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Filmkritik: Invisible People

Mit INVISIBLE PEOPLE erkundet Filmemacherin Alisa Berger die geheimen Zonen, in denen Körper, Wahrnehmung und Identität ins Ungewisse kippen. Ihr Film über Butoh-Tänzer:innen nähert sich einem radikal subjektlosen Tanz, der im Moment der Begegnung entsteht. Eine poetische Studie über Sichtbarkeit, Vergänglichkeit und die Räume dazwischen. Der Film wird am 7. Dezember am Filmhaus gezeigt – mit anschließendem Q&A.

Von Werner Busch.


Alisa Berger hat mit INVISIBLE PEOPLE einen jener seltenen Dokumentarfilme geschaffen, die weniger erklären als vielmehr eine Wahrnehmung öffnen. Ausgangspunkt ist eine persönliche Erschütterung: die Krebsdiagnose und der Tod ihres Vaters. Doch der Film entfaltet sich rasch zu etwas Größerem – einer Meditation über Körper, Vergänglichkeit, Sichtbarkeit und jene Zwischenräume, in denen Leben und Kunst entstehen.

Im Zentrum steht Butoh, jener radikal subjektlose japanische Tanz, der seit den 1950er-Jahren gegen alles antritt, was Form, Schönheit, Technik verspricht. Butoh ist reiner Ausdruck ohne Inhalt. Ein Tänzer sagt: »In dieser Welt gibt es kein Butoh. Es ist etwas neues, das im Moment der Performance zwischen Tänzer und Zuschauer geboren wird.« Berger interessiert genau dieser Moment – und die Leerstelle, aus der er hervorgeht.

Der Film folgt einigen der letzten Schüler:innen von Yoshito Ōno und Tatsumi Hijikata, die Begründer und Ikonen einer Kunst, die die Grenzen von Körper, Identität und Gesellschaft aufweicht. Da ist etwa Seiji Tanaka, dessen Leben durch eine Pina-Bausch-Vorstellung aus der Bahn geworfen wurde und der nun davon spricht, dass der Körper eine geheime Sprache besitze, ein autonomes Sprachvermögen jenseits des bewussten Ich. Butoh als Überschreitung, als Eintritt in eine andere Welt.

»Ich brauche keine Techniken, um mein Leben nach dem Tod zu führen«

Berger nähert sich diesen Menschen tastend an, mit einer Ästhetik, die sich selbst zurücknimmt und zugleich hoch aufgeladen ist: das permanente Dröhnen aus anderen Sphären, poetische Close-ups, Glitch-Effekte, die das Bild zu zerlegen scheinen, und vor allem diese großartigen Zeitrafferaufnahmen: Wir sehen die Protagonist:innen stehen reglos – aber nur scheinbar. Die Kamera deckt auf, was das Auge übersieht: mikroskopische Eigenbewegungen, das Zittern, Atmen, Schwanken, das permanente Arbeiten eines Körpers, der nie vollständig stillsteht.

INVISIBLE PEOPLE ist ein Film über das Unsichtbare – und darüber, wie verschieden es sich manifestieren kann. Unsichtbar sind jene, die auf einer Bühne ihren Körper entmenschlichen, um »nur Tanz« zu werden. Unsichtbar sind jene, die als Masse durch Tokyos U-Bahnen strömen und gerade dadurch verschwinden. Unsichtbar sind auch die Toten, und das nicht nur als literarische Anspielung. Berger findet in diesen unterschiedlichen Erscheinungen derselben Idee eine stille, bedrückende Logik: Die Vorstellung vom Unsichtbaren durchzieht die japanische Gesellschaft, aber auch unsere eigenen inneren Landschaften.

Trotz dieser weiten Linien bleibt der Film persönlich. Der Verlust des Vaters ist kein Thema im Vordergrund, sondern ein Echo: ein Riss, durch den Berger auf diese Kunstform blickt, die mit dem Tod spricht, ohne ihn zu benennen. Butoh, so wird deutlich, ist weniger Tanz als eine Haltung zum Dasein. Eine Praxis des Verschwindens, die paradoxerweise erst sichtbar macht, was wir sonst nicht sehen.

Formal ist der Film außergewöhnlich. Berger verbindet dokumentarische Zurückhaltung mit künstlerischer Intervention. Die Strobo-Titel, Glitch-Art, überbelichtete Sequenzen, fragmentierte Körperbilder – all das signalisiert, dass auch diese Dokumentation nur ein Versuch ist, etwas festzuhalten, das sich im Prozess des Entziehens befindet. Dass das Unsichtbare nicht eingefangen, sondern nur umkreist werden kann.

Über die Filmemacherin

Alisa Berger ist 1987 in Dagestan geboren und in Lviv und Essen aufgewachsen. Sie studierte Film und Medienkunst an der KHM Köln und in Bogotá, wurde früh international ausgezeichnet und hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt dem performativen Arbeiten gewidmet. Von 2018 bis 2022 lebte sie in Tokio und studierte dort selbst Butoh – eine Erfahrung, die INVISIBLE PEOPLE spürbar durchdringt.

Während ihres Studiums am renommierten Le Fresnoy realisierte sie diesen Film, der gleich mehrere Preise erhielt, darunter den Prix Studio Collector und den Prix Analix Forever. Parallel arbeitet Berger an VR- und Video-Installationen wie RAPTURE, das auf internationalen Festivals prämiert wurde. Ihre Praxis ist kollaborativ, grenzüberschreitend und risikofreudig – oft begleitet, verändert oder sogar zerstört durch performative Interventionen.

Sie ist Mitgründerin von FORTIS FEM FILM, engagiert sich für weibliche Sichtbarkeit im Film und arbeitet zudem als Soundperformerin und DJ.


Der Film wird am 7. Dezember am Filmhaus gezeigt – mit anschließendem Q&A mit der Filmemacherin.

Veranstalter*innen..