form und Inhalt im Dokumentarfilm und verschiedenen künstlerischen Ansätzen im Umgang mit Zeit, entlang verschiedener Kurz-, Mittellang- und Lang-(Dokumentar)filmen und Werkstattgesprächen. Zeit wird gedehnt, Langzeitbeobachtungen vis-à-vis ihrer Zeitlichkeit ästhetisiert, sie verändert den Blick auf Dinge und rahmt die wandelnden Geschwindigkeitsverhältnisse von sozialem Geschehen. Nochmal zurück zum 9. Januar.
Kurz, Lang, Mittellang
Es beginnt mit einem experimentellen Kurzfilmprogramm, in dem unterschiedliche Stile und Medien in knapp 80 Minuten aneinandergereiht werden. Dabei werden 16mm-Aufnahmen mit Smartphone Videos kontrastiert und ebenso verschiedenste Frameraten und Montagetechniken bis hin zu gar keinem Schnitt. So funktioniert nämlich Larry Gottheims Fog Line von 1970, der elf Minuten lang einen Ausschnitt einer in Nebel gehüllten Landschaft zeigt, bei der der Nebel verhältnismäßig langsam vergeht. Der Frame ist durch Telefonleitungen getrennt, die über die gesamte Dauer gleichbleibend gut sichtbar bleiben. Wir sehen den Kontrast aus technologischer Geschwindigkeit und naturverhafteter Entschleunigung, Zeit wird entlang den Achsen technischer Fortschritt und Wetterbedingungen messbar gemacht.
Im Film zuvor befinden wir uns in Viktoria Schmids NYC RGB (2023) in New York City. Mit Aufnahmen aus dem 20. Stockwerk beobachten wir durch Außen- und Innenaufnahmen ein Licht- und Farbspiel, das historische Farbfilmprozesse nachzeichnet und die Wahrnehmung der Stadt durch Schnitt und Framing verlangsamt. Zeitlos wirkend bietet einzig ein H&M-Logo an einer weit entfernten Häuserfassade eine vage Auskunft über die Zeitlichkeit der Aufnahmen und rahmt das stille Lichtspiel in der Stadt.
Auch im nächsten Film, Aus einem Jahr der Nichtereignisse (2017, R: Ann Carolin Renninger, René Frölke), treffen Technik und Zeit aufeinander. Der Bauer Willi führt, mal mit Bild und mal ohne, weil nämlich die Filmrolle zu Ende war, durch den Alltag der streng getaktet ist („Anziehen muss schnell gehen“). Die langen Einstellungen machen das zum Teil aus der Zeit gefallene erfahrbar, und so ist auch das Bild des quietschenden Rollators den Willi über eine Wiese schiebt Sinnbild für einen (alternden) Körper, der mithilfe der Technik wie ein Uhrwerk funktioniert.
In einer anknüpfenden Austauschrunde über Schlüsselbegriffe zu Zeitlichkeit im Dokumentarfilm fällt die Sitzordnung im Foyer auf. Der innere Kreis ist zum äußeren gerichtet, sodass eine Art Speeddating (pun intended) entsteht. Es sollen Begriffe mit der jeweils zugewandten Person besprochen werden. Wohingegen sich der äußere Kreis im Uhrzeigersinn bewegt, wandert der des inneren entgegen der Norm, so werden Gesprächspartner:innen gewechselt und das figurative Ziffernblatt dekonstruiert.
Zeit als Nicht-Ort: „Was Zeit im Hotel bemisst, wird dem Raum genommen“
Und es ist folglich auch das Konzept der Dekonstruktion, das in Chantal Akermans Stummfilm Hotel Monterey (1972) aufwartet. Das Hotel fungiert als Zeitmesser par excellence, denn der Gastaufenthalt ist zeitlich vorgegeben und (selbst) gewählt; gleichermaßen wartet das Hotel als Raum darauf, als ebenjener genutzt zu werden und Gäste zu beherbergen. Die zeitliche Bemessung des Aufenthalts modifiziert den Ort als solchen und macht es je nach Gästen zu einem jeweils anderen. Der französische Anthropologe Marc Augé bezeichnet dies als non-places, also ortlose Orte, da sie keine intrinsische Identität beinhalten und lediglich durch das Vorübergehende bestimmt sind. Aber was passiert eigentlich, wenn niemand im Hotel ist? Welcher Ort entsteht, wenn ihnen das ortlose genommen wird.
Akerman zeigt dies in langen Einstellungen und somit sehen wir eher gelegentlich Menschen, die den Fahrstuhl benutzen, in dem auch die Kamera mitfährt oder – in zwei Ausnahmen – Gäste im Zimmer sind. Es wirkt schlüssig, dass diese Einstellungen die Ausnahme bilden und als solche klar erkennbar in Szene gesetzt und stilisiert sind. Zeit wird nicht anhand der Menschen gemessen, sondern wird räumlich wahrnehmbar und das Hotel wird zum Hauptcharakter selbst.
Das, was Zeit im Hotel bemisst, wird dem Raum genommen und durch Akermans Regie aufgelöst. Es zittert eine gewisse Geräuschkulisse aus dem Treiben und Handeln von Menschen durch das Bild, die Zeit verbringen und als Zeitmesser fungieren. In den 63 Minuten werden Zuschauer:innen dabei zum Teil einer erfahrbaren Zeit, die entschleunigt wurde. Besonders in Erinnerung bleiben die Flure und Treppenhäuser, die nicht bloß als Durchgang dienen, sondern in gleichlangen Einstellungen, wie die der Hotelzimmer, gezeigt werden. Und auch dies fällt auf: wir verbringen wenig Zeit in Hotelzimmer, als wir es in den vielen anderen Ecken des Hotel Monterey tun. Dass also, was im Hotel noch viel eher als bloße Route von A nach B gilt, wird hier in den Vordergrund gerückt und hinterfragt dadurch auch, wie und wo Zeit (im Hotel) verbracht wird, beziehungsweise werden kann und vielleicht auch sollte.
Jonas Neldner