Als Thomas Hutter von seinem Chef zum Schloss des Grafen Orlok nach Transsilvanien geschickt wird, um mit ihm den Vertrag für ein Haus in seinem Dorf Wisborg auszuhandeln, beginnt sich die Welt des Grusels und Horrors aufzutun. Auf Orloks – besser bekannt als Nosferatu – Schloss angekommen, wird klar, dass dieser Herr kein gewöhnlicher alter Mann ist: Fieberträume und schockierende Ereignisse treiben Hutter umher, bis er endlich fliehen kann. Doch der Vertrag ist bereits unterschrieben, Nosferatu auf dem Weg nach Deutschland und auf der Jagd nach Hutters Frau Ellen, die bereits in jungen Jahren Bekanntschaft mit ihm gemacht hat und die die Erinnerung nie ganz ablegen konnte.
Auch sie treiben bereits seit Jahren Fieberträume und Halluzinationen umher, die Ärzte nehmen an, es sei Hysterie, Wahnvorstellungen, weibliche Paranoia. Nur Professor Albin Eberhart von Franz nimmt ihre Obsession ernst und erkennt sie als das an, was sie ist: eine Verbindung aus Begierde und Abscheu zwischen Nosferatu und Ellen, die immer intensiver wird und die nur von ihr aufgehalten werden kann.
Aber über welchen Film reden wir hier eigentlich? Denn so oder so ähnlich könnte auch die Synopsis für den 1922 erschienen NOSFERATU – SYMPHONIE DES GRAUENS von Friedrich Wilhelm Murnau aussehen, aus dem Robert Eggers seine Geschichte um Nosferatu fast eins zu eins übernimmt. Dieses Original, was bereits zahlreiche Male adaptiert und interpretiert wurde, gilt als einer der ersten Horrorfilme und hat seither großen Einfluss auf das Genre und die visuelle Gestaltung von Gruselfilmen. Und er gilt als eines der wichtigsten Werke der Weimarer Republik. Und das, obwohl alle Originalkopien 1925 nach einem Urheberrechtsstreit zerstört werden sollten. Denn NOSFERATU bediente sich zu großen Teilen aus Bram Stokers Roman Dracula aus dem Jahr 1897. Die Namen wurden geändert, das Wort Dracula erscheint nicht, und dennoch erkennen wir alle die Figur des Vampiren aus Transsilvanien.
Aber was ist neu?
Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs wurde NOSFERATU 1922 als Sinnbild politischer Diktatur interpretiert. Sein tyrannisches Wesen wird auf die fehlende Liebe in seinem Leben bezogen und andere sehen in Murnaus Film einen autobiographischen Kern in der Verarbeitung Murnaus eigener Homosexualität durch die sexuelle Konnotiation des Nosferatu. All dies scheint 2024 nicht mehr aktuell zu sein und doch entscheidet sich Robert Eggers für eine Adaption, die so nahe am Original liegt, dass man sich intensiv fragen muss, was nun eigentlich neu war.
Auf visueller Ebene spielt Robert Eggers so schnell niemand den Rang ab. Atemberaubend schön sind die Szenen bei Nacht im Wald, wenn der Schnee beginnt zu fallen. Ebenso beeindruckend jener Moment, in dem Nosferatus Hand als Schatten über das Dorf fliegt. Jede Szene ist ein visuelles Meisterwerk, das Kostüm ist makellos und die Wechsel zwischen der fast schwarz-weiß wirkenden Nacht und den Aufnahmen, die mehr Farbigkeit aufweisen sind so fließend, dass man sie nicht bemerkt, bevor man schon in der Szene verloren ist. Die Kameraarbeit und Inszenierung fesseln die Zuschauenden fest in ihren Stühlen.
Eine Frage der sexuellen Unterdrückung
Doch wie interpretieren wir den Inhalt? Neben den vielen filmischen Themen, die so aus dem Original übernommen wurden, hat vor allem ein Thema stark zugenommen: die sexuelle Begierde. Das Bild der unschuldigen Jungfrau, die die Stadt vor der Pest retten kann, ist geblieben. Sie unterdrückt ihre Sexualität, ihr Verlangen und ihre Begierde, um das idyllische Bild der Ehe mit ihrem Neuvermählten aufrechtzuerhalten. Auch dies stammt aus dem Originalfilm. Doch Robert Eggers geht noch weiter. So bezeichnet Ellen Nosferatu als ihre eigene Scham, die schon immer da war. Sie wird gleichgesetzt mit dem Übel, was Nosferatu ins Land bringt.
Die Pest steht sinnbildlich für das Verderben der Frau, was einhergeht mit sexuellem Verlangen. Nur sie kann es aufhalten, nur sie kann es beenden, indem sie sich opfert. Die “böse Frau” muss entfernt werden. Die Gefahr ist zu groß, dass sie andere ansteckt. Ob dieses Bild noch zeitgemäß ist und in einer Adaption aus dem Jahr 2024 Platz finden sollte, ist fraglich. Spannend hingegen ist die neu hinzugefügte nächtliche Szene, in der Nosferatu den sexuellen Akt mit Hutter vollzieht. Halb Fiebertraum, halb Romantik-Thriller sehen wir, wie Nosferatu vor dem Kamin auf Hutter sitzt und sehr klar interpretierbare Bewegungen macht. Als Neuinterpretation der im Originalwerk verarbeiteten Thematik der Homosexualität sehr spannend, denn auch wenn Nosferatu nie einem Geschlecht zugeordet wurden ist, so weisen seine äußerlichen Attribute doch auf ein männliches Selbstbild hin.
Nichtsdestotrotz ist auch diese Szene eine aus vielen, die im Film sexuellen Missbrauch darstellen: Nosferatu an Hutter, Nosferatu möglicherweise auch an Ellen, Friedrich Harding an seiner verstorbenen Frau, und auch Hutter und Ellen bekommen eine Sexszene, die sich nicht ganz einordnen lässt. Sexuelle Begierde wird mit sexueller Übergriffigkeit und dem sexuellen Abgrund in Robert Eggers Interpretation gleichgesetzt.
Fazit
Die weibliche Begierde als schamvolles Übel, die Pest, die vom Ausländer ins Land gebracht wird, die makellose Ehe zwischen Mann und Frau, die durch nichts angegriffen und in Frage gestellt werden darf, all das sind Themen, die man in einer Neuverfilmung hofft neu interpretiert zu sehen. Nicht mal die Frage zwischen Aberglaube und Wissenschaft wird hier neu aufgemacht. Obwohl Robert Eggers bekannt ist für seine spanned neue Darstellung der Rolle des wahnsinnigen Mannes, wie in DER LEUCHTTURM, der 2019 erschien und trotz seinen zahlreichen Vergleichen mit vorherigen Werken – auch aus der Stummfilmzeit – nicht an Originalität verloren hat, hält er in NOSFERATUR – DER UNTOTE wahnsinnig konservativ am Originalmaterial fest.
Lena Mrachacz
NOSFERATU – DER UNTOTE USA 2024, Laufzeit: 132 Min., FSK 16 Regie: Robert Eggers
Ab 2. Januar in den Kölner Kinos: Cinedom, Cinenova, Filmpalast, Lichtspiele Kalk, OFF Broadway, Rex am Ring
Als Thomas Hutter von seinem Chef zum Schloss des Grafen Orlok nach Transsilvanien geschickt wird, um mit ihm den Vertrag für ein Haus in seinem Dorf Wisborg auszuhandeln, beginnt sich die Welt des Grusels und Horrors aufzutun. Auf Orloks – besser bekannt als Nosferatu – Schloss angekommen, wird klar, dass dieser Herr kein gewöhnlicher alter Mann ist: Fieberträume und schockierende Ereignisse treiben Hutter umher, bis er endlich fliehen kann. Doch der Vertrag ist bereits unterschrieben, Nosferatu auf dem Weg nach Deutschland und auf der Jagd nach Hutters Frau Ellen, die bereits in jungen Jahren Bekanntschaft mit ihm gemacht hat und die die Erinnerung nie ganz ablegen konnte.
Auch sie treiben bereits seit Jahren Fieberträume und Halluzinationen umher, die Ärzte nehmen an, es sei Hysterie, Wahnvorstellungen, weibliche Paranoia. Nur Professor Albin Eberhart von Franz nimmt ihre Obsession ernst und erkennt sie als das an, was sie ist: eine Verbindung aus Begierde und Abscheu zwischen Nosferatu und Ellen, die immer intensiver wird und die nur von ihr aufgehalten werden kann.
Aber über welchen Film reden wir hier eigentlich? Denn so oder so ähnlich könnte auch die Synopsis für den 1922 erschienen NOSFERATU – SYMPHONIE DES GRAUENS von Friedrich Wilhelm Murnau aussehen, aus dem Robert Eggers seine Geschichte um Nosferatu fast eins zu eins übernimmt. Dieses Original, was bereits zahlreiche Male adaptiert und interpretiert wurde, gilt als einer der ersten Horrorfilme und hat seither großen Einfluss auf das Genre und die visuelle Gestaltung von Gruselfilmen. Und er gilt als eines der wichtigsten Werke der Weimarer Republik. Und das, obwohl alle Originalkopien 1925 nach einem Urheberrechtsstreit zerstört werden sollten. Denn NOSFERATU bediente sich zu großen Teilen aus Bram Stokers Roman Dracula aus dem Jahr 1897. Die Namen wurden geändert, das Wort Dracula erscheint nicht, und dennoch erkennen wir alle die Figur des Vampiren aus Transsilvanien.
Aber was ist neu?
Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs wurde NOSFERATU 1922 als Sinnbild politischer Diktatur interpretiert. Sein tyrannisches Wesen wird auf die fehlende Liebe in seinem Leben bezogen und andere sehen in Murnaus Film einen autobiographischen Kern in der Verarbeitung Murnaus eigener Homosexualität durch die sexuelle Konnotiation des Nosferatu. All dies scheint 2024 nicht mehr aktuell zu sein und doch entscheidet sich Robert Eggers für eine Adaption, die so nahe am Original liegt, dass man sich intensiv fragen muss, was nun eigentlich neu war.
Auf visueller Ebene spielt Robert Eggers so schnell niemand den Rang ab. Atemberaubend schön sind die Szenen bei Nacht im Wald, wenn der Schnee beginnt zu fallen. Ebenso beeindruckend jener Moment, in dem Nosferatus Hand als Schatten über das Dorf fliegt. Jede Szene ist ein visuelles Meisterwerk, das Kostüm ist makellos und die Wechsel zwischen der fast schwarz-weiß wirkenden Nacht und den Aufnahmen, die mehr Farbigkeit aufweisen sind so fließend, dass man sie nicht bemerkt, bevor man schon in der Szene verloren ist. Die Kameraarbeit und Inszenierung fesseln die Zuschauenden fest in ihren Stühlen.
Eine Frage der sexuellen Unterdrückung
Doch wie interpretieren wir den Inhalt? Neben den vielen filmischen Themen, die so aus dem Original übernommen wurden, hat vor allem ein Thema stark zugenommen: die sexuelle Begierde. Das Bild der unschuldigen Jungfrau, die die Stadt vor der Pest retten kann, ist geblieben. Sie unterdrückt ihre Sexualität, ihr Verlangen und ihre Begierde, um das idyllische Bild der Ehe mit ihrem Neuvermählten aufrechtzuerhalten. Auch dies stammt aus dem Originalfilm. Doch Robert Eggers geht noch weiter. So bezeichnet Ellen Nosferatu als ihre eigene Scham, die schon immer da war. Sie wird gleichgesetzt mit dem Übel, was Nosferatu ins Land bringt.
Die Pest steht sinnbildlich für das Verderben der Frau, was einhergeht mit sexuellem Verlangen. Nur sie kann es aufhalten, nur sie kann es beenden, indem sie sich opfert. Die “böse Frau” muss entfernt werden. Die Gefahr ist zu groß, dass sie andere ansteckt. Ob dieses Bild noch zeitgemäß ist und in einer Adaption aus dem Jahr 2024 Platz finden sollte, ist fraglich. Spannend hingegen ist die neu hinzugefügte nächtliche Szene, in der Nosferatu den sexuellen Akt mit Hutter vollzieht. Halb Fiebertraum, halb Romantik-Thriller sehen wir, wie Nosferatu vor dem Kamin auf Hutter sitzt und sehr klar interpretierbare Bewegungen macht. Als Neuinterpretation der im Originalwerk verarbeiteten Thematik der Homosexualität sehr spannend, denn auch wenn Nosferatu nie einem Geschlecht zugeordet wurden ist, so weisen seine äußerlichen Attribute doch auf ein männliches Selbstbild hin.
Nichtsdestotrotz ist auch diese Szene eine aus vielen, die im Film sexuellen Missbrauch darstellen: Nosferatu an Hutter, Nosferatu möglicherweise auch an Ellen, Friedrich Harding an seiner verstorbenen Frau, und auch Hutter und Ellen bekommen eine Sexszene, die sich nicht ganz einordnen lässt. Sexuelle Begierde wird mit sexueller Übergriffigkeit und dem sexuellen Abgrund in Robert Eggers Interpretation gleichgesetzt.
Fazit
Die weibliche Begierde als schamvolles Übel, die Pest, die vom Ausländer ins Land gebracht wird, die makellose Ehe zwischen Mann und Frau, die durch nichts angegriffen und in Frage gestellt werden darf, all das sind Themen, die man in einer Neuverfilmung hofft neu interpretiert zu sehen. Nicht mal die Frage zwischen Aberglaube und Wissenschaft wird hier neu aufgemacht. Obwohl Robert Eggers bekannt ist für seine spanned neue Darstellung der Rolle des wahnsinnigen Mannes, wie in DER LEUCHTTURM, der 2019 erschien und trotz seinen zahlreichen Vergleichen mit vorherigen Werken – auch aus der Stummfilmzeit – nicht an Originalität verloren hat, hält er in NOSFERATUR – DER UNTOTE wahnsinnig konservativ am Originalmaterial fest.
Lena Mrachacz
NOSFERATU – DER UNTOTE
USA 2024, Laufzeit: 132 Min., FSK 16
Regie: Robert Eggers
Ab 2. Januar in den Kölner Kinos:
Cinedom, Cinenova, Filmpalast, Lichtspiele Kalk, OFF Broadway, Rex am Ring