Allgemein Filmkritik

Filmkritik: The Outrun

In „The Outrun“ kehrt eine junge Frau nach Jahren eines Selbstzerstörungstrips in ihre Heimat auf den rauen Orkneyinseln vor Schottland zurück. Nora Fingscheidts Verfilmung von Amy Liptrots Bestseller verbindet in beeindruckenden Bildern die gewaltige Natur mit Ronas innerem Kampf gegen ihre Dämonen. Ein eindringliches Indie-Drama, das nachhaltig bewegt.

Es ist eine kleine Insel, vor einer Insel, vor einer großen Insel, die Schottland heißt. Nach mehr als zehn Jahren kehrt Rona in ihre Heimat auf den entlegenen Orkneyinseln zurück. Während sie die einzigartige, raue Landschaft, in der sie aufgewachsen ist, wiederentdeckt, vermischen sich ihre Kindheitserinnerungen mit solchen aus der letzten, von Sucht geprägten Zeit. Ihr damaliger Aufbruch in die Stadt und die folgenden ausschweifenden Jahre in London mündeten in einem schmerzhaften Absturz. Doch nach und nach wird die Begegnung mit den verwunschenen, windgepeitschten Küsten der Inseln zu einer Chance auf ein neues Leben.

Nora Fingscheidts Adaption von Amy Liptrots autobiografischem Bestseller blickt in erschütternden Rückblenden aus dem Leben ihrer Protagonistin auf die Abwärtsspirale, die von Alkoholabhängigkeit angekurbelt wird und auf die Folgen und Konsequenzen dessen. Mit „Systemsprenger“ hat Nora Fingscheidt 2019 bereits bewiesen, dass sie raue und unbändige Charaktere besonders gut zu zeichnen weiß. Hier zeigt sie ihr Talent gleich an zwei verschiedenen Protagonist:innen: die unbändige Rona, die aus allem wütend ausbricht und gegen ihre eigenen Dämonen kämpft und die Insel als eigene Figur, die unerschrockenen den Wind toben lässt und deren Wellen lautstark an der Brandung zerschellen.

Die Insel bleibt bestätig unbestätig, sie wütet und tobt. Doch in dem Verhältnis zur Natur macht Rona ihre Entwicklung durch. Wir begegnen ihr zu Beginn des Films noch geistesabwesend und betrunken in den Bars von London. Sie ist gezeichnet vom Nachtleben und Alkoholkonsum. Die Abhängigkeit treibt sie hinab in einen Strudel aus Gewalt, Selbstverletzung und Isolation. Unglaublich stark gespielt von Saoirse Ronan werden ihre Gefühlswelt und ihr Kampf für jede:n Zuschauer:in spürbar. Ihr Partner trennt sich, ihre Freund:innen entfernen sich.

Unten angekommen entscheidet Rona, zurück auf ihre Heimatinsel Orkney zu ihren Eltern zu verschwinden, um einen Weg aus der Alkoholsucht zu finden. Doch auch bei ihren getrenntlebenden Eltern scheinen die Wunden der Vergangenheit noch tief zu sein. Während Ronas Mutter die Ausflucht in den christlichen Glauben genommen hat, kämpft Ronas Vater mit starken psychischen Problemen, mit denen er sich in den Wohnwagen auf seiner Schafsfarm zurückgezogen hat. Umgeben von den Verletzungen, die Rona hinterlassen hat, beschließt sie endgültig, noch weiter in die Isolation der Insel zu gehen, sich einen Alltag zu schaffen und dem Rhythmus des Windes und der Wellen zu folgen.

Und diese Verwebung zwischen Naturdokumentation und Indie-Drama ist, was „The Outrun“ so außergewöhnlich macht. Als eigener Hauptprotagonist wird die Insel in zahlreichen Aufnahmen inszeniert, über die Rona wie der Wind fegt. Beide sind rau, laut, kraftvoll und betäubend. Da wundert es nicht, dass “Rona”, ein Wort das aus dem Altnordischen stammt, soviel wie raue Insel heißt.

Im Einklang mit dem Wind, den Wellen und dem Wetter findet Rona ihren Rhythmus. Sie ergibt sich, lässt sich leiten von den Bewegungen der Insel und nutzt den unendlichen Raum dieses menschenarmen Ortes um ihren Körper in Bewegung zu bringen. Dabei wird sie stets beobachtet von den heimischen Robben, eine Art Kontrollinstanz in Ronas Entzugsweg. Auf Orkney Island heißt es, dass die Seelen ertrunkener Menschen sich in Seehunde verwandeln und Rona, taumelnd zwischen der Welt der Lebenden und Toten, scheint mit ihnen ein Geheimnis teilen.

„The Outrun“ traut sich, Mythos und Romantik mit Coming of Age und Arthousekino zu verbinden. Nora Fingscheidt schreckt nicht vor der Darstellung großer Gefühle, epischer Momente und dramatischen Szenen zurück. Aber es sind die kleinen Zwischenmomente, die zwischen Natur und Mensch stattfinden, die in diesem Film so besonders machen. Eine mutige Adaption, die man so schnell nicht vergisst.

Lena Mrachacz

Der Film wird zum Kinostart am 5. Dezember 2024 im OFF Broadway Kino zu sehen sein.

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