Der Filmclub 813 ist mit seinem deutschlandweit einmaligem Filmprogramm eine der wichtigsten Kultur-Instanzen in Köln. Vor 30 Jahren feierte der Verein seine Geburtsstunde. Ein Porträt.
Ehret den Anfängen
Sommer 1990: Irakische Truppen marschieren in Kuwait ein. Der endgültige Abriss der Berliner Mauer beginnt. Das Schengener Abkommen wird unterzeichnet. Durch einen von Andreas Brehme verwandelten Foulelfmeter gegen Argentinien wird Deutschland zum dritten Mal Fußballweltmeister. Die Weltgesundheitsorganisation WHO streicht Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel der Krankheiten. Ja, es war viel los in der Welt im Wendejahr. Auch in Köln.
Acht Cineast*innen taten sich zusammen, um Filme im Kino vorzuführen, die in Köln noch nie oder lange nicht mehr zu sehen waren. Bekannte, außergewöhnliche Filme, die sie selbst schon immer auf der Leinwand sehen wollten, oder Filme, von denen noch nie jemand gehört hatte.
Man kannte sich aus den Kinos der Stadt: Als Stammgäste der Kölner Cinemathek oder des Broadway Kinos auf der Ehrenstraße. Man war jung, das Geld knapp, und arbeitete als Vorführer in Kinos wie dem Stadtgartenkino, der Lupe oder der Filmpalette. Der eine oder andere hatte selbst schon eigene Filme gedreht.
Am 12. Januar 1991 war es für den neu gegründeten Filmclub 813 schließlich so weit: Im Aktualitäten-Kino im Kölner Hauptbahnhof, dem AKI, sollte mit Rudolf Thomes ROTE SONNE die erste offizielle Filmvorführung und damit die Geburtsstunde des Filmclub gefeiert werden. Aber! Nur wenige Stunden vor dem Screening entschlossen sich die Betreiber des Kinos dazu, den freundlichen jungen Leuten das Kino nicht zu vermieten. In der Einlasshalle des Hauptbahnhofes herrschte unter den circa 150 Kinogängern, die dafür erschienen waren, unruhiges Gedränge als sie von der Nachricht erfuhren. Mit dem Publikum im Schlepptau und den Filmdosen unterm Arm zog man kurzerhand für den Startschuss des Filmclub 813 in die Filmpalette und verkaufte zwei Mal hintereinander das Haus aus.
Dass mit ROTE SONNE ein illustrer Vertreter des Neuen Deutschen Films der Premierenfilm wurde, war kein programmatisches Zeichen: „Es ging uns nicht darum, deutsches oder europäisches Kino zu präsentieren. Wir hatten einfach nur Kino im Kopf. Wir wollten alles Mögliche zeigen, was wir in der Gruppe gut fanden. Dabei gab es erstaunlich oft Überschneidungen“, erinnert sich Gründungsmitglied Bernhard Marsch, der zusammen mit Elena Wegner seit 2010 dem Verein vorsitzt. Jeder hatte seinen eigenen Filmgeschmack und brachte auch seine eigenen Talente in die Organisation der Vorführungen mit ein. Eine echte Gemeinschaftsarbeit von Filmverrückten. Viele weitere erfolgreiche Abende in Kinos wie der Filmpalette, dem Stadtgartenkino und auch dem großen Kinosaal der Volkshochschule folgten. Die Einnahmen sicherten immer ehrgeizigere Filmreihen mit seltenen Kopien. Außerdem wurde es möglich, herausragende Filmemacher*innen einzuladen. Ein besonderes Highlight der frühen Jahre waren die Vorführungen auf dem Dach der Volkshochschule in Köln, das der Filmclub 813 als Open Air Kino für viele Sommer überaus erfolgreich bespielen sollte. Sogar sein eigenes Filmfestival 813 organisierte der Filmclub Mitte der 1990er Jahre, das persönliche Lieblingsfilme seiner Mitglieder im Stadtgarten-Kino und im Kino des British Council präsentierte.
Die wechselnden Spielstätten des Filmclubs 813 boten die Gelegenheit für echtes Guerilla-Kino: Im Ehrenfelder Neptunbad wurde der Killerfisch-Klassiker PIRANHA während des laufenden Badebetriebs am Abend gespielt, in der Tanzschule Schulerecki lief SATURDAY NIGHT FEVER, sodass man mit John Travolta im Tanzsaal zusammen schwofen konnte.
Ein Programm so weit wie das Kino
So verfestigte sich über die Jahre ein vielseitiges, abwechslungsreiches und spieltrieblerisches Programm, das bis heute den besonderen Charme des Filmclubs 813 ausmacht. Dort stehen wie selbstverständlich bekannte und weniger bekannte Genre-Filme neben etablierten Arthouse-Klassikern aus aller Welt, seltenen, kaum gespielten Dokumentarfilmen, deutschen Komödien, verschiedenartigsten Kurzfilmen und immer wieder neuen Entdeckungen, auf die man bei der Recherche in Archiven stößt.
Der Filmclub 813 leistet mit vielen Filmreihen oftmals Pionierarbeit, etwa mit der Wiederentdeckung von Filmemacher, Schauspieler und Fotograf Roger Fritz, der mit Filmen wie MÄDCHEN, MÄDCHEN (1967) Meilensteine des Jungen Deutschen Films inszenierte. Eine weitere Wiederentdeckung war der in Bulgarien geborene Regisseur und Schriftsteller Marran Gasov, den es in den glorreichen 1960ern nach München verschlug. Schon nach seinem Debütfilm ENGELCHEN ODER DIE JUNGFRAU VON BAMBERG (1968) galt er als eines der großen Talente der Münchner Gruppe. Doch Gasov war nach dem frühen Ende seiner Filmkarriere in den 1970ern völlig in Vergessenheit geraten, bis der Filmclub 813 ihm im Jahr 2008 eine Retrospektive widmete. Er verstarb leider vor wenigen Tagen, während dieser Artikel entstand. Weitere Pionierarbeit leistete der Filmclub 813 mit zahllosen weiteren Retrospektiven, etwa zu Zbynek Brynych, Ulrich Schamoni, Roland Klick, oder May Spils und Werner Enke.
Eine – man möchte sagen französische – Leichtigkeit und Unangestrengtheit zeichnet das Programm des Filmclub 813 seit jeher aus. Man fühlte sich nie einem Kanon verpflichtet. Wohl aber den Filmemachern der Nouvelle Vague wie François Truffaut, die, während sie ihre Filmkarrieren auf den Weg brachten, in Paris ebenfalls einen Filmclub betrieben, um dort alles zu zeigen, was das Kino zu bieten hatte. Auch einige der ersten Filmclub 813 Mitglieder waren und sind Filmemacher, die man später als “Kölner Gruppe” kennen sollte. Filme zeigen, Filme machen, über Film sprechen, das Leben ist Film… Um das Programm für die kommenden Wochen zu planen, setze man sich Anfang der 1990er im ersten „coolen Café“ zusammen, das es in Köln gab, dem Hallmackenreuther. Sein Besitzer hatte ein Herz für die jungen Filmenthusiasten, die sich hier auch ihre ersten Super8-Filme vorführten.
Zu Gast im Filmclub 813
Auch weil einige Mitglieder selbst Filme machten, war es von Anfang an ein Bestreben, nicht nur Filme zu zeigen, sondern auch die Kolleg*innen, die man wertschätze, nach Köln einzuladen. Was Gelegenheit bot, sich an das aktuelle Filmemachen in Deutschland anzudocken. So lud man schon Mitte der 1990er Jahre den jungen Christian Petzold ein und sprach mit ihm und dem Publikum über einige Wesensmerkmale seiner Filme, die man später erst als Stilmittel der “Berliner Schule” kennen würde. Auch Jonas Mekas, der Pate des amerikanischen Avantgardekinos, war schon in den 1990ern zu Gast. Zahllose weitere Gäste folgten, darunter zum Beispiel Ulrich Seidl, Michael Glawogger, Elisabeth Spira, DEFA-Regisseurin Iris Gusner, sowie die Schauspielerinnen Angelika Waller und Andrea Rau.
Denn nicht nur Regisseur*innen gehörten zu den Gästen im Filmclub 813. Besonders in Erinnerung blieb eines der ersten Großevents, bei dem 30 Jahre Filmmusik der Avantgarde-Band „Can“ gefeiert wurden. Neben der Vorführung sämtlicher Filme mit ihren Arbeiten kamen die fünf Musiker – wenn auch nicht musizierend – auf der Bühne des Gebäude 9 für eine kleine Reunion zusammen. Verewigt werden bis heute alle Gäste auf einer großen Polaroid-Wand im Büro des Filmclubs.
Film ist Film ist Film
Klassisches Repertoire-Kino wurde gerne auch en bloc gespielt: allein 40 Filme von Ingmar Bergman kamen im Jahr 2004 zur Aufführung. Weitere erfolgreiche Reihen widmeten sich den Filmen von John Cassavetes, Éric Rohmer, Jean Renoir, Jess Franco, Schauspielern wie Lino Ventura oder Genres wie den amerikanischen Musicals. Den „Ehrentitel“ der besucherstärksten Reihe aller Zeiten sicherte sich im Filmclub 813 allerdings die Retrospektive Romy Schneider. Der Filmclub hatte im Laufe der Jahre zusehends die Funktion der Kölner Cinemathek übernommen, die 2001 ihren Spielbetrieb einstellen musste, und auf eigene Art neuinterpretiert. Wichtige Impulse für das Programm setze u.a. Filmvermittler Helmut W. Banz, der zuvor für die Cinemathek in Köln das Programm mitgestaltet hatte und leider im Jahr 2012 verstarb.
Für das Jubiläumsjahr 2021 ist eine große Filmreihe geplant, die 30 Jahre Filmclub plus 20 Jahre Kino 813 mit 50 Filmen feiern möchte, Arbeitstitel: „30+20 = 50“.
Die Zukunft des Kino 813 in der BRÜCKE
Der wohl wichtigste Schritt zur Konsolidierung des Filmclub 813 als über die Stadtgrenzen hinausstrahlende Kultur-Institution war es, eine eigene Spielstätte zu finden und zu betreiben. Nach wechselnden Veranstaltungsorten spielte der Filmclub seit 1995 regelmäßig im Kinosaal des British Council im städtischen Gebäude DIE BRÜCKE am Neumarkt. Nach dem Wegzug des British Council ist er seit dem 1. Juli 2001 Eigentümer des gesamten Kino-Equipments und -Inventars und offizieller Betreiber des Kino 813 in der BRÜCKE. Mit einem Ratsbeschluss wurde ihm 2003 das Recht zugesprochen, das Kino 30 Jahre lang mietfrei als Untermieter des Kölnischen Kunstvereins nutzen zu können. Es war eine der fundamentalen Bedingungen für die Nutzung des gesamten Gebäudes durch den Kunstverein.
Ob der Filmclub 813 in den nächsten Jahren und Jahrzehnten sein Kino weiter bespielen können wird, ist im Moment jedoch unsicherer denn je. Das Jahr 2020 war ein besonderes schwieriges für den Verein, die Pandemie mit ihrem Nicht-Spielbetrieb gehörte noch zu den kleineren Problemen. Denn der Kölnische Kunstverein, der Hauptmieter der BRÜCKE, sprach dem Filmclub im Oktober 2020 überraschend eine außerordentliche und fristlose Kündigung für alle überlassenen Räumlichkeiten aus: Vorführraum, Kinosaal und Büro. Vorausgegangen war ein seit Jahren sich immer wieder aufschaukelnder Konflikt zwischen den beiden Vereinen um die Nutzung des Saals. Beide Parteien haben dazu Stellung bezogen.
Eine der ersten Gegenmaßnahmen des Filmclubs war die Veröffentlichung eines Offenen Briefes an den Vorsitzenden des Kölnischen Kunstvereins zur Zurücknahme der fristlosen Kündigung, den bis heute über 1.700 Personen unterzeichnet haben. Darunter viele bekannte Filmemacher*innen und Filmliebhaber*innen aus Europa und Übersee. Diese große, übergreifende Solidarität unterstreicht das enorme Ansehen, das die Arbeit des Filmclub 813 über die Jahrzehnte weit über deutsche Landesgrenzen hinaus erworben hat.
Vor wenigen Tagen hat der Kölnische Kunstverein über den Kölner Stadtanzeiger nun verlautbart, dass der Filmclub 813 nun auf Räumung verklagt werde. Der Konflikt zwischen beiden Parteien hat sich soweit zugespitzt, dass er inzwischen völlig verfahren wirkt. Ohne die Vermittlung der Stadt Köln und eine deutliche, ordnende Initiative des Kulturamtes scheint das Fortbestehen und die dauerhafte Sicherung des Kinos 813 in der BRÜCKE ungewiss.
Werner Busch
Titelbild: Die acht Gründungsmitglieder des Filmclub 813 im Dezember 1990 im Foyer des AKI-Kinos im Kölner Hauptbahnhof. V.l.n.r.: Eddi Herzog, Christine Brede, Stephan Holl, Joachim Kühn, Bernhard Marsch, Hans-Dieter Delkus, Udo Noll, Rainer Knepperges – Foto: Udo Noll
Eine kleine Auswahl von Programmflyern früherer Jahre:
Der Filmclub 813 ist mit seinem deutschlandweit einmaligem Filmprogramm eine der wichtigsten Kultur-Instanzen in Köln. Vor 30 Jahren feierte der Verein seine Geburtsstunde. Ein Porträt.
Ehret den Anfängen
Sommer 1990: Irakische Truppen marschieren in Kuwait ein. Der endgültige Abriss der Berliner Mauer beginnt. Das Schengener Abkommen wird unterzeichnet. Durch einen von Andreas Brehme verwandelten Foulelfmeter gegen Argentinien wird Deutschland zum dritten Mal Fußballweltmeister. Die Weltgesundheitsorganisation WHO streicht Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel der Krankheiten. Ja, es war viel los in der Welt im Wendejahr. Auch in Köln.
Acht Cineast*innen taten sich zusammen, um Filme im Kino vorzuführen, die in Köln noch nie oder lange nicht mehr zu sehen waren. Bekannte, außergewöhnliche Filme, die sie selbst schon immer auf der Leinwand sehen wollten, oder Filme, von denen noch nie jemand gehört hatte.
Man kannte sich aus den Kinos der Stadt: Als Stammgäste der Kölner Cinemathek oder des Broadway Kinos auf der Ehrenstraße. Man war jung, das Geld knapp, und arbeitete als Vorführer in Kinos wie dem Stadtgartenkino, der Lupe oder der Filmpalette. Der eine oder andere hatte selbst schon eigene Filme gedreht.
Am 12. Januar 1991 war es für den neu gegründeten Filmclub 813 schließlich so weit: Im Aktualitäten-Kino im Kölner Hauptbahnhof, dem AKI, sollte mit Rudolf Thomes ROTE SONNE die erste offizielle Filmvorführung und damit die Geburtsstunde des Filmclub gefeiert werden. Aber! Nur wenige Stunden vor dem Screening entschlossen sich die Betreiber des Kinos dazu, den freundlichen jungen Leuten das Kino nicht zu vermieten. In der Einlasshalle des Hauptbahnhofes herrschte unter den circa 150 Kinogängern, die dafür erschienen waren, unruhiges Gedränge als sie von der Nachricht erfuhren. Mit dem Publikum im Schlepptau und den Filmdosen unterm Arm zog man kurzerhand für den Startschuss des Filmclub 813 in die Filmpalette und verkaufte zwei Mal hintereinander das Haus aus.
Dass mit ROTE SONNE ein illustrer Vertreter des Neuen Deutschen Films der Premierenfilm wurde, war kein programmatisches Zeichen: „Es ging uns nicht darum, deutsches oder europäisches Kino zu präsentieren. Wir hatten einfach nur Kino im Kopf. Wir wollten alles Mögliche zeigen, was wir in der Gruppe gut fanden. Dabei gab es erstaunlich oft Überschneidungen“, erinnert sich Gründungsmitglied Bernhard Marsch, der zusammen mit Elena Wegner seit 2010 dem Verein vorsitzt. Jeder hatte seinen eigenen Filmgeschmack und brachte auch seine eigenen Talente in die Organisation der Vorführungen mit ein. Eine echte Gemeinschaftsarbeit von Filmverrückten. Viele weitere erfolgreiche Abende in Kinos wie der Filmpalette, dem Stadtgartenkino und auch dem großen Kinosaal der Volkshochschule folgten. Die Einnahmen sicherten immer ehrgeizigere Filmreihen mit seltenen Kopien. Außerdem wurde es möglich, herausragende Filmemacher*innen einzuladen. Ein besonderes Highlight der frühen Jahre waren die Vorführungen auf dem Dach der Volkshochschule in Köln, das der Filmclub 813 als Open Air Kino für viele Sommer überaus erfolgreich bespielen sollte. Sogar sein eigenes Filmfestival 813 organisierte der Filmclub Mitte der 1990er Jahre, das persönliche Lieblingsfilme seiner Mitglieder im Stadtgarten-Kino und im Kino des British Council präsentierte.
Die wechselnden Spielstätten des Filmclubs 813 boten die Gelegenheit für echtes Guerilla-Kino: Im Ehrenfelder Neptunbad wurde der Killerfisch-Klassiker PIRANHA während des laufenden Badebetriebs am Abend gespielt, in der Tanzschule Schulerecki lief SATURDAY NIGHT FEVER, sodass man mit John Travolta im Tanzsaal zusammen schwofen konnte.
Ein Programm so weit wie das Kino
So verfestigte sich über die Jahre ein vielseitiges, abwechslungsreiches und spieltrieblerisches Programm, das bis heute den besonderen Charme des Filmclubs 813 ausmacht. Dort stehen wie selbstverständlich bekannte und weniger bekannte Genre-Filme neben etablierten Arthouse-Klassikern aus aller Welt, seltenen, kaum gespielten Dokumentarfilmen, deutschen Komödien, verschiedenartigsten Kurzfilmen und immer wieder neuen Entdeckungen, auf die man bei der Recherche in Archiven stößt.
Der Filmclub 813 leistet mit vielen Filmreihen oftmals Pionierarbeit, etwa mit der Wiederentdeckung von Filmemacher, Schauspieler und Fotograf Roger Fritz, der mit Filmen wie MÄDCHEN, MÄDCHEN (1967) Meilensteine des Jungen Deutschen Films inszenierte. Eine weitere Wiederentdeckung war der in Bulgarien geborene Regisseur und Schriftsteller Marran Gasov, den es in den glorreichen 1960ern nach München verschlug. Schon nach seinem Debütfilm ENGELCHEN ODER DIE JUNGFRAU VON BAMBERG (1968) galt er als eines der großen Talente der Münchner Gruppe. Doch Gasov war nach dem frühen Ende seiner Filmkarriere in den 1970ern völlig in Vergessenheit geraten, bis der Filmclub 813 ihm im Jahr 2008 eine Retrospektive widmete. Er verstarb leider vor wenigen Tagen, während dieser Artikel entstand. Weitere Pionierarbeit leistete der Filmclub 813 mit zahllosen weiteren Retrospektiven, etwa zu Zbynek Brynych, Ulrich Schamoni, Roland Klick, oder May Spils und Werner Enke.
Eine – man möchte sagen französische – Leichtigkeit und Unangestrengtheit zeichnet das Programm des Filmclub 813 seit jeher aus. Man fühlte sich nie einem Kanon verpflichtet. Wohl aber den Filmemachern der Nouvelle Vague wie François Truffaut, die, während sie ihre Filmkarrieren auf den Weg brachten, in Paris ebenfalls einen Filmclub betrieben, um dort alles zu zeigen, was das Kino zu bieten hatte. Auch einige der ersten Filmclub 813 Mitglieder waren und sind Filmemacher, die man später als “Kölner Gruppe” kennen sollte. Filme zeigen, Filme machen, über Film sprechen, das Leben ist Film… Um das Programm für die kommenden Wochen zu planen, setze man sich Anfang der 1990er im ersten „coolen Café“ zusammen, das es in Köln gab, dem Hallmackenreuther. Sein Besitzer hatte ein Herz für die jungen Filmenthusiasten, die sich hier auch ihre ersten Super8-Filme vorführten.
Zu Gast im Filmclub 813
Auch weil einige Mitglieder selbst Filme machten, war es von Anfang an ein Bestreben, nicht nur Filme zu zeigen, sondern auch die Kolleg*innen, die man wertschätze, nach Köln einzuladen. Was Gelegenheit bot, sich an das aktuelle Filmemachen in Deutschland anzudocken. So lud man schon Mitte der 1990er Jahre den jungen Christian Petzold ein und sprach mit ihm und dem Publikum über einige Wesensmerkmale seiner Filme, die man später erst als Stilmittel der “Berliner Schule” kennen würde. Auch Jonas Mekas, der Pate des amerikanischen Avantgardekinos, war schon in den 1990ern zu Gast. Zahllose weitere Gäste folgten, darunter zum Beispiel Ulrich Seidl, Michael Glawogger, Elisabeth Spira, DEFA-Regisseurin Iris Gusner, sowie die Schauspielerinnen Angelika Waller und Andrea Rau.
Denn nicht nur Regisseur*innen gehörten zu den Gästen im Filmclub 813. Besonders in Erinnerung blieb eines der ersten Großevents, bei dem 30 Jahre Filmmusik der Avantgarde-Band „Can“ gefeiert wurden. Neben der Vorführung sämtlicher Filme mit ihren Arbeiten kamen die fünf Musiker – wenn auch nicht musizierend – auf der Bühne des Gebäude 9 für eine kleine Reunion zusammen. Verewigt werden bis heute alle Gäste auf einer großen Polaroid-Wand im Büro des Filmclubs.
Film ist Film ist Film
Klassisches Repertoire-Kino wurde gerne auch en bloc gespielt: allein 40 Filme von Ingmar Bergman kamen im Jahr 2004 zur Aufführung. Weitere erfolgreiche Reihen widmeten sich den Filmen von John Cassavetes, Éric Rohmer, Jean Renoir, Jess Franco, Schauspielern wie Lino Ventura oder Genres wie den amerikanischen Musicals. Den „Ehrentitel“ der besucherstärksten Reihe aller Zeiten sicherte sich im Filmclub 813 allerdings die Retrospektive Romy Schneider. Der Filmclub hatte im Laufe der Jahre zusehends die Funktion der Kölner Cinemathek übernommen, die 2001 ihren Spielbetrieb einstellen musste, und auf eigene Art neuinterpretiert. Wichtige Impulse für das Programm setze u.a. Filmvermittler Helmut W. Banz, der zuvor für die Cinemathek in Köln das Programm mitgestaltet hatte und leider im Jahr 2012 verstarb.
Für das Jubiläumsjahr 2021 ist eine große Filmreihe geplant, die 30 Jahre Filmclub plus 20 Jahre Kino 813 mit 50 Filmen feiern möchte, Arbeitstitel: „30+20 = 50“.
Die Zukunft des Kino 813 in der BRÜCKE
Der wohl wichtigste Schritt zur Konsolidierung des Filmclub 813 als über die Stadtgrenzen hinausstrahlende Kultur-Institution war es, eine eigene Spielstätte zu finden und zu betreiben. Nach wechselnden Veranstaltungsorten spielte der Filmclub seit 1995 regelmäßig im Kinosaal des British Council im städtischen Gebäude DIE BRÜCKE am Neumarkt. Nach dem Wegzug des British Council ist er seit dem 1. Juli 2001 Eigentümer des gesamten Kino-Equipments und -Inventars und offizieller Betreiber des Kino 813 in der BRÜCKE. Mit einem Ratsbeschluss wurde ihm 2003 das Recht zugesprochen, das Kino 30 Jahre lang mietfrei als Untermieter des Kölnischen Kunstvereins nutzen zu können. Es war eine der fundamentalen Bedingungen für die Nutzung des gesamten Gebäudes durch den Kunstverein.
Ob der Filmclub 813 in den nächsten Jahren und Jahrzehnten sein Kino weiter bespielen können wird, ist im Moment jedoch unsicherer denn je. Das Jahr 2020 war ein besonderes schwieriges für den Verein, die Pandemie mit ihrem Nicht-Spielbetrieb gehörte noch zu den kleineren Problemen. Denn der Kölnische Kunstverein, der Hauptmieter der BRÜCKE, sprach dem Filmclub im Oktober 2020 überraschend eine außerordentliche und fristlose Kündigung für alle überlassenen Räumlichkeiten aus: Vorführraum, Kinosaal und Büro. Vorausgegangen war ein seit Jahren sich immer wieder aufschaukelnder Konflikt zwischen den beiden Vereinen um die Nutzung des Saals. Beide Parteien haben dazu Stellung bezogen.
Eine der ersten Gegenmaßnahmen des Filmclubs war die Veröffentlichung eines Offenen Briefes an den Vorsitzenden des Kölnischen Kunstvereins zur Zurücknahme der fristlosen Kündigung, den bis heute über 1.700 Personen unterzeichnet haben. Darunter viele bekannte Filmemacher*innen und Filmliebhaber*innen aus Europa und Übersee. Diese große, übergreifende Solidarität unterstreicht das enorme Ansehen, das die Arbeit des Filmclub 813 über die Jahrzehnte weit über deutsche Landesgrenzen hinaus erworben hat.
Vor wenigen Tagen hat der Kölnische Kunstverein über den Kölner Stadtanzeiger nun verlautbart, dass der Filmclub 813 nun auf Räumung verklagt werde. Der Konflikt zwischen beiden Parteien hat sich soweit zugespitzt, dass er inzwischen völlig verfahren wirkt. Ohne die Vermittlung der Stadt Köln und eine deutliche, ordnende Initiative des Kulturamtes scheint das Fortbestehen und die dauerhafte Sicherung des Kinos 813 in der BRÜCKE ungewiss.
Werner Busch
Titelbild: Die acht Gründungsmitglieder des Filmclub 813 im Dezember 1990 im Foyer des AKI-Kinos im Kölner Hauptbahnhof. V.l.n.r.: Eddi Herzog, Christine Brede, Stephan Holl, Joachim Kühn, Bernhard Marsch, Hans-Dieter Delkus, Udo Noll, Rainer Knepperges – Foto: Udo Noll
Eine kleine Auswahl von Programmflyern früherer Jahre: