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Vom Leben und Tod – im Odeon-Kino

Golrokh Esmaili ist Journalistin und Trauerbegleiterin und startet am 7. Mai eine neue Filmreihe im Odeon-Kino über eines der letzten großen Tabus: den Tod. Im Interview erzählt sie von ihrer Arbeit, persönlichen Erfahrungen – und warum der Kinosaal ein guter Ort sein kann, um sich essentiellen Fragen zu öffnen.

Von Frank Olbert.


Im Kölner Odeon-Kino startet am 7. Mai eine neue Filmreihe zum Thema Sterben, Tod und Trauer. Kuratorin ist Golrokh Esmaili, die als Trauerbegleiterin arbeitet und der Überzeugung ist, dass der Tod zum Leben dazugehört und nicht tabuisiert werden sollte. Den Auftakt der Reihe macht der isländische Film „Wenn das Licht zerbricht“, der danach einen regulären Kinostart hat. Im Interview spricht Golrokh Esmaili über ihren Beruf und die von ihr zusammengestellte Filmreihe.  

Golrokh Esmaili, Foto: privat

Golrokh, beschreibe doch bitte mal Deinen Beruf: Was macht eine Trauerbegleiterin?
Golrokh Esmaili: Die Überschrift von Lisa, meiner Kollegin vom Trostteam und mir lautet: Wir können das Schicksal nicht ändern, aber den Umgang damit erleichtern. Als Trauerbegleiter:innen unterstützen wir Menschen, die Freunde oder Familie verloren haben, indem wir den Blick auf die positiven, lebenswerten Seiten zu lenken versuchen, die es trotz der Trauer immer noch gibt.

Was bedeutet das konkret?
Es gibt ein schönes Bild: Um die schwarze Trauer liegt ein Gefäß, das im Laufe der Trauerverarbeitung immer größer wird. Die Trauer bleibt, und man muss lernen, mit ihr zu leben – doch der Raum um sie herum wächst mit der Zeit.

Wie bist Du zu diesem Beruf gekommen?
Ich bin Erzieherin, habe dann aber Online-Journalismus studiert und arbeite unter anderem für das Familienmagazin Känguru – aber besonders interessiert haben mich immer die Themen Sterben, Tod und Trauer. Das sind Themen, die gerade in dem Background, aus dem ich stamme – meine Familie kommt aus dem Iran –, noch mehr tabuisiert werden als zum Beispiel in Deutschland. Auch in Europa unterliegt es einem Tabu, doch im Nahen und Mittleren Osten geschieht das noch stärker. In diesen Bereich vorzudringen, war mir immer ein Bedürfnis.

Wirst Du erst dann aktiv, wenn Angehörige oder Freunde bereits gestorben sind, oder auch schon, wenn der Prozess des Sterbens noch andauert?
Beides. Sehr hilfreich ist es, wenn wir bereits vor dem Zeitpunkt des Todes mit einbezogen werden, wie etwa zuletzt bei einem siebenjährigen Mädchen, dessen Mutter im Sterben lag. In diesem Fall konnte ich Brücken bauen, zum Beispiel dadurch, dass wir auf einem Kissen Handabdrücke von Mutter und Kind gemacht haben – dieses Kissen trägt die Tochter nun bei sich und schläft auch damit ein.

Könntest Du weitere Beispiele für Trauerbegleitung nennen?
Zum Beispiel begleite ich Paare, die während der Schwangerschaft das Kind verloren haben. Oder es gibt die Fälle erschwerter Trauer, etwa bei Geflüchteten, deren gestorbene Angehörige im Heimatland zurückgeblieben sind – diese Menschen besitzen gar keinen Ort mehr für ihre Trauer.

Nun kuratierst Du eine Filmreihe über Sterben, Tod und Trauer. Ist Film ein gutes Medium, um sich diesen Fragen zu nähern?
Jede Möglichkeit, über diese Themen zu sprechen, ist eine gute Möglichkeit. Wir alle sind vom Tod betroffen, oder wir werden es einmal sein. Doch das Thema wird an den Rand gedrängt, und es in die Mitte zu holen, ist mein Anliegen – die emotionale Kraft des Films eignet sich dafür sehr.  Außerdem bin ich dem Medium etwa über mein Engagement für das Iranische Filmfestival verbunden. Ich mache auch schon seit Jahren Social Media Marketing für iranische Filme, die in Deutschland gezeigt werden.

Für die Reihe belässt Du es nicht bei der Filmvorführung …
… danach gibt es Gespräche mit Menschen, die Ahnung vom Thema haben.

Also keine Filmkritiker.
Der einzige Kritiker, der zugelassen wird, ist mein Freund Amin Farzanefar. Ihn habe ich gefragt, ob er sich vorstellen kann, im Anschluss an den Film „The Farewell“ ein Gespräch mit mir zu führen, denn es soll um interkulturelle Trauer gehen, und das ist eines meiner Steckenpferde.

Hattest Du selbst ein prägendes Erlebnis im Zusammenhang mit dem Sterben?
Meine Tante ist früh gestorben, ich selbst war gerade Achtzehn. Meine Familie hat mir nicht erzählt, dass sie sterben wird. Ich wusste zwar, dass sie krank war, aber man hat mir die Wahrheit verschwiegen. Ihr Tod kam für mich deshalb sehr überraschend, das hat mich regelrecht umgehauen. Das hat mich geprägt, denn einen solchen Umgang mit dem Tod möchte ich nicht. Ich möchte nicht lügen und ich möchte auch nicht angelogen werden.

War das auch der Grund für die Berufswahl?
Das Interesse war vorher schon da. Ich habe mich mit meinem Vater immer um die Todesanzeigen in der Zeitung geprügelt, weil ich es so spannend fand, wie Menschen sich von ihren Liebsten verabschieden. Und was liest man zwischen den Zeilen? Was war das für ein Mensch?

Dass die Wahrheit verschwiegen wird, darum geht es auch in „The Farewell“, ein amerikanisch-chinesischer Film von Lulu Wang.
Das ist mein Favorit, muss ich sagen – ein lustiger, witziger Film. Die Oma ist lebensverkürzend erkrankt, aber niemand sagt es ihr – stattdessen wird eine riesige Hochzeit inszeniert, und nur die Nichte in New York macht da nicht mit. Das ist typisch für den Nahen und den Fernen Osten: Oftmals wissen die Betroffenen nicht, dass sie sterben werden. Im Iran gibt es keine Palliativversorgung, keine Hospize. Alles ist ausgerichtet auf das Überleben, selbst wenn Du nicht mehr überleben kannst. Wo man hier zur Palliativversorgung übergehen würde, wird dort weitergemacht, es wird weiter auf Chemo gesetzt. Sterben wird als Scheitern bewertet, und man würde dieses Scheitern eingestehen, wenn man nicht bis zuletzt dagegen ankämpfte.

Woran liegt das?
Das ist tief in der Kultur verankert. Über den Tod zu sprechen, bringt Unglück. Es gibt im Iran auch nicht den Beruf des Bestatters– das bleibt alles der Familie überlassen.

Noch mal zu Deiner Filmreihe – Du zeigst auch neue Filme.
Der erste Film der Reihe, „Wenn das Licht zerbricht“ von Runar Runarsson aus Island, ist eine Preview. Der startet am nächsten Tag regulär im Kino.

In diesem Film geht es um die Kunststudentin Una, die den plötzlichen Tod eines Freundes verkraften muss. Welche Rolle spielt Religion im Zusammenhang mit dem Sterben, gerade in einer Gesellschaft wie unserer, die immer areligiöser wird?
Wenn wir jemanden verlieren, den wir lieben, werden alle Karten neu gemischt. Davon bin ich überzeugt, und das erlebe ich immer wieder. Wenn wir mit den Ende des Lebens konfrontiert werden, spielt für viele die Religion dann doch vielleicht wieder eine Rolle, auch wenn sie das vorher nicht getan hat. Wir wollen uns an etwas festhalten. Und eins stelle ich in meinen Begleitungen immer wieder fest: Menschen, die glauben, kommen mit dem Tod und der Trauerverarbeitung oft besser zu recht.

Interview: Frank Olbert

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Die Filmreihe:

  • „Wenn das Licht zerbricht“ von Runar Runarsson, 7. Mai, 18.30 Uhr
  • „Der Tod ist ein Arschloch“ von Michael Schwarz, 22. Mai, 18.30 Uhr
  • „The Farewell“ von Lulu Wang, 25. Juni, 18.30 Uhr
  • „Ivo“ von Eva Trobisch, 3. September, 18.30 Uhr
  • „Totem“ von Lila Aviles, 2. November, 13.30 Uhr
  • „Palliativstation“ von Philipp Döring, 23. November, 11 Uhr.

Alle Filme laufen im Odeon-Kino, Severinstraße 81, 50678 Köln. Tickets 10 Euro, ermäßigt acht Euro. Im Anschluss an die Filme gibt es jeweils ein Filmgespräch.

Szenenbild aus dem Eröffnungsfilm „Wenn das Licht zerbricht“, Foto: Neue Visionen

Zur Person:

Golrokh Esmaili ist Journalistin, Social Media Managerin und Projektkoordinatorin am Zentrum für Palliativmedizin der Uniklinik Köln im Forschungsprojekt „Letzthelfer:innen am Arbeitsplatz für einen sensiblen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer“ (LAUT). Als ausgebildete Trauerbegleiterin gründete sie das Trostteam, das Trauerarbeit anbietet. Außerdem kuratiert sie Kunst- und Filmprojekte mit gesellschaftlichem Schwerpunkt. 

www.trostteam.org

www.vomlebenundtod.info

Veranstalter*innen..