Ende April berichtete die Stadt Duisburg, dass der Kölner Alexander Scholz in diesem Jahr als Kurator die Leitung des renommierten Dokumentarfilm-Festivals Duisburger Filmwoche übernimmt. Scholz arbeitet als Autor und Redakteur für verschiedene Kulturinstitutionen in NRW. Er arbeitet seit 2018 mit dem Filmforum im Rahmen des Filmprogramms der Duisburger Akzente zusammen und ist seit 2019 als Dozent an der ifs internationalen filmschule köln tätig. Zudem ist der bereits seit Jahren schon für die Filmwoche tätig und kuratiert die diesjährige Ausgabe laut Pressemitteilung zusammen mit einem „Team, das sich aus alten und einigen neuen Freundinnen und Freunden des Festivals zusammensetzt“. Wir sprachen mit ihm über seinen Werdegang, den Archivgedanken der Duisburger Filmwoche und die Durchführung von Festivals unter Pandemiebedingungen.
Hallo Alex, du bist ja bei der Duisburger Filmwoche kein Unbekannter. Kannst du unseren Lesern mitteilen, was du genau für das Festival zuvor getan hast?
Das erste Mal war ich 2013 auf dem Festival als Protokollant eingeladen. Bei der Filmwoche ist es ja so, dass die Diskussionen nach den Filmen gleichwertig zu den Filmen behandelt werden. Die Protokollanten sind Journalisten, Filmwissenschaftler, Studierende etc., die am Archiv der Filmwoche mitarbeiten und die Frage des Dokumentarischen verdoppeln, indem sie diese Gespräche aufzeichnen. 2013 und 2014 war ich Autor solcher Protokolle und habe das Interesse am Dokumentarfilm, das während meiner Zeit als Autor bei der Filmzeitschrift „Schnitt“ geweckt wurde, noch weiter entwickelt. Bei der Filmwoche hat der Dokumentarfilm für mich quasi endgültig gezündet.
Als Protokollant nimmt man gewissermaßen passiv an den Diskussionen teil, indem man sie aufzeichnet und zu einem gewissen Grad seine eigene Meinung in die Niederschrift einbringt. Nach diesen zwei Jahren hat mich der damalige Festivalleiter Werner Ružička gefragt, ob ich den frei werdenden Posten des Pressereferenten für die Filmwoche übernehmen wollte. Das habe ich dann von 2015 bis einschließlich 2019 gemacht. Während der Pressearbeit war ich immer auch darüber hinaus im Team involviert, habe als Programmberater gearbeitet, an den Sichtungen teilgenommen, während derer die Diskussionen des Festivals auf andere Weise schon vorweggenommen werden, und beim Festival selbst Filmgespräche geführt. 2017 habe ich gemeinsam mit Werner Ružička für die Filmwoche einen Band namens „AusSichten. Öffentliches Reden über Dokumentarfilm“ herausgegeben, in dem es vor allem um den Kern der Filmwoche ging: Das Reden über Dokumentarfilm, in welcher Öffentlichkeit dies geschieht und wie es sich verändert hat. Zum damaligen Jubiläum der Filmwoche wollten wir ergründen, wie sich genau diese Diskurse verändert haben. Damit bin ich gemeinsam mit den Autoren und Autorinnen noch tiefer in das Ganze eingedrungen.
2019 habe ich angefangen an dem Protokolle-Archiv der Filmwoche zu arbeiten. Das Online-Archiv der Protokolle wurde verschlagwortet, neu aufgebaut und einen Blog eingerichtet. Gewissermaßen schloss sich der Kreis: Ich habe mich wieder mit dem beschäftigt, womit ich bei dem Festival begann. Das Online-Archiv wurde übrigens 2011 von Sven Ilgner ins Leben gerufen, der in Köln ja auch kein Unbekannter ist. Auf diese Weise habe ich mich auch noch einmal sehr intensiv mit der Geschichte des Festivals und seinen Filmen beschäftigt. Neben den Filmdiskussionen, die später eben nicht mehr protokolliert, sondern selbst geführt habe, war dies mein tiefstes Eindringen in das Festival. Ich bin also mit vielen Facetten der Filmwoche vertraut.
Du sprachst gerade den „Schnitt“ an. Erzähl doch von deinem filmjournalistischen bzw. filmwissenschaftlichen Werdegang vor der Filmwoche.
Ich kam 2009 als Praktikant zu dem mittlerweile eingestellten Magazin. Während meines Literaturstudiums in Bonn und Paris wurde das Interesse geweckt, sich noch einmal näher und vielleicht auch anders mit Film auseinanderzusetzen. Ich nahm ein Urlaubssemester, um ein halbjähriges Praktikum zu machen. Gleich die zweite Ausgabe, an der ich mitarbeitete, drehte sich um den Dokumentarfilm. Außerdem ging aus dem „Schnitt“ ja 1999 das Montage-Festival Filmplus, inzwischen Edimotion, hervor und eigentlich alle Redakteure und Autoren waren immer noch bei Filmplus involviert – dort habe ich frühzeitig Festivalluft schnuppern können. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass das Schreiben über Film, die Auseinandersetzung mit Film auf Festivals und die Frage danach, wie man Film auf Festivals vermittelt, etwas ist, das mich sehr interessiert. Seitdem bin ich beim Schreiben über Film und beim Machen von Festivals geblieben.
Wie bist du neuer Kurator der Duisburger Filmwoche geworden?
Als Werner Ružička 2019 nach 34 Jahren in den Ruhestand ging, gab es eine Veränderung zu Gudrun Sommer und Christian Koch. Gudrun hatte zu dem Zeitpunkt schon lang das Partnerfestival doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche geleitet, gemeinsam haben sie die Doppelspitze für beide Festivals übernommen. Sie hatten einen Vertrag über zwei Jahre, der in diesem Jahr auslief. Beide haben sich entschieden, ihre Verträge nicht zu verlängern. Die Stadt suchte dann jemanden, der die Leitung der Filmwoche für ein Jahr übernimmt. Es sollte jemand sein, der das Festival und die Partner gut kennt und Kontinuität verkörpert. Dieses Profil traf auf mich zu, da ich sowohl unter Werner als auch unter Gudrun und Christian vielfältige Aufgaben bei der Filmwoche übernommen hatte.
Wo siehst du dich in der Kontinuität zu deinen Vorgängern?
In diesem Jahr geht es vor allem darum, sich auf den Kern der Filmwoche zu konzentrieren. Für mich steht im Vordergrund im November ein Festival durchzuführen, in dem das Zeigen von und das Sprechen über Dokumentarfilm möglich ist. Das ist das Zentrum der Filmwoche: Dass es keine Parallelvorführungen gibt, dass ein gemeinsames Gespräch über den Film stattfindet, dass dieses protokolliert wird. Es ist ein Format, an dem ich keinesfalls rütteln will. Alle bisherigen Festivalleiter:innen haben erkannt, dass dieser Grundsatz nicht in Frage gestellt werden darf. Also sehe ich mich da in einer Kontinuität.
Ich finde, dass die Auswahlkommission in den letzten zwei Jahren, in der Art wie sie Filme selektiert und Gespräche geführt hat, dem Festival etwas Wertvolles hinzugefügt hat. Aufgrund der Expertise, der Eingeschworenheit und der Solidarität zum Festival in dieser Gruppe, will ich weiter mit ihnen zusammenarbeiten. Auch aufgrund der Filmauswahl, die sie getroffen haben.
Willst du auch eigene Akzente setzen?
Es gibt eine inhaltliche und eine strukturelle Sache, bei der ich Bestehendes vielleicht etwas variieren würde. Inhaltlich geht es mir vor allem um die Auseinandersetzung mit Filmgeschichte und Dokumentarfilmgeschichte, wie sie auf der Filmwoche stattgefunden hat und wie sie archiviert wurde. Ich habe mich, wie bereits gesagt, in den letzten Jahren ja intensiv mit der Historie des Festivals auseinandergesetzt. Darin sehe ich eine Aufgabe von Festivals allgemein: Eine Haltung zu einer Filmgeschichte zu haben, die man selbst mitgeprägt hat. Gerade in diesem Jahr des Übergangs finde ich es sinnvoll, wenn man die Chance nutzt eine Art Rückschau zu machen. Ich glaube zudem, dass man durch einen Blick zurück eine gute Perspektive gewinnen kann, gerade auf aktuelle Diskurse im Dokumentarfilm – man denke an den jüngsten Skandal um Lovemobil. Gerade in den Anfangsjahren wurden in Duisburg heftige Debatten geführt über den „dokumentarischen“ gegen den „synthetischen“ Film – etwa die bekannte Diskussion zwischen Klaus Wildenhahn und Klaus Kreimeier darüber, in welchem Maß im Dokumentarfilm eingegriffen und modelliert werden darf. Man hatte damals das Gefühl etwas zu klären und ich glaube, dass man sich daran immer noch abarbeitet, nur teilweise unter ganz neuen Voraussetzungen. Da gibt es einen großen historischen Fundus an Diskursen. Vor dem Hintergrund dieses Fundus wurde in Duisburg in ja auch immer eine Geschichte des Ruhrgebiets erzählt. Das ist nichts unbedingt Neues, aber liegt mir sehr am Herzen: Der zweite, strukturelle Aspekt, der anders sein wird, ist, dass ich mich als Teil des Auswahlgremiums sehe und inhaltlich mit über das Filmprogramm entscheide.
Du hast gerade die letztjährige Filmwoche angesprochen. Wie war die Planung unter den Bedingungen, welche Lehren konntet ihr daraus ziehen?
Letztes Jahr gab es die Idee eines Satellitenprogramms: Wir wollten während der Filmwoche in anderen Kinos in Deutschland, Österreich und der Schweiz Filme zeigen. Den Leuten entgegenkommen. Aufgrund des Lockdowns hat das nicht geklappt, also mussten wir kurzfristig auf online umsteigen. Zusätzlich zum digitalen Filmprogramm gab es dann ein diskursives Angebot mit Essays und Debatten zu den einzelnen Filmen. Das sind gute und wertvolle Ideen und Erfahrungen, deren Weiterentwicklung sich absolut lohnt. Selbst in der Kontinuität steckt also noch Innovation drin.
Wie definierst du den Kern der Filmwoche?
Dadurch, dass sie sich in ihrem Format nicht verändert hat, wird sie eigentlich immer zeitgemäßer. Diese Idee, dass man sich konzentriert, ist wichtig. Nicht nur jede*r im Saal auf den Film an sich, sondern auch dadurch, dass man eine reduzierte Filmauswahl hat, dass die Leute, die beim Festival sind, die Möglichkeit haben sich über die Filme auszutauschen, weil alle dieselben Werke gesehen haben. Bei dem aktuellen Überangebot von Bildern fällt an anderer Stelle das Sprechen über diese Bilder oft aus und genau da setzt unser Festival an. Diese Wechselwirkung von gemeinsam und für sich, von Bild und Rede, die scheint mir sehr zeitgemäß zu sein. Deshalb hoffe ich sehr, dass die Duisburger Filmwoche vor Ort stattfinden kann. Ein Festival, das genau dieses Format hat, verliert besonders viel, wenn es in den virtuellen Raum getragen werden muss. Diese Art von Öffentlichkeit, von Diskurs, von Partizipation ist nicht auf eine Situation übertragbar, in der man mehr oder weniger fest vorm Bildschirm sitzt. Wir arbeiten natürlich daran, digitale Angebote zu machen, aber ich wünsche mir ein Präsenzfestival. Ich schätze die gemeinsame, unmittelbare Verständigung über Film, direkt wenn man aus dem Kino kommt, wenn man sich ohne vorgefertigte Meinung zusammen an den Film herantastet. Der geteilte Raum und die geteilte Zeit sind eigentlich essentiell für ein Festival.
Beiträge für die diesjährige Filmwoche können inzwischen eingereicht werden. Alles zu dem Procedere und alle weiteren Infos zum Festival gibt es auf der Homepage der Filmwoche.
Ende April berichtete die Stadt Duisburg, dass der Kölner Alexander Scholz in diesem Jahr als Kurator die Leitung des renommierten Dokumentarfilm-Festivals Duisburger Filmwoche übernimmt. Scholz arbeitet als Autor und Redakteur für verschiedene Kulturinstitutionen in NRW. Er arbeitet seit 2018 mit dem Filmforum im Rahmen des Filmprogramms der Duisburger Akzente zusammen und ist seit 2019 als Dozent an der ifs internationalen filmschule köln tätig. Zudem ist der bereits seit Jahren schon für die Filmwoche tätig und kuratiert die diesjährige Ausgabe laut Pressemitteilung zusammen mit einem „Team, das sich aus alten und einigen neuen Freundinnen und Freunden des Festivals zusammensetzt“. Wir sprachen mit ihm über seinen Werdegang, den Archivgedanken der Duisburger Filmwoche und die Durchführung von Festivals unter Pandemiebedingungen.
Hallo Alex, du bist ja bei der Duisburger Filmwoche kein Unbekannter. Kannst du unseren Lesern mitteilen, was du genau für das Festival zuvor getan hast?
Das erste Mal war ich 2013 auf dem Festival als Protokollant eingeladen. Bei der Filmwoche ist es ja so, dass die Diskussionen nach den Filmen gleichwertig zu den Filmen behandelt werden. Die Protokollanten sind Journalisten, Filmwissenschaftler, Studierende etc., die am Archiv der Filmwoche mitarbeiten und die Frage des Dokumentarischen verdoppeln, indem sie diese Gespräche aufzeichnen. 2013 und 2014 war ich Autor solcher Protokolle und habe das Interesse am Dokumentarfilm, das während meiner Zeit als Autor bei der Filmzeitschrift „Schnitt“ geweckt wurde, noch weiter entwickelt. Bei der Filmwoche hat der Dokumentarfilm für mich quasi endgültig gezündet.
Als Protokollant nimmt man gewissermaßen passiv an den Diskussionen teil, indem man sie aufzeichnet und zu einem gewissen Grad seine eigene Meinung in die Niederschrift einbringt. Nach diesen zwei Jahren hat mich der damalige Festivalleiter Werner Ružička gefragt, ob ich den frei werdenden Posten des Pressereferenten für die Filmwoche übernehmen wollte. Das habe ich dann von 2015 bis einschließlich 2019 gemacht. Während der Pressearbeit war ich immer auch darüber hinaus im Team involviert, habe als Programmberater gearbeitet, an den Sichtungen teilgenommen, während derer die Diskussionen des Festivals auf andere Weise schon vorweggenommen werden, und beim Festival selbst Filmgespräche geführt. 2017 habe ich gemeinsam mit Werner Ružička für die Filmwoche einen Band namens „AusSichten. Öffentliches Reden über Dokumentarfilm“ herausgegeben, in dem es vor allem um den Kern der Filmwoche ging: Das Reden über Dokumentarfilm, in welcher Öffentlichkeit dies geschieht und wie es sich verändert hat. Zum damaligen Jubiläum der Filmwoche wollten wir ergründen, wie sich genau diese Diskurse verändert haben. Damit bin ich gemeinsam mit den Autoren und Autorinnen noch tiefer in das Ganze eingedrungen.
2019 habe ich angefangen an dem Protokolle-Archiv der Filmwoche zu arbeiten. Das Online-Archiv der Protokolle wurde verschlagwortet, neu aufgebaut und einen Blog eingerichtet. Gewissermaßen schloss sich der Kreis: Ich habe mich wieder mit dem beschäftigt, womit ich bei dem Festival begann. Das Online-Archiv wurde übrigens 2011 von Sven Ilgner ins Leben gerufen, der in Köln ja auch kein Unbekannter ist. Auf diese Weise habe ich mich auch noch einmal sehr intensiv mit der Geschichte des Festivals und seinen Filmen beschäftigt. Neben den Filmdiskussionen, die später eben nicht mehr protokolliert, sondern selbst geführt habe, war dies mein tiefstes Eindringen in das Festival. Ich bin also mit vielen Facetten der Filmwoche vertraut.
Du sprachst gerade den „Schnitt“ an. Erzähl doch von deinem filmjournalistischen bzw. filmwissenschaftlichen Werdegang vor der Filmwoche.
Ich kam 2009 als Praktikant zu dem mittlerweile eingestellten Magazin. Während meines Literaturstudiums in Bonn und Paris wurde das Interesse geweckt, sich noch einmal näher und vielleicht auch anders mit Film auseinanderzusetzen. Ich nahm ein Urlaubssemester, um ein halbjähriges Praktikum zu machen. Gleich die zweite Ausgabe, an der ich mitarbeitete, drehte sich um den Dokumentarfilm. Außerdem ging aus dem „Schnitt“ ja 1999 das Montage-Festival Filmplus, inzwischen Edimotion, hervor und eigentlich alle Redakteure und Autoren waren immer noch bei Filmplus involviert – dort habe ich frühzeitig Festivalluft schnuppern können. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass das Schreiben über Film, die Auseinandersetzung mit Film auf Festivals und die Frage danach, wie man Film auf Festivals vermittelt, etwas ist, das mich sehr interessiert. Seitdem bin ich beim Schreiben über Film und beim Machen von Festivals geblieben.
Wie bist du neuer Kurator der Duisburger Filmwoche geworden?
Als Werner Ružička 2019 nach 34 Jahren in den Ruhestand ging, gab es eine Veränderung zu Gudrun Sommer und Christian Koch. Gudrun hatte zu dem Zeitpunkt schon lang das Partnerfestival doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche geleitet, gemeinsam haben sie die Doppelspitze für beide Festivals übernommen. Sie hatten einen Vertrag über zwei Jahre, der in diesem Jahr auslief. Beide haben sich entschieden, ihre Verträge nicht zu verlängern. Die Stadt suchte dann jemanden, der die Leitung der Filmwoche für ein Jahr übernimmt. Es sollte jemand sein, der das Festival und die Partner gut kennt und Kontinuität verkörpert. Dieses Profil traf auf mich zu, da ich sowohl unter Werner als auch unter Gudrun und Christian vielfältige Aufgaben bei der Filmwoche übernommen hatte.
Wo siehst du dich in der Kontinuität zu deinen Vorgängern?
In diesem Jahr geht es vor allem darum, sich auf den Kern der Filmwoche zu konzentrieren. Für mich steht im Vordergrund im November ein Festival durchzuführen, in dem das Zeigen von und das Sprechen über Dokumentarfilm möglich ist. Das ist das Zentrum der Filmwoche: Dass es keine Parallelvorführungen gibt, dass ein gemeinsames Gespräch über den Film stattfindet, dass dieses protokolliert wird. Es ist ein Format, an dem ich keinesfalls rütteln will. Alle bisherigen Festivalleiter:innen haben erkannt, dass dieser Grundsatz nicht in Frage gestellt werden darf. Also sehe ich mich da in einer Kontinuität.
Ich finde, dass die Auswahlkommission in den letzten zwei Jahren, in der Art wie sie Filme selektiert und Gespräche geführt hat, dem Festival etwas Wertvolles hinzugefügt hat. Aufgrund der Expertise, der Eingeschworenheit und der Solidarität zum Festival in dieser Gruppe, will ich weiter mit ihnen zusammenarbeiten. Auch aufgrund der Filmauswahl, die sie getroffen haben.
Willst du auch eigene Akzente setzen?
Es gibt eine inhaltliche und eine strukturelle Sache, bei der ich Bestehendes vielleicht etwas variieren würde. Inhaltlich geht es mir vor allem um die Auseinandersetzung mit Filmgeschichte und Dokumentarfilmgeschichte, wie sie auf der Filmwoche stattgefunden hat und wie sie archiviert wurde. Ich habe mich, wie bereits gesagt, in den letzten Jahren ja intensiv mit der Historie des Festivals auseinandergesetzt. Darin sehe ich eine Aufgabe von Festivals allgemein: Eine Haltung zu einer Filmgeschichte zu haben, die man selbst mitgeprägt hat. Gerade in diesem Jahr des Übergangs finde ich es sinnvoll, wenn man die Chance nutzt eine Art Rückschau zu machen. Ich glaube zudem, dass man durch einen Blick zurück eine gute Perspektive gewinnen kann, gerade auf aktuelle Diskurse im Dokumentarfilm – man denke an den jüngsten Skandal um Lovemobil. Gerade in den Anfangsjahren wurden in Duisburg heftige Debatten geführt über den „dokumentarischen“ gegen den „synthetischen“ Film – etwa die bekannte Diskussion zwischen Klaus Wildenhahn und Klaus Kreimeier darüber, in welchem Maß im Dokumentarfilm eingegriffen und modelliert werden darf. Man hatte damals das Gefühl etwas zu klären und ich glaube, dass man sich daran immer noch abarbeitet, nur teilweise unter ganz neuen Voraussetzungen. Da gibt es einen großen historischen Fundus an Diskursen. Vor dem Hintergrund dieses Fundus wurde in Duisburg in ja auch immer eine Geschichte des Ruhrgebiets erzählt. Das ist nichts unbedingt Neues, aber liegt mir sehr am Herzen: Der zweite, strukturelle Aspekt, der anders sein wird, ist, dass ich mich als Teil des Auswahlgremiums sehe und inhaltlich mit über das Filmprogramm entscheide.
Du hast gerade die letztjährige Filmwoche angesprochen. Wie war die Planung unter den Bedingungen, welche Lehren konntet ihr daraus ziehen?
Letztes Jahr gab es die Idee eines Satellitenprogramms: Wir wollten während der Filmwoche in anderen Kinos in Deutschland, Österreich und der Schweiz Filme zeigen. Den Leuten entgegenkommen. Aufgrund des Lockdowns hat das nicht geklappt, also mussten wir kurzfristig auf online umsteigen. Zusätzlich zum digitalen Filmprogramm gab es dann ein diskursives Angebot mit Essays und Debatten zu den einzelnen Filmen. Das sind gute und wertvolle Ideen und Erfahrungen, deren Weiterentwicklung sich absolut lohnt. Selbst in der Kontinuität steckt also noch Innovation drin.
Wie definierst du den Kern der Filmwoche?
Dadurch, dass sie sich in ihrem Format nicht verändert hat, wird sie eigentlich immer zeitgemäßer. Diese Idee, dass man sich konzentriert, ist wichtig. Nicht nur jede*r im Saal auf den Film an sich, sondern auch dadurch, dass man eine reduzierte Filmauswahl hat, dass die Leute, die beim Festival sind, die Möglichkeit haben sich über die Filme auszutauschen, weil alle dieselben Werke gesehen haben. Bei dem aktuellen Überangebot von Bildern fällt an anderer Stelle das Sprechen über diese Bilder oft aus und genau da setzt unser Festival an. Diese Wechselwirkung von gemeinsam und für sich, von Bild und Rede, die scheint mir sehr zeitgemäß zu sein. Deshalb hoffe ich sehr, dass die Duisburger Filmwoche vor Ort stattfinden kann. Ein Festival, das genau dieses Format hat, verliert besonders viel, wenn es in den virtuellen Raum getragen werden muss. Diese Art von Öffentlichkeit, von Diskurs, von Partizipation ist nicht auf eine Situation übertragbar, in der man mehr oder weniger fest vorm Bildschirm sitzt. Wir arbeiten natürlich daran, digitale Angebote zu machen, aber ich wünsche mir ein Präsenzfestival. Ich schätze die gemeinsame, unmittelbare Verständigung über Film, direkt wenn man aus dem Kino kommt, wenn man sich ohne vorgefertigte Meinung zusammen an den Film herantastet. Der geteilte Raum und die geteilte Zeit sind eigentlich essentiell für ein Festival.
Beiträge für die diesjährige Filmwoche können inzwischen eingereicht werden. Alles zu dem Procedere und alle weiteren Infos zum Festival gibt es auf der Homepage der Filmwoche.
Nils Bothmann