Als John Huston im Jahr 1987 James Joyce‘ Novelle „The Dead“ verfilmte, stand ihm selbst der Tod vor Augen. An eine Reise nach Irland war aus gesundheitlichen Gründen nicht zu denken, die Dreharbeiten in einem Studio in Kalifornien verfolgte der Regisseur in einem Sauerstoffzelt – noch im selben Jahr starb Huston im Alter von 81 Jahren an Lungenversagen, die Premiere seines Films in Venedig erlebte er nicht mehr. „The Dead“ ist nicht allein eines seiner eindringlichsten Werke, es ist sein Vermächtnis. Und vielleicht ist es deshalb sogar sein triumphal erschütterndster Film.
Pedro Almodóvars „The Room Next Door“ kann sich damit zwar in keiner Weise messen, aber er ist in jeder Hinsicht eine Verbeugung vor Hustons „The Dead“ wie auch vor der Erzählung von Joyce – nicht allein, weil er die Finalszene in Hustons Film in seine eigene Geschichte einbaut und den Monolog der Novelle gleich zweimal zitiert. Vor allem ist „The Room Next Door“ wie „The Dead“ auch eine Reflexion über verpasste Chancen im Leben, und dies im Angesicht des Todes, der seinen Schrecken zwar nicht verliert, aber letztlich doch angenommen wird.
Im Zentrum stehen zwei Freundinnen, die sich lange aus den Augen verloren haben und die das Krebsleiden der einen nun wieder zusammenführt: die Bestsellerautorin Ingrid, die ihren Horror vor dem Tod gerade in einem Buch mit dem Titel „On Sudden Deaths“ zu bewältigen versucht hat, und die legendäre Kriegsreporterin Martha, die für die New York Times ihr Leben aufs Spiel gesetzt hat und nun den letzten Kampf gegen die Krankheit führt. Drunter macht’s der Autor und Regisseur bei der sozialen Stellung seiner Figuren nicht, und entsprechend präsentieren sich Schauplätze und Kostüme. Schöner sterben mit Almodóvar.
Tatsächlich hat „The Room Next Door“ seine unerquicklichen Seiten, zu denen etwa Tilda Swinton zählt, die nicht allein mit viel Pathos stirbt, sondern auch noch als Marthas eigene Tochter auftritt. John Turturro als Ingrids Ex-Mann Damian spielt hingegen großartig, muss aber aus unerfindlichen Gründen dauernd über Sex reden – wohl weil Almodóvar das für die passende Alternative zum Sterben hält.
All das führt den Film gefährlich nah an den Rand des Scheiterns heran, und doch kriegt „The Room Next Door“ immer wieder die Kurve, wenn Almodóvar mit großer Ernsthaftigkeit die Nähe und schließlich die Anwesenheit des Todes beschwört. Zunächst scheinen diese gebannt, als Martha voller Hoffnung eine Therapie beginnt. Als die Heilungsmethode nicht anschlägt, stürzt sie in einen Abgrund, und aus diesem arbeitet sie sich langsam heraus, indem sie zum Entsetzen Ingrids die Freundin bittet, sie bei ihrem Freitod zu begleiten. Sie müsse nur im Zimmer nebenan für sie da sein, mehr verlange sie nicht.
Schauplatz dieses langen letzten Akts ist eine modernistische Luxusvilla in New England, wo Almodóvar einerseits ungehemmt in Ausstattung und Farben schwelgt, sich andererseits ungemein konzentriert in das Verhältnis der beiden Frauen vertieft: Vor allem Julianne Moore als Ingrid gelingt hier eine packende Charakterdarstellung ganz jenseits von lauten Tönen und Übertreibung – sie ist von Furcht und Ablehnung gepackt und will Martha dennoch nicht im Stich lassen. Sie will, dass die Tochter ihre Rolle übernimmt, doch deren Verhältnis zur Mutter ist zerrüttet. Moore bleibt inmitten dieser aufgewühlten Gefühle eine von Grund auf nachdenkliche Person, die von der Entscheidung der Freundin in einen tiefgreifenden moralischen Konflikt gestürzt wird. Sie ist die eigentliche Hauptfigur des Films.
„The Room Next Door“ ist nicht zuletzt eine filmische Theaterbühne, auf der viel dialogisiert wird. In den intensiven Momenten verdichten sich diese Gespräche zu einer Bilanz dessen, was das Leben gebracht hat, was zu Glück oder Unglück beitrug, was es wert war, durchlebt und auch durchlitten zu werden, und wo man versagt hat. Dass ihre Tochter sie hasst, weil sie eine abwesende Mutter war, quält Martha bis in den Tod. Dass sie als Alleinerziehende nicht anders konnte, gilt ihr nicht als Entschuldigung.
Am Ende, als sich Ingrid als Mitwisserin eines Freitods vor einem stockkonservativen Polizeibeamten verantworten muss, gelingt es Almodóvar sogar, den Film in eine politische Dimension zu heben. Auch in dieser Lage gleicht Julianne Moores Ingrid einer der Figuren aus Joyce‘ „Die Toten“ oder aus Hustons Film, die weiß, dass sich im Bewusstsein des Todes alles, aber auch alles relativiert. Wie Hustons „The Dead“ feierte „The Room Next Door“ seine Premiere auf dem Festival in Venedig – hier gewannen der Film den Goldenen und Almodóvar für die Regie den Silbernen Löwen. Dafür dürfte erheblich beigetragen haben, dass sich „The Room Next Door“ in seinen besten Szenen ein Vorbild am Vorgänger nahm.
Frank Olbert
„The Room Next Door“ startet am 24. Oktober 2024 und ist zunächst in folgenden Kölner Kinos zu sehen:
Als John Huston im Jahr 1987 James Joyce‘ Novelle „The Dead“ verfilmte, stand ihm selbst der Tod vor Augen. An eine Reise nach Irland war aus gesundheitlichen Gründen nicht zu denken, die Dreharbeiten in einem Studio in Kalifornien verfolgte der Regisseur in einem Sauerstoffzelt – noch im selben Jahr starb Huston im Alter von 81 Jahren an Lungenversagen, die Premiere seines Films in Venedig erlebte er nicht mehr. „The Dead“ ist nicht allein eines seiner eindringlichsten Werke, es ist sein Vermächtnis. Und vielleicht ist es deshalb sogar sein triumphal erschütterndster Film.
Pedro Almodóvars „The Room Next Door“ kann sich damit zwar in keiner Weise messen, aber er ist in jeder Hinsicht eine Verbeugung vor Hustons „The Dead“ wie auch vor der Erzählung von Joyce – nicht allein, weil er die Finalszene in Hustons Film in seine eigene Geschichte einbaut und den Monolog der Novelle gleich zweimal zitiert. Vor allem ist „The Room Next Door“ wie „The Dead“ auch eine Reflexion über verpasste Chancen im Leben, und dies im Angesicht des Todes, der seinen Schrecken zwar nicht verliert, aber letztlich doch angenommen wird.
Im Zentrum stehen zwei Freundinnen, die sich lange aus den Augen verloren haben und die das Krebsleiden der einen nun wieder zusammenführt: die Bestsellerautorin Ingrid, die ihren Horror vor dem Tod gerade in einem Buch mit dem Titel „On Sudden Deaths“ zu bewältigen versucht hat, und die legendäre Kriegsreporterin Martha, die für die New York Times ihr Leben aufs Spiel gesetzt hat und nun den letzten Kampf gegen die Krankheit führt. Drunter macht’s der Autor und Regisseur bei der sozialen Stellung seiner Figuren nicht, und entsprechend präsentieren sich Schauplätze und Kostüme. Schöner sterben mit Almodóvar.
Tatsächlich hat „The Room Next Door“ seine unerquicklichen Seiten, zu denen etwa Tilda Swinton zählt, die nicht allein mit viel Pathos stirbt, sondern auch noch als Marthas eigene Tochter auftritt. John Turturro als Ingrids Ex-Mann Damian spielt hingegen großartig, muss aber aus unerfindlichen Gründen dauernd über Sex reden – wohl weil Almodóvar das für die passende Alternative zum Sterben hält.
All das führt den Film gefährlich nah an den Rand des Scheiterns heran, und doch kriegt „The Room Next Door“ immer wieder die Kurve, wenn Almodóvar mit großer Ernsthaftigkeit die Nähe und schließlich die Anwesenheit des Todes beschwört. Zunächst scheinen diese gebannt, als Martha voller Hoffnung eine Therapie beginnt. Als die Heilungsmethode nicht anschlägt, stürzt sie in einen Abgrund, und aus diesem arbeitet sie sich langsam heraus, indem sie zum Entsetzen Ingrids die Freundin bittet, sie bei ihrem Freitod zu begleiten. Sie müsse nur im Zimmer nebenan für sie da sein, mehr verlange sie nicht.
Schauplatz dieses langen letzten Akts ist eine modernistische Luxusvilla in New England, wo Almodóvar einerseits ungehemmt in Ausstattung und Farben schwelgt, sich andererseits ungemein konzentriert in das Verhältnis der beiden Frauen vertieft: Vor allem Julianne Moore als Ingrid gelingt hier eine packende Charakterdarstellung ganz jenseits von lauten Tönen und Übertreibung – sie ist von Furcht und Ablehnung gepackt und will Martha dennoch nicht im Stich lassen. Sie will, dass die Tochter ihre Rolle übernimmt, doch deren Verhältnis zur Mutter ist zerrüttet. Moore bleibt inmitten dieser aufgewühlten Gefühle eine von Grund auf nachdenkliche Person, die von der Entscheidung der Freundin in einen tiefgreifenden moralischen Konflikt gestürzt wird. Sie ist die eigentliche Hauptfigur des Films.
„The Room Next Door“ ist nicht zuletzt eine filmische Theaterbühne, auf der viel dialogisiert wird. In den intensiven Momenten verdichten sich diese Gespräche zu einer Bilanz dessen, was das Leben gebracht hat, was zu Glück oder Unglück beitrug, was es wert war, durchlebt und auch durchlitten zu werden, und wo man versagt hat. Dass ihre Tochter sie hasst, weil sie eine abwesende Mutter war, quält Martha bis in den Tod. Dass sie als Alleinerziehende nicht anders konnte, gilt ihr nicht als Entschuldigung.
Am Ende, als sich Ingrid als Mitwisserin eines Freitods vor einem stockkonservativen Polizeibeamten verantworten muss, gelingt es Almodóvar sogar, den Film in eine politische Dimension zu heben. Auch in dieser Lage gleicht Julianne Moores Ingrid einer der Figuren aus Joyce‘ „Die Toten“ oder aus Hustons Film, die weiß, dass sich im Bewusstsein des Todes alles, aber auch alles relativiert. Wie Hustons „The Dead“ feierte „The Room Next Door“ seine Premiere auf dem Festival in Venedig – hier gewannen der Film den Goldenen und Almodóvar für die Regie den Silbernen Löwen. Dafür dürfte erheblich beigetragen haben, dass sich „The Room Next Door“ in seinen besten Szenen ein Vorbild am Vorgänger nahm.
Frank Olbert
„The Room Next Door“ startet am 24. Oktober 2024
und ist zunächst in folgenden Kölner Kinos zu sehen:
* Cinenova
* Odeon
* Residenz
* Off-Broadway