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Filmkritik: Das Deutsche Volk

Hanau, 19. Februar 2020: Neun junge Menschen werden von einem Rechtsextremen ermordet – ein Verbrechen, das bis heute nachhallt. Der Filmemacher Marcin Wierzchowski war von Beginn an vor Ort und dokumentierte über Jahre hinweg die Trauer, die Kämpfe und die unbequemen Fragen der Hinterbliebenen. Sein Film Das Deutsche Volk gibt ihnen eine Stimme – eindringlich, wütend, unermüdlich.

Von Sandra Riedmair.


Preview in Anwesenheit des Regisseurs Marcin Wierzchowski
am 31. August im Filmhaus Kino Köln: >>> Tickets <<<


Marcin Wierzchowski, Foto: milk&water Film

Am 19. Februar 2020 erschoss ein rechtsextremer Mann an mehreren Tatorten in Hanau neun junge Menschen. Marcin Wierzchowski, Filmemacher aus Frankfurt, fuhr sofort in die benachbarte Stadt und dokumentierte vier Jahre die aufwühlenden Folgen für die Hinterbliebenen. Im Februar wurde der Film auf der Berlinale uraufgeführt. Am 4. September kommt ins reguläre Kinoprogramm – wird aber bereits am 31. August unter Anwesenheit des Regisseurs im Filmhaus gezeigt. Zu diesem Anlass haben wir mit Marcin Wierzchowski gesprochen.

Er sei direkt am nächsten Tag nach Hanau gefahren, erzählt Wierzchowski. Und dann sei er eben immer wieder hin, erst ohne, dann mit Kamera. Über mehrere Jahre begleitete er den Prozess, den die Angehörigen nach der Tat durchleben mussten. Den Umgang mit der Bürokratie, die Trauer, die Aufarbeitung durch einen neu gegründete Initiative, die bald bekannt werden würde durch den Hashtag #saytheirnames. Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov sind als Konterfeis auf Plakaten und Instagram-Kacheln in die deutsche Geschichte eingegangen.

Kritische Fragen an Polizei und Behörden

Foto: Demokratie leben! Hanau

Dass die Namen der Opfer selten in Erinnerung bleiben, ja gar nicht in den Medien erwähnt werden, wenn es ausländische Namen sind, ist ein altes Phänomen. Und ein Problem, das struktureller Natur ist, und in dem zweistündigen Film immer wieder durchscheint. Etwa, wenn die Angehörigen der Toten von Polizei und Behörden wissen wollen, warum die Leichen der Opfer beschlagnahmt wurden, ohne das Wissen der Eltern.

Es wird schnell deutlich, dass die Aufarbeitung dieser und anderer behördlichen Undurchsichtigkeiten hart erkämpft werden muss, von denjenigen, die eigentlich keine Kraft mehr haben. Der Film gibt den Hinterbliebenen Raum für ihre eigenen, kritischen Fragen: Warum wurde der Notruf, den Vili Viorel Păun in der Nacht getätigt hatte, nicht angenommen? Warum war der Notausgang der Bar verschlossen, wodurch Flucht unmöglich war. Wieso hatte der bereits aufgefallene Täter Tobias R. einen Waffenschein? Er war der Polizei lange bekannt. 2002 wurde er bereits in die Psychiatrie eingewiesen, sah sich von ausländischen Geheimdiensten verfolgt und verstieß 2018 zuletzt gegen das Betäubungsmittelgesetz. Sein Waffenschein wurde erneut verlängert, denn die Waffenbehörde wusste scheinbar von all dem nichts.

Die Hinterbliebenen erreichen schließlich mit Hilfe einer Initiative, die sich nach dem Attentat gegründet hatte, sowie öffentlichem Druck, dass ein Untersuchungsausschuss errichtet wird, der ein vernichtendes Urteil über die Versäumnisse von Polizei und Justiz fällt: Das Sondereinsatzkommando, das in der Nacht das Haus des Täters stürmte, bestand zur Hälfte aus Beamten, die in rechtsradikalen Chatgruppen aktiv waren.

Rechtsextremer Terror im gesellschaftlichen Klima

In sachlichem Schwarz-Weiß fokussiert sich der Film auf die Menschen und Orte, die nach Katastrophen wie diesen schnell aus den Medien wieder verschwinden. Dem Filmemacher sei dies ein Anliegen gewesen, weil nach den Attentaten davor so vieles falsch lief. Es war noch kein halbes Jahr vergangen, seit dem Anschlag in Halle, als dort ein rechtsextremer Mann zwei Menschen erschoss. Und ein halbes Jahr davor starb Walter Lübke.

Rechtsextremer Terror beschäftige Wierzchowski, der selbst in Polen geboren wurde, schon lange. Nach 2015, als in Deutschland Geflüchtete noch an Bahnhöfen beklatscht wurden, sei die Stimmung recht schnell gekippt. Die AfD wurde stärker und das Klima verschärfte sich, wurde rassistischer. Als Marcin Wierzchowski am Tag nach dem Anschlag nach Hanau fuhr, wusste er bereits am Abend, dass er wieder kommen wolle, um zu dokumentieren. „Zunächst hieß es, es sei ein fremdenfeindlicher Anschlag gewesen. Doch die Leute, die dann aus ganz Deutschland kamen, um die Hinterbliebenen zu unterstützen, haben es geschafft das Wording schnell zu verändern. Die haben gesagt: Die Opfer waren keine Fremden. Drei Tage nach dem Anschlag haben sie eine Bühne auf dem Marktplatz errichtet, auf der nicht Politiker gesprochen haben, sondern Betroffene rassistischer Gewalt.“ Man habe aus den anderen Anschlägen „gelernt“, diesmal sollten die Betroffenen zu Wort kommen und ihre eigene Geschichte erzählen. Wie dieser Lernprozess, so schmerzhaft und ungerecht er manchmal war und bis heute ist, zu einer nationalen Angelegenheit wurde, zeigt der Film Das Deutsche Volk eindrücklich.


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